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"Servus Kabul" als Kasperltheater

Franz Xaver Kroetz hat "Servus Kabul" von Jörg Graser inszeniert. Unter seinen Händen gewinnt das Stück am Bayerischen Staatsschauspiel an Schärfe und Polemik. Das politische Theater feiert fröhliche Auferstehung.

Von Sven Ricklefs |
    Im Theater steht ein Giebelhaus, das ist rot, hat einen Sehschlitz und einen knallblauen Vorhang. Wenn man den aufzieht sieht man die Gaststube, die ist aufgemalt. Die Figuren sind ziemlich grell und ziemlich bunt, sie schlagen schon mal zu, mit dem Klopfer und der Klatsche, tauchen auf und ab, und sehen tut man sie nur bis zur Hüfte. Und der Hitler und der Papst und die Twin Towers und der Mercedes und was da sonst noch so vorkommt, das ist alles Pappmachee und klappt rein oder fährt durch. So einfach ist das.

    Als Kasperltheater hat Regisseur Franz Xaver Kroetz "Servus Kabul" von Jörg Graser auf die Bühne gebracht und wohl auch deswegen hat man ins Programmheft unter den Titel "Servus Kabul" noch ein "in einer Fassung des Regisseurs" hineingeklebt. Das ist nur noch bedingt Jörg Graser soll das wohl heißen, und tatsächlich hat sich der Autor auch in einem Interview dezent von der Münchner Uraufführung distanziert, ohne allerdings, wie er selbst sagt, je etwas auf der Bühne gesehen zu haben. Doch eigentlich ist die Form des derb stilisierenden Kasperltheaters die vielleicht einzig adäquate Möglichkeit, Grasers sichtlich bewusst krass-krudes und political incorrect daherkommendes Stück aufzuführen, das in Wahrheit nicht mehr ist als eine Ansammlung der schlimmsten Klischees, die sich zwischen Straubing und Kabul denken lassen.

    Fanny: "Straubing ist schon schlimm genug. Aber du bist schlimmer wie ganz Niederbayern."
    Brodlerin: "Spinnst jetzt ganz? Wie läufst du überhaupt rum?"
    Fanny: "Wie sich's gehört."
    Brodlerin: "Du schaust ja aus wie ein Türkenwitz."
    Fanny: "Ich bin jetzt eine Muslimin. Punkt aus."
    Brodlerin: "Das gibt’s ja gar nicht. Auf einmal? Ich denk, du wolltest zur Bundeswehr?"

    Fanny: "Das ist vorbei. Ich hab zum Allah gefunden."

    Ein Kopftuch über dem Dirndl, schließlich ist der Neue ein Moslem, und da bei den Arabern, der Mann noch ein Mann ist, findet ihn hier im niederbayerischen Straubing nicht nur die Wirtstochter attraktiv, sondern auch der Vater. Der kann sich für eine Welt begeistern, wo es noch ein oben und unten, will heißen Mann und Frau gibt. Da mutiert der Vater dann auch zum Moslem, geht nach Kabul und heiratet gleich drei Afghaninnen, der Sohn, der es bisher eher mit einer aufblasbaren Sexpuppe hatte, bestellt sich eine Türkin, die Tochter hat den Araber, nur die Mutti, die verzweifelt an allem. Und wie recht sie hat, hat doch die Türkin ein Holzbein, ist der Araber doch gar nicht so reich, wie man dachte, und bei einer der drei Afghaninnen da tickt. Es ist die Herzklappe, was man allerdings erst später erfährt, die GSG9 mäht vorsichtshalber gleich alle drei nieder, wegen der Selbstmordattentate, da weiß man, da muss man vorsichtig sein. Und weil der Araber nur ein armer Chauffeur ist, muss er zur Strafe Schweinshaxe essen und Williamsbirne trinken, zu den Klängen der deutschen Nationalhymne.

    Brodlerin: "Man muss sich schon ein bisschen assimilieren, wir haben hier eine deutsche Leitkultur."

    Fanny: "d.h. assimilieren"

    Brodlerin: "integrieren"

    Brodler: "akzeptieren"

    Hans: "Vorrang der Vorsicht vor religiöser Offenbarung"

    Brodlerin: "Demokratie"

    Fanny: "basierend auf Trennung von Religion und Politik"

    Hans: "Pluralismus"

    Brodler: "Toleranz"

    Brodlerin: "Sprachkompetenz"

    Alle: "kurz: Wir sind der deutsche Nationalcharakter, an dem sich der Zuwanderer zu orientieren hat."
    Dass er bei Graser schließlich noch an die Hundeleine kommt und auf alle Vieren ausgepeitscht wird, hat Kroetz in Zeiten der beschämenden Bilder aus Abu Ghraib und der noch einmal durch die dänischen Karikaturen angezündelten Weltatmosphäre dankenswerter Weise gestrichen. Ohnehin hatte Autor Graser eben deswegen um die Verschiebung des Uraufführungstermins gebeten, was man im Bayerischen Staatsschauspiel aber wohl nicht für notwendig hielt. Doch sonst ist Kroetz kein Kasperspaß zu albern oder blöd, doch wohl gerade deswegen gewinnt dieses Stück unter seinen Regiehänden an Schärfe und Polemik und spannt den Bogen ohne Not vom heiligen Krieg zu Heil Hitler, von Saudi Arabien nach Straubing und von den Fundamentalisten hier zu denen dort, die Kasperbühne hält da stand. Und so ist es von den beiden seit langem von der Theaterbühne Verschwundenen weniger der Autor Graser als vielmehr der Regisseur Franz Xaver Kroetz, der mit "Servus Kabul" kurz vor seinem 60. Geburtstag erneut fröhlich Auferstehung gefeiert hat und zudem noch mit etwas, was mit ihm unterzugehen drohte: mit politischem Theater.