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Sex bis zum Aussterben

Mückensirren. Es gibt kam ein nervtötenderes Geräusch. Doch die Plagegeister stören nicht nur, sie übertragen gefährliche Krankheiten für Mensch und Tier. Insektizide können die Parasiten zurückdrängen, auf Dauer entwickeln sie aber Resistenzen. Jetzt wollen Forscher die Moskitos und Fliegen auf anderem Weg bekämpfen: mit der Sterile-Insekten-Technik.

Von Volkart Wildermuth | 15.08.2010
    Glossina morsitans. Tse-Tse Fliege. Überträgerin der Rinderseuche Nagana.

    Aedes aegypti. Ägyptische Tigermücke. Überträgerin des Denguefiebers.

    Anopheles arabiensis. Landläufig: Moskito. Überträgerin der Malaria.

    Ein Wagen voller Orangen fährt durch eine Plantage in Citrus Dal in Südafrika. Der Name sagt es, hier werden Zitrusfrüchte angebaut für den Export. Hektar um Hektar stehen die Bäume ordentlich in parallelen Reihen. Der Boden dazwischen ist sauber: keine faulen Früchte, kein Unkraut.

    "In diesem Obstgarten wachsen Washington-Orangen, dazu noch Zitronen und Mandarinen. Ein paar Valencias und einige Grapefruits. Die Früchte sind reif, wir pflücken gerade fleißig Orangen, dann kommen die Mandarinen dran, wir sind mitten in der Saison."

    Kenny Beeton von den ALG Farms in Citrus Dal, zuständig für 500 Hektar Zitrusfrüchte. Der Großteil der Ernte wird in die USA verschifft oder nach Europa. Allerdings nur, wenn sich zwischen den Früchten keine Larven der Falschen Wicklermotte finden.

    "Die falsche Wicklermotte ist ein Albtraum hier im Tal. Wir haben viele Früchte verloren, das Hauptproblem ist aber, dass die USA Früchte mit Motten zurückweisen. Sie haben Importe zeitweise ganz verboten, das hat zu großen Verlusten geführt. Und von den Europäischen Märkten gibt es starken Druck, auf Pestizide zu verzichten. Wir mussten grüne Methoden der Insektenkontrolle finden."

    Die grüne Methode kommt auf einem Quad-Bike angebraust. Während der Fahrer systematisch die Baumreihen abfährt, wirft eine kleine Maschine gekühlte Insekten aus. Sampie Groenewald, Manager der Firma Xsit in Citrus Dal, stellt sie industriell her.

    "Wir züchten große Mengen der falschen Wicklermotte, sterilisieren sie mit radioaktiver Strahlung und lassen sie dann frei. Es soll so wenig Paarungen wie möglich zwischen wilden Motten geben. Deshalb lassen wir zehn Mal mehr sterile Männchen frei, als es wilde Männchen gibt."

    Mückensirren, Fliegenbrummen – fast automatisch stellen sich die Haare auf, suchen die Ohren nach dem Insekt. Die Evolution hat dem Menschen eine unwillkürliche Abneigung gegen all die schwirrenden Plagegeister eingeprägt. Stiche sind schmerzhaft, Stiche sind gefährlich, übertragen Malaria, Chikungunya, Dengue.

    "Was konkret Dengue betrifft: Es gibt keine Impfung, keine Medikamente. Die Kontrolle der Moskitos ist die einzige Möglichkeit. Bei der Malaria ist es komplizierter. Aber die Erreger werden resistent gegen die Medikamente und die Mücken resistent gegen Insektengifte. Wir brauchen neue Werkzeuge"

    Die Zeit sei reif für neue Methoden der Mückenbekämpfung, davon ist Luc Alphy von der Firma Oxitec überzeugt. Der Brite will das Dengue-Moskito bekämpfen und zwar mit der Sterile-Insekten-Technik, kurz SIT.

    "Das ist eine Art Familienplanung, indem man das Insekt, das man bekämpfen will, in sehr großen Nummern züchtet in Fabriken und sie dann sterilisiert."

    Das geht mit radioaktiver Strahlung. Bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA in Wien leitet Dr. Jorge Hendrichs die Abteilung Insektenkontrolle.

