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Sexismus in der Werbung
Streit über Grenzen des guten Geschmacks

Sexismus hat in der Werbung schon eine lange Tradition. Dabei müssen es noch nicht einmal nackte Brüste sein, die gezeigt werden. Der Werbung mit den weiblichen Reizen hat eine Hamburger Initiative den Kampf angesagt. Sie plädiert für eine gesetzliche Regelung und ein Verbot. Werbefirmen halten das für wenig praktikabel.

Von Axel Schröder | 02.06.2016
    Pinkstinks-Demonstration vor dem Brandenburger Tor gegen Sexismus in der Werbung
    Pinkstinks-Demonstration vor dem Brandenburger Tor gegen Sexismus in der Werbung (imago / Christian Mang)
    Ganz ohne nackte Brüste kam der Sexismus der Fünfzigerjahre aus. Auch in hochgeschlossener Bluse, mit weißer Küchenschürze wusste die clevere Hausfrau, was zu tun ist, um den Gatten vom neuen, teuren Kleid zu überzeugen, ihn zu besänftigen: mit einem schmackhaften Kuchen:
    "Von mir selbst gebacken! Mit Dr. Oetker Backpulver Backin! – Kuchen macht uns Männer sanft. Und verträglich! Da kann das neue Kleid ruhig 100 Mark mehr kosten. Oder sagen wir: fünf!"
    Heute, 60 Jahre später braucht es den Holzhammer. Einen krachledernen Oliver Pocher, der als Berater in einem Elektronik-Markt handliche Videokameras anpreist. Vor ihm das Klischee eines Proleten-Pärchens. Er: Goldkettchen. Sie: vor allem Dekolleté:
    "Ich meine, ihr dreht doch privat – knick knack – Amateurfilme! Da habe ich genau die richtige Kamera für euch! Die hier! Übrigens komplett abwaschbar, falls es euch interessiert."
    Änderungen am Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vorgeschlagen
    Aber muss, darf Werbung tatsächlich so platt, so sexistisch zum Kauf animieren? Stevie Schmiedel von der Hamburger Initiative "pinkstinks" findet: auf gar keinen Fall. "Sexistische Werbung ist nicht die Dessous- oder Bikini-Werbung von den H&M-Plakaten. Dessous und Bikinis werden auf der nackten Haut getragen. Ein Problem ist es dann, wenn diese nackte oder sexualisierte Frau neben Hundefutter, Hanfseilen, Autoreifen oder Würstchen zu sehen ist."
    Oder eben neben Elektronikartikeln. 2009 entstand die pinkstinks-Initiative in England, seit 2012 gibt es auch ein deutsches Team. Das arbeitet in einem Hinterhof in Hamburg-Eimsbüttel. Auf dem Laptop zeigt Stevie Schmiedel ein paar Beispiele, um die es den Aktivistinnen und Aktivisten geht: "Oder hier: Dieser unglaublich tolle Zollstock, der wirklich ganz spannend ist, weil man nicht nur die Länge, sondern auch den Durchmesser messen kann. Der dann aber mit einem Kondom beworben wird und einem Hintern."
    Dem einer Frau, na klar. Deshalb wirbt pinkstinks für eine Gesetzesänderung: Das "UWG", das "Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb", soll ergänzt, sexistische Werbung verboten werden. Dass das aber wirklich funktioniert, bezweifelt Larissa Pohl von der Werbeagentur Jung von Matt: "Ist dann jede Parfüm-Werbung dann schon verboten, weil eine Frau da steht und sinnlich die Lippen hochzieht? Wer sagt: Ab diesem Zeitpunkt ist es nicht mehr in Ordnung?"
    Regelungen funktionieren in anderen Bereichen gut
    Und auch ihr Kollege Roland Bös von Scholz and Friends fragt, wie ein Verbot denn im Alltag der Werber praktisch umgesetzt werden soll: "Da sind wir dann irgendwann auch in einer Geschmacksdiskussion. Ich wüsste nicht, wo ich da nachschlagen sollte und wie wir dann schnell zu einer Lösung kommen sollten. Wir können ja nicht jedes Mal, wenn wir eine Anzeige schalten, den Bundesgerichthof anrufen."
    Genau das sei aber gar nicht nötig, kontert die Kölner Juristin Berit Völzmann. Ihre Dissertation "Zur Rechtmäßigkeit eines Verbots geschlechtsdiskriminierender Werbung" wollen die Hamburger pinkstinks-Aktivistinnen als Grundlage für die neue gesetzliche Regelung nutzen. Die Idee, dafür das "Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb" zu nehmen, stammt von Berit Völzmann. Am Ende müssten Richterinnen und Richter entscheiden, wo Sexismus anfängt und wo er aufhört, erklärt sie: "Das ist natürlich ein Problem. Wobei wir fließende Grenzen und Bewertungen natürlich überall im Recht haben. Wir haben zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe, die durch Gerichte ausgelegt werden müssen und das funktioniert in anderen Bereichen ganz wunderbar und da fragt sich auch niemand, ob das jetzt so funktioniert oder ob man Sachen deswegen lieber gar nicht regeln sollte, weil man sie nicht konkret bestimmen kann."
    In Norwegen funktioniere das sehr gut. Und zwar schon seit 2003, so Berit Völzmann. Auch im Bundesjustizministerium ist ihr Vorschlag, das "Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb" zu ergänzen, bekannt. Allerdings, so ein Sprecher, würden zu diesem Thema erst "Vorüberlegungen" angestellt. Wenn überhaupt, so der Sprecher weiter, müsste eine Verschärfung des Regelwerks dann aber noch weiter gefasst werden und beispielsweise auch rassistische Werbung miteinbeziehen. Der Deutsche Werberat lehnt die pinkstinks-Idee eines verschärften Gesetzes ab. Der Rat sei ein effektives Gremium, dass erfolgreich arbeite. Die Werbetreibenden selbst halten dieses Vorhaben aber nicht nur für kaum praktikabel. Vor allem sei das alles überflüssig, so Vincent Schmidlin von der Hirschen Group.
    Billig produzierte und billig funktionierende Werbung
    "Damit lassen sich 2016 weder kurz- noch langfristig die Verbraucher nicht mehr fangen. Meistens kommt ein Shitstorm und Umsatzeinbrüche. Umgