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Sexismus-Debatte
"Sprechen organisiert eine soziale Ordnung"

Kompliment oder sexistische Bemerkung? Der Fall der Staatssekretärin Sawsan Chebli hat eine erneute Sexismus-Debatte in Gang gesetzt. Die Soziologin Sabine Hark sagte im Dlf, noch immer werde nur Männlichkeit mit Kompetenz konnotiert - Weiblichkeit jedoch nicht. Auf diese Zuschreibungen habe auch die Sprache Einfluss.

Sabine Hark im Gespräch mit Stephanie Rohde | 21.10.2017
    Ein Smartphone mit dem Hashtag "#MeToo"
    Unter dem Hashtag #metoo teilten hunderttausende Frauen weltweit auf Twitter ihre Erfahrungen mit Sexismus. (dpa-Zentralbild)
    Sawsan Chebli war als Gast bei einer Veranstaltung der indischen Botschaft in Berlin vom ehemaligen Botschafter Hans-Joachim Kiderlen zunächst übersehen worden. Als sie auf ihre Anwesenheit hinwies, sagte er nach ihren Angaben: "Ich habe keine so junge Frau erwartet - und dann sind Sie auch noch so schön".
    Man müsse thematisieren, ob Komplimente in einem professionellen Rahmen angemessen seien, meint Sabine Hark. Dabei gehe es nicht um Sprechverbote, sondern darum, das Problem zu benennen und zu verstehen, was an Bemerkungen wie der gegenüber Chebli sexistisch sei.
    Klassisches Beispiel
    Dass eine solche Bemerkung einem Mann gegenüber gemacht worden wäre, hält Hark für sehr unwahrscheinlich. Es sei ein klassisches Beispiel der Geschlechterforschung, dass Frauen in bestimmten Kontexten nicht als kompetent wahrgenommen würden, sondern ausschließlich als Frauen. Chebli müsse sich jetzt wieder von dem ihr zugewiesenen Platz "jung und hübsch" herausarbeiten, um wieder als kompetente Politikerin wahrgenommen zu werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Stephanie Rohde: Ein blöder Spruch, eine scheinbar zufällige Berührung, aber auch körperliche Übergriffe - für viele Frauen ist das kein theoretisches Problem, sondern ein alltägliches. Wie alltäglich, das kann man gerade auf Twitter sehen unter dem Hashtag "meetoo", also "ich auch". Da berichten weltweit Hunderttausende Frauen über ihre Erfahrungen mit Sexismus und sexualisierter Gewalt. Ausgelöst wurde diese neue Debatte ja durch den Skandal um den Hollywood-Produzenten Weinstein. In dieser Woche hat die Diskussion Fahrt aufgenommen in Deutschland und zu Wort gemeldet hat sich auch Sawsan Chebli, die Staatssekretärin für Internationales und Bevollmächtigte Berlins beim Bund. Sie wurde eingeladen für eine Diskussion von einem ehemaligen Botschafter, dort nicht erkannt, dann hat sie sich zu Wort gemeldet und daraufhin antwortete der Exbotschafter laut Chebli, Zitat: "Ich habe keine so junge Frau erwartet, und dann sind Sie auch so schön!" Chebli hat diesen Satz im Nachhinein auf Facebook veröffentlicht und geschrieben, sie sei geschockt gewesen. Der ehemalige Botschafter hat sich inzwischen entschuldigt, trotzdem befeuert dieser Fall die Sexismusdebatte weiter. Ist die längst überfällig oder einfach nur überflüssig? Darüber will ich jetzt sprechen mit Sabine Hark, sie ist Soziologin und Genderforscherin an der TU Berlin, guten Morgen!
    Sabine Hark: Guten Morgen!
    Rohde: Bevor wir auf die größere Debatte in diesem Hashtag "metoo" in der Woche schauen, würde ich ganz kurz mit Ihnen über diesen eben geschilderten Fall sprechen. Der wird sehr kritisch diskutiert. Kann man nicht auch einfach sagen, einem Exbotschafter ist da bei so einer Veranstaltung spontan ein eigentlich nett gemeintes Kompliment rausgerutscht, da ist es völlig übertrieben, eine Sexismuskeule rauszuholen?