    "Und diese Insekten werden dann systematisch flächendeckend per Flugzeug losgelassen und die paaren sich dann mit den wilden Weibchen und diese wilden Weibchen haben dann keine Nachkommen."

    Die IAEA hat für viele Länder SIT-Programme entwickelt, vor allem gegen Pflanzenschädlinge. Jetzt will sie das Konzept auch gegen Malaria, Dengue und die Rinderseuche Nagana anwenden. Luc Alphy zweifelt nicht an einem Erfolg.

    "Anders als Insektizide suchen sterilen Männchen aktiv nach den Weibchen. Darauf hat sie die Evolution ausgerichtet, sie sind hoch motiviert. Das macht keine Chemikalie und auch ein menschlicher Schädlingsbekämpfer wird die allerletzten Brutplätze nicht finden. Wir nutzen die Kraft der Evolution, in Millionen und Millionen von Jahren wurden die Männchen darauf geeicht, die Weibchen zu finden und genau das wollen wir von ihnen."

    Sie sieht aus wie eine gewöhnliche Schmeißfliege: grün-metallisch schimmernder Panzer, rote Augen. Cochliomyia hominivorax, die Schraubenwurmfliege. Zuhause in der amerikanischen Prärie. Sucht dort nach offenen Wunden verletzter Tiere, wo sie Hunderte von Eiern ablegt. Kurze Zeit später fressen sich weiße Maden bis ins gesunde Fleisch.

    "Das riecht dann sehr hässlich, zieht dann viele andere Weibchen an, die auch ihre Eier legen und in ein zwei Wochen kann eine Kuh zum Beispiel sterben. Weil diese Wunde dann sehr, sehr wächst und also das Tier stirbt. Aber auch Menschen können da sterben. Und das war ein Riesenproblem für die Viehzucht im Süden der USA. Man behauptet, dass ein großer Teil der Cowboys nur da war, um ständig die Wunden der großen Herden zu behandeln, damit die Fliegen sich da nicht etablierten."

    Jahr für Jahr verloren amerikanische Rinderbarone 200 Millionen Dollar an die Schraubenwurmfliege. Edward Knipling, ein Amerikaner mit schwäbischen Wurzeln, bot ihnen mit der Sterilen Insekten Technik einen Ausweg: Bestrahlte Männchen sollten die Weibchen zu vergeblichen Paarungen animieren, um so letztlich den Lebenszyklus der Parasiten zu durchbrechen. In den 1950er Jahren wurde die erste Fabrik eingerichtet zur industriellen Zucht der Schraubenwurmfliege. Kurz darauf war die Fliege im ganzen Süden der USA ausgerottet.

    "Aber dann für eine ganze Weile kamen immer wieder Fliegen aus Mexiko. Und da haben USA, Mexiko gemeinsam beschlossen, die Fliege auch in Mexiko auszurotten. Und das war dann so erfolgreich, dass dann die Nachbarländer im Süden auch Teil sein wollten davon und endlich, vor zwei drei Jahren ungefähr hat diese Kampagne bis Panama diese Fliege ausgerottet. Es war eine Kampagne von 50 Jahren ungefähr, die ungefähr eine Milliarde Dollar gekostet hat über 50 Jahre. Man schätzt aber, dass jährlich die Vorteile der Ausrottung größer sind, als was die ganze Kampagne gekostet hat."

    Ein Flachbau im roten Sand von Citrus Dal beherbergt die Firma Xsit. Tag für Tag schlüpfen hier Millionen Falscher Wicklermotten. Sampie Groenewald:

    "Hier herrscht höchste Sauberkeit, wir müssen alle Krankheitserreger von den Motten fernhalten. Hier hinter der Scheibe ist der Reinraum. Die Arbeiter tragen sterile Kleidung, wenn sie die Tücher mit je 2000 Eiern in die Flaschen legen."

    Wie Bonbongläser sehen sie aus. Neben dem Tuch mit den Eiern enthalten sie einen Nährbrei, durch den bald Raupen kriechen werden. Sampie Groenewald führt durch die Fabrik. Vom Reinraum geht es in eines der zwanzig Brutzimmer. In jedem 6000 solcher Gläser auf der Seite liegend gestapelt.

    "Stellen Sie sich vor: 6 Millionen Raupen, Sie können die Hitze und die Luftfeuchtigkeit spüren. Sie kommt von der Energie, die all diese Raupen beim Wachsen und Verpuppen erzeugen."

    Zwei Wochen dauert es, dann sind die Raupen groß genug. Die Gläser werden geöffnet und auf Sägemehl gelegt, in dem sich die Raupen verpuppen können. Sie schlüpfen in einem dunklen Raum und fliegen durch schmale Schlitze in Richtung Licht. Groenewald:

    "Die Motten werden mit einem Luftzug in den nächsten Raum gesogen. Wenn sie in die nur vier Grad kalte Luft kommen, werden sie ganz ruhig. Sonst könnte man sie gar nicht in den Griff bekommen. Immer 2000 Motten kommen auf eine Petrischale und werden dann 20 Minuten bestrahlt, um sie zu sterilisieren."

    In den Tropen brüten in jedem Tümpel, jeder Pfütze, jedem feuchten Astloch Moskitos. Hunderte, Tausende. In Wolken schwirren die Männchen durch die Luft. Fliegt ein Weibchen durch den Paarungsschwarm, wird es an seinem besonderen Sirren erkannt, gegriffen und begattet. Dann geht die weibliche Mücke auf die Jagd, sucht sich in der Dämmerung eine Mahlzeit: Menschliches Blut. Die Stiche selbst sind nur lästig, aber es gibt Krankheitserreger, die mit dem Blut weiterwandern.

    "This is Anopheles arabiensis from Sudan."

    Auch Dr. Jeremie Gilles arbeitet im Forschungszentrum der Internationalen Atomenergie-Organisation, in Seibersdorf bei Wien. Er zeigt auf einen Käfig, so groß wie ein Schuhkarton, ringsum mit Gaze bespannt: Das Tuch ist vorne zu einem dicken Knoten geschlungen. Keines der gut hundert Moskitos soll entkommen. Gilles:

    "Anopheles arabiensis ist schwer zu züchten, wir müssen uns intensiv um sie kümmern. Zurzeit entwickeln wir größere Käfige und Maschinen, die zum Beispiel die Puppen von den Larven trennen. Damit wollen wir pro Tag eine Million Moskitos für den Sudan züchten."

    Das zumindest ist der Plan. Die Erwartungen sind hoch, angesichts der desolaten Lage: An Malaria erkranken jedes Jahr 300 Millionen Menschen. Eine Million sterben daran, die Hälfte von ihnen Kinder unter fünf. In vielen Gebieten Afrikas und Asiens gibt es gleich mehrere Moskitoarten, die das Wechselfieber übertragen. Das macht das Unterfangen besonders anspruchsvoll: Die Sterile-Insekten-Technik muss für jede Art maßgeschneidert werden. Jeremie Gilles hat deshalb sehr sorgfältig nach geeigneten Testregionen gesucht.

    "Im Norden des Sudan, zwischen Khartum und der ägyptischen Grenze, gibt es nicht so viele Moskitos, und sie sind auf die Ufer des Nils beschränkt. Das macht alles viel einfacher. Rundum gibt es nur Wüste, es können keine Moskitos von außen nachkommen. Hier wollen wir die Sterile-Insekten-Technik in Zukunft testen. Hier kann es funktionieren. Außerdem gibt es hier außer Anopheles arabiensis keine anderen Überträger der Malaria."

    Auch die Anopheles Männchen will Jeremie Gilles mit radioaktiver Strahlung sterilisieren. Die ist aber schwer zu dosieren. Und so gibt es mittlerweile auch alternative Ansätze. Luc Alphy:

    "Wir brauchen sexy Männchen. Wenn die Weibchen sie nicht mögen, funktioniert es nicht. Jede Bestrahlung schädigt die Männchen, sie können nicht mehr so gut um die Weibchen konkurrieren. Wir brauchen also fitte, gesunde Männchen, die trotzdem steril sind. Das ist mit Radioaktivität schwierig, die Genetik bietet da einen besseren Weg."

    An der Universität Oxford hat Luc Alphy Wege erforscht, Sterilität über das Erbgut zu erzielen. Mit seinen Ideen gründete er die Firma Oxitec, die eine genetische Variante der Sterile-Insekten-Technik anbietet. Neben verschiedenen Pflanzenschädlingen interessiert sich Luc Alphy vor allem für Aedes aegypti, die Überträgerin des Denguefieber.