    "Stereotype Erwartungen und Vorstellungen prägen die Wahrnehmung"
    Hark: Ja, das passiert ja beständig. Immer wenn Frauen diese Art von Vorfällen öffentlich machen, heißt es: überreagiert, der war doch nur nett! Das erleben wir ja, periodisch ist es ja noch nicht so sehr lange her, dass es den Brüderle-Vorfall gegeben hat. Und die Reaktionen sind immer wieder dieselben, die Frauen sollen sich nicht so aufregen. Insofern, glaube ich, kann man die Frage nicht so stellen: Ist es überflüssig oder längst an der Zeit? Wir reden über Sexismus ja schon seit 50 Jahren.
    Rohde: Aber wenn wir mal bei dem Fall bleiben, darüber möchte ich gleich noch sprechen, wenn wir dabei bleiben: Der Exbotschafter hat ja tatsächlich nur ein Kompliment gemacht! Darf man jetzt nicht mehr Komplimente machen? Das fragen sich ja viele Leute.
    Hark: Na ja, natürlich darf man Komplimente machen. Aber in einem Kontext, in dem Politikerinnen noch immer sehr oft die Erfahrung machen, nicht als kompetente Person wahrgenommen zu werden, sondern in erster Linie als Frauen. Also hier haben wir ein ganz klassisches Beispiel in der Geschlechterforschung, wie diese Art von stereotypen Erwartungen und Vorstellungen, die wir über Frauen und Männer haben, die Interaktion prägen, die Wahrnehmung prägen…
    Rohde: Und kann man dieses Problem lösen, also diese fehlende Kompetenz, die da wahrgenommen wird, indem man so was wie Sprechverbote erteilt? Also indem man sagt, so etwas darf man nicht mehr sagen, das wird auch öffentlich geahndet, so wie das jetzt gemacht wurde?
    "Es geht ja nicht um Sprechverbote"
    Hark: Na ja, aber das ist ja jetzt wieder die, sage ich jetzt mal, hysterische Reaktion der anderen Seite. Es geht ja nicht um Sprechverbote. Hier hat eine Frau einen Vorfall öffentlich gemacht, den sie so nicht erwartet hat, und hat versucht, eine Debatte in Gang zu setzen, in dem es sehr wohl darum geht: Wie interagieren Männer und Frauen im öffentlichen, in einem professionellen Kontext miteinander? Da reden wir überhaupt noch nicht über Sprechverbote oder dergleichen. Es geht ja nicht darum zu sagen, hier sollen keine Komplimente gemacht werden. Aber wir können uns schon fragen, ob ein professioneller Rahmen der Ort für Komplimente ist. Konstruieren wir den Fall einmal andersherum, die Staatssekretärin wäre ein junger Staatssekretär gewesen. Hätte dieser Botschafter gesagt, ach, einen so jungen und so gut aussehenden Mann hätte ich hier nicht erwartet? Das ist ein Fall, der ist kaum vorstellbar.
    Rohde: Und warum nicht?
    Hark: Weil … Die unmittelbaren Verknüpfungen, die wir machen, ist eben: Männlichkeit im öffentlichen Raum ist per se konnotiert mit Kompetenz, Weiblichkeit im öffentlichen Raum, in dieser Art von professionellen Kontexten könnte auch – und das ist eine Erfahrung, die ja viele Frauen in diesen Kontexten machen – die Sekretärin sein, die Assistentin, aber die Staatssekretärin?
    Rohde: Ich würde gern noch mal den Blick weiter und auf diese Debatte um den Hashtag "meetoo" auf Twitter gucken. Da haben ja in der vergangenen Woche viele Frauen mitunter auch sehr persönliche Erlebnisse von sexueller Belästigung und Vergewaltigung geschildert. Es gibt inzwischen den anderen Hashtag, der heißt "ihave", also "ich habe". Und der wird vor allem von Männern genutzt, um zu sagen: Auch ich bin schuld daran, dass es Sexismus gibt. Und da fragen sich ja einige: Ist das nicht total kontraproduktiv, wenn Frauen sich jetzt per se kategorisieren als Opfer und Männer als Täter?