    "Have you been to a Dengue endemic country in the last four weeks."

    "Waren Sie in einem Denguegebiet? Nein?"

    "No, why?"

    "Wir wollen sicher sein, dass unsere sauberen Moskitos keine Krankheiten bekommen. Schließlich besteht eine geringe Chance, dass ein Moskito entkommt und jemanden sticht."

    Aedes aegypti, die ägyptische Tigermücke, ist eine Gewinnerin der Globalisierung. Mit dem internationalen Handel hat sie sich in allen tropischen Ländern verbreitet und mit ihr das Denguevirus. Aedes-Moskitos ziehen ein Haus jedem Baum vor. Sie stechen nur Menschen, legen ihre Eier lieber in Trinkwasservorräte als in Tümpel. Und sie sind allzeit bereit. Ihr Stich droht von Sonnenaufgang bis Sonnenaufgang.

    Malariamücken lassen sich mit Bettnetzen von Menschen fernhalten. Gegen Aedes aegypti dagegen hilft nur ein breiter Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln – gegen die das Insekt wiederum schnell Resistenzen entwickelt. Und so befindet sich Dengue auf dem Vormarsch. Das Virus löst Fieber aus, Schüttelfrost und starke Schmerzen. Es kann es zu inneren Blutungen kommen. Luc Alphy:

    "Es gibt inzwischen über 100 Millionen Denguefälle im Jahr, keine Medikamente, keinen Impfstoff. Neue Wege zur Kontrolle der Moskitos wären ausgesprochen wünschenswert."

    Bei Oxitec sucht Luc Alphy nach Genen, die Aedes aegypti abtöten. Die Auswahl ist groß, viele Gene wirken tödlich. Die Herausforderung besteht darin, das Gen zu regulieren. Nicht der Träger soll sterben, sondern der Nachwuchs.

    "Wir brauchen einen Weg, das tödliche Gen gezielt an- und abzuschalten, daran arbeiten wir hier: an einem genetischen Schalter, der durch einen Stoff im Futter reguliert wird. Damit schalten wir das Gen während der Zucht ab. Dann lassen wir große Mengen an Insekten frei. Sie paaren sich und ihr Nachwuchs enthält nun eine Kopie des tödlichen Gens. Er wächst in der freien Natur auf, da gibt es das chemische Gegenmittel nicht und die Mücken sterben früher oder später ab, ganz wie wir das planen."

    Nur Weibchen saugen Blut, sie stechen und übertragen dabei das Dengue-Virus. Deshalb sorgt Luc Alphy mit einem weiteren genetischen Trick dafür, dass weibliche Fliegen noch in den Fabriken der Genetiker sterben. Freigelassen werden am Schluss nur die genetisch manipulierten Männchen. Oxitec ist mit mehreren Ländern im Gespräch über einen Pilotversuch. Noch ist nichts entschieden, oft fehlen schlicht die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Freilassung genetisch veränderter Moskitos. Wobei das Risiko in diesem besonderen Falle begrenzt sei, meint Alphy. Schließlich könnten sich die Moskitos von Oxitec nicht in der Natur ausbreiten, weil ihre Nachkommen ja absterben.

    "Diese Moskitoart ist extrem an den Menschen angepasst. Sie mag keine offenen Räume, keine Pflanzen. Sie mag Menschen und Siedlungen. Also würde jedes isolierte Dorf gehen. Die Tigermücken fliegen nur 100 bis 200 Meter in ihrem Leben. Wenn das nächste Dorf also einen Kilometer weiter liegt, dann wäre das aus Sicht der Moskitos eine ökologische Insel."

    Und damit ideal für einen ersten Testlauf der Technik gegen Moskitos. Der Dengue Überträger Aedes aegypti ist dabei ein leichteres Ziel als die Malariamücke Anopheles arabiensis. Erstens sind ihre Populationen im Vergleich viel kleiner, sie leben zweitens in gut zugänglichen besiedelten Gebieten und drittens ist nur eine einzige Art für den Großteil der Infektionen verantwortlich. Malaria auf diesem Weg zu bekämpfen, bleibt dagegen eine Herausforderung.

    "Das hier ist ein standardmäßiger Zuchtraum, der im Prinzip aus kleinen Wagen besteht mit einigen Lagen von Fliegenkäfigen."

    In Seibersdorf im Labor der Internationalen Atom Energie Organisation werden nicht nur Mücken und Fruchtfliegen gezüchtet, sondern auch ganz dicke Brummer: Tsetse-Fliegen. In jedem der flachen runden Käfige aus engmaschigem Drahtnetz krabbeln zwischen 60 und 80 Exemplare, regelmäßig erhalten sie wohltemperiertes Rinderblut vom Schlachthof. Um die Ernährung der Tsetse-Larven muss sich der Insektenforscher Dr. Udo Feldmann dagegen keine Gedanken machen.

    "Man muss dazu sagen, dass bei Tsetse-Fliegen das Eistadium und die drei Larvenstadien in der Gebärmutter des Fliegenweibchens stattfinden, die werden auch dort ernährt durch Milchdrüsen. Sobald diese neun Tage lange Ei-Larvenphase vorbei ist, legt das Weibchen verpuppungsreife Larvenstadien ab, die rollen dieses Blech hinunter, werden hier in diesem Aufnahmegefäß gesammelt."

    Regelmäßig geht Udo Feldmann mit frischen Puppen über den Hof zur Bestrahlungskammer, die radioaktives Kobalt enthält. Feldmann:

    "Der ganze Zylinder hier muss sich nach unten bewegen, um in die Mitte dieses bleigeschützten Behälters zu kommen, wo die Kobaltstifte sind. Zunächst kommt der Deckel drauf, dann werden zwei große, schwere Türen zugemacht. Dann wird dieser Schalter gedrückt, wir hören, wie die Kammer runtergeht. Und jetzt hat sie die Bestrahlungsposition erreicht, je nachdem wie stark die Quelle ist, dauert das zehn Sekunden, 50 Sekunden, bis die Fliegen sterilisiert sind und dann kommt es wieder hoch."

    In Versuchen wird die richtige Bestrahlungsdosis ermittelt. Gerade genug, um die Männchen zu sterilisieren, ohne ihre Lebenskraft zu beeinträchtigen.

    Der Biss der Tsetse-Fliege schmerzt gewaltig. Wie die deutsche Bremse zielt Glossina morsitans nicht auf Blutgefäße. Mit ihrem Rüssel reißt sie eine Wunde und leckt dann dass Blut auf, ihre einzige Nahrung. Ungewöhnlich für ein Insekt setzt die Tsetse-Fliege nicht auf Masse, auf schnelle Vermehrung. Die Weibchen produzieren nur alle acht Tage ein einzige Larve. Doch trotz dieses gemächlichen Lebensstils haben sich Tsetse-Fliegen auf zehn Millionen Quadratkilometern in Afrika ausgebreitet und mit ihnen die Erreger: der Schlafkrankheit und der Rinderseuche Nagana.

    "Tsetse Fliegen sind heute die wichtigste Bremse für die Entwicklung Afrikas."

    Mit dieser Meinung steht der Insektenforscher Professor David Rogers von der Universität Oxford nicht alleine da.

    "Auf zehn Millionen Quadratkilometern fruchtbaren Bodens kann man in Afrika keine Rinder halten. Nutztiere waren aber entscheidend für die Revolution der Landwirtschaft im Westen und in den Tropen. Und die wiederum war eine Voraussetzung der Industriellen Revolution. Man kann sagen, die Tsetse-Fliegen halten Afrika in einem Stadium vor der landwirtschaftlichen Revolution."

    Rinder liefern nicht nur Fleisch und Milch, ihr Dung steigert die Erträge der Felder, ihre Kraft zieht Pflug und Karren. Werden die Rinder krank, sinken die Einnahmen der Bauern. Geschätzter Schaden: 4,5 Milliarden Euro im Jahr. Die Position der Afrikanischen Union ist klar: Der verantwortliche Schädling soll endlich ausgerottet werden.

    "Wir wissen, das Tsetse-Fliegen Gegenden erobert haben, in denen sie vor 30 Jahren noch nicht gewesen sind. Mir hat mal ein Farmer in Äthiopien gesagt: 'Schau mal da unten im Tal, da hab ich vor drei Jahren noch 200 Tiere gehabt, jetzt habe ich noch drei übrig.' Die anderen sind alle an der Nagana, übertragen durch die Tsetse-Fliege, gestorben."