    "Diese Art von Sprechen organisiert auch eine soziale Ordnung"
    Hark: Das sind unproduktive Verabsolutierungen, die uns in der Auseinandersetzung ja überhaupt gar nicht weiterbringen. Warum kann es nicht möglich sein, ein Problem zu benennen und erst mal zu versuchen zu verstehen, was daran ist denn jetzt genau sexistisch gewesen? Welche Art von Sprechen an welchem Ort ist angemessen und welche nicht? Und dann, erst nach der Analyse auch zu Handlungen zu kommen, zu Vorschlägen, wie es vielleicht anders sein könnte. Ich habe den Eindruck, dass wir gerade in der Geschlechterfrage die Chance sozusagen auf ein Verstehen irgendwie dadurch verstellen, dass wir ganz schnell immer in dieser Art von vereindeutigenden Verabsolutierung sind und in der Unterstellung, jetzt die Frauen oder gar die Feministinnen wollen den Männern mal wieder was verbieten. Was ein Unsinn! Worum es doch zunächst einmal geht, ist zu verstehen, wie diese Art von Sprechen beispielsweise auch eine soziale Ordnung organisiert. Also in einem ganz konkreten Kontext muss sich jetzt diese Staatssekretärin erst mal wieder von der Verweisung auf den Platz, jung und hübsch zu sein, herausarbeiten, um als kompetente Politikerin wahrgenommen zu werden.
    Rohde: Aber wir führen diese Debatten ja immer wieder, alle paar Jahre. Und so wirklich viel scheint sich nicht zu verändern. Kann man da nicht zu dem Schluss kommen, irgendwas machen die Frauen falsch? Also irgendwie geht die Strategie ja nicht auf, das ständig zu thematisieren, oder?
    Hark: Was ist die Alternative? Sollen sie davon schweigen?
    Rohde: Man müsste ja eine Strategie entwickeln, dass es sich verändert, dass man sieht, die Gleichberechtigung ist tatsächlich auch im Sprechen vorhanden.
    "Es ist nicht an den Frauen alleine, diese Strukturen zu verändern"
    Hark: Ich meine, ich bin mir selbst nicht sicher, ob die Art der Kommunikation irgendwie über Hashtags tatsächlich eine sehr produktive ist, aber vielleicht ist ja schon mal der Versuch von Männern unter diesem Hashtag "iam" [gemeint ist: "ihave"] der Versuch sozusagen, ihre eigene Involviertheit in eine … nennen wir es, was es ist: eine Gewaltstruktur zu thematisieren. Ich glaube ohnehin nicht, dass es an den Frauen alleine ist, diese Strukturen zu verändern, da gehören die Männer schon mit dazu.
    Rohde: Das heißt, Sie sehen uns aber eigentlich auf einem guten Weg gerade, also dass zumindest beide Seiten sich als Beteiligte in dieser Struktur sehen?
    Hark: Ja. Also als ich den Fall vor einigen Tagen mit meinen Studierenden, männlich und weiblich, diskutiert habe, kann ich sagen, dass die jungen Männer doch sehr erstaunt waren sozusagen über das Verhalten dieses Exbotschafters, und auch über die Reaktionen beispielsweise in den sozialen Netzwerken. Also die konnten das relativ wenig nachvollziehen, wieso jetzt sofort schon wieder die Unterstellung von Sprechverboten im Raum ist und warum nicht zunächst einmal versucht wird darüber zu sprechen, worum geht es hier eigentlich, und der Versuch, das zu verstehen.
    Rohde: Das sagt Sabine Hark, sie ist Soziologin und Genderforscherin an der TU Berlin. Danke für das Gespräch!
    Hark: Ja!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.