    Udo Feldmann und die IAEA waren an der ersten großen Erprobung der Sterile-Insekten-Technik gegen die Tsetse-Fliege auf der Insel Sansibar beteiligt. Dort wurde die Fliegenpopulation zuerst mit konventionellen Mitteln auf ein Fünftel der ursprünglichen Dichte dezimiert. Dann ließen die Forscher Woche für Woche sterile Tsetse-Männchen frei, im Schnitt 70 pro Quadratkilometer. Innerhalb von zwei Jahren gelang es, den Schädling auf Sansibar komplett auszurotten. Seit 1997 ist kein Rind mehr an Nagana erkrankt. Feldmann:

    "Und es ist jetzt so, dass in Gegenden, wo früher Viehzucht unmöglich war, Rinder gehalten werden, die Milchproduktion hatte sich schon fünf Jahre, nachdem wir aufgehört hatten, verdreifacht. Und ebenfalls die Fleischproduktion hat sich örtlich deutlich erhöht."

    Eine Erfolgsgeschichte, an die die Afrikanische Union anknüpfen möchte. In Addis Abeba hat sie eine Tsetse-Fabrik errichtet. Die isolierten Hochtäler Äthiopiens bieten gute Bedingungen, die Fliege Tal nach Tal zu bekämpfen, ohne dass gleich frische Tsetse nachrücken. Doch bis heute konnte das Projekt nicht starten, die Fliegenproduktion stockt. Nicht nur deshalb zweifelt David Rogers am Potenzial der High-Tech-Strategie.

    "Sansibar ist ein Spezialfall. Es hat 20 Millionen Dollar gekostet, die Fliegen dort auszurotten. Die vermehrten sich vor allem im Jozani Wald, der ist nur zehn Quadratkilometer groß. Also 20 Millionen, um die Fliege auf zehn Quadratkilometern auszurotten. Rechnen Sie das hoch auf den Rest von Afrika, das macht wirtschaftlich einfach keinen Sinn. Wenn jemand sagen würde, gebt mir eine Milliarde und ich lasse allen Müll für immer aus der Stadt verschwinden, dann klingt das attraktiv. Aber es ist doch so, dass wir weiter Müll produzieren, und genauso produzieren Tsetse Fliegen neue Tsetse Fliegen. Wenn wir nicht jede einzelne Fliege erwischen, kommen sie zurück und das Geld ist verschwendet."

    Also doch zurück zu den konventionellen Techniken? Es gibt sie, die einfachen Mittel gegen Tsetse-Fliegen. Blauer Stoff lockt sie an, mit vier blauen Fallen pro Quadratkilometer lässt sich die Tsetse-Belastung dramatisch senken. Dass der Erfolg bisher immer nur von kurzer Dauer war, liegt nach Meinung von David Rogers vor allem daran, dass die Bauern zu wenig beteiligt wurden.

    "Wir brauchen Strategien, die die lokale Bevölkerung dauerhaft einbinden. Ich habe das in Äthiopien gesehen. Die Leute werden informiert und entwickeln ihre eigene Form der Tsetse-Kontrolle. Zurzeit verwenden sie Insektizide oder Fallen. Die Fallen werden aber von Wildtieren oder Buschfeuern zerstört. Die Dorfgemeinschaft muss dafür sorgen, dass das Gras um die Fallen gemäht wird und dass jemand herumgeht und prüft, ob alles in Ordnung ist."

    Sampie Groenewald:

    "Das ist unsere dritte Saison. Verglichen mit Gebieten, die wir noch nicht schützen, können wir die Zahl der Falschen Wicklermotten um 92 Prozent reduzieren, ähnlich niedrig ist die Menge der geschädigten Orangen. Das ist nach Ansicht aller hervorragend."

    Für die Farmer in Südafrika produzieren Sampie Groenewald und die Firma Xsit Jahr für Jahr mehr Falsche Wicklermotten. So wie Kenny Beeton haben sich inzwischen die meisten Plantagenbesitzer in Citrus Dal dem SIT Programm angeschlossen.

    "Wir sehen die Vorteile, definitiv. Schauen Sie sich um: keine verkümmerten Früchte an den Bäumen, keine herabgefallen Orangen am Boden. Vor sieben Jahren war das ganz anders, da hätten sie an jedem Baum sechs, sieben verkümmerte Früchte gefunden und auf dem Boden verrottete Orangen voller Mottenraupen. Es ist teuer, aber man darf nicht vergessen, dass wir jetzt in die USA exportieren können und da machen wir große Gewinne. Unterm Strich lohnt sich unsere Investition."

    Im Pflanzenschutz hat die Sterile-Insekten-Technik inzwischen ihren festen Platz. Sie ist umweltfreundlich, es bleiben keine Chemikalienreste zurück. Die Laborstämme können sich nicht in der Natur etablieren, und es gibt keine Nebeneffekte auf andere Insekten, weil sich Männchen nur mit Weibchen der eigenen Art paaren. Umgekehrt heißt das, dass für jede Insektenart ein eigenes SIT-Programm entwickelt werden muss. Die Forschungen laufen für Nagana, für Malaria und Dengue. Doch anders als bei Exportfrüchten geht es dabei nicht um lukrative Märkte, um Investitionen, die einen direkten Gewinn abwerfen. Die Gesundheitsbudgets in den betroffenen Ländern sind meist schlecht ausgestattet. Dennoch ist Luc Alphy von Oxitec optimistisch.

    "Viele Länder mit großen Dengue-Problemen sind nicht wirklich arm. Mexiko, Brasilien und so weiter. Andere Länder hängen im Gesundheitsbereich sowieso von einer Hilfe von außen ab. Die Weltbank oder Entwicklungshilfeorganisation könnten unsere Programme genauso fördern wie Bettnetze, sauberes Wasser oder Impfungen."

    Wenn das gelänge, hätte die Sterile-Insekten-Technik nach Ansicht von Luc Alphy noch einen weiteren großen Pluspunkt.

    "Ein Vorteil ist, dass alle gleichermaßen geschützt werden, egal welchen Beruf, welches Einkommen oder welchen Bildungsgrad sie haben. Bei individuellen Strategien wie Bettnetzen, Medikamenten oder Impfstoffen ist das anders, da haben die Menschen unterschiedlich guten Zugang, je nach ihrem sozialen Status. Dass immer eine ganze Region geschützt wird, ist für ein Gesundheitsprogramm sehr attraktiv."

    Damit es funktioniert, müssen alle zusammenarbeiten. Bei den SIT-Programmen zum Pflanzenschutz gelingt das sogar zwischen israelischen und palästinischen Bauern und zwischen Regierungstruppen und Guerilleros in Mexiko. Udo Feldmann wurde von den Soldaten eines Lagers an das der Feinde weiter gereicht.

    "Ich hab dann über einen Dolmetscher die Guerilleros gefragt, warum denn sie das auch unterstützen, und sie meinten, dass eben diese Sterile-Insekten-Technik in dieser Gegend nicht nur den Großgrundbesitzern, den Großplantagenbesitzern zugutekommt, sondern auch den kleinen armen Bauern, die ihre Kaffeesträucher dazwischen haben."

    Erfolg überzeugt. Wenn er denn eintritt. Die nächsten Freilassungsversuche werden wahrscheinlich im Senegal unternommen. Mit Tsetse-Fliegen aus einer Fabrik in Burkina Faso. Udo Feldmann von der IAEA in Seibersdorf bei Wien wird die Versuche leiten.

    "Es ist so, dass dort genauso wie in den meisten Gegenden Westafrikas Rinderzucht betrieben wird. Das heißt, die Leute hätten einen Vorteil. Das zweite aber ist, dass dieses Gebiet im Senegal ja am nördlichsten Ende des Verbreitungsgürtels liegt nicht nur dieser Art sondern von Tsetse Fliegen überhaupt in Afrika. Und es grundsätzlich leichter ist, am Ende des Verbreitungsgürtels anzufangen,und dann so eine Teppich-Aufroll-Kampagne zu machen, in der man weiter nach Süden geht. Wir sagen nicht, wir machen ganz Afrika frei von Tsetse Fliegen. Wir möchten zunächst einmal in bestimmten Gebieten, wo arme Leute in ländlichen Gebieten wirklich leiden drunter, fliegenfreie Zonen schaffen. Und das als Beweis heranführen, um dann noch mehr Geld zu bekommen. Man kann das nicht so vom Zaun brechen. Wir schlagen eine vorsichtigere Vorgehensweise vor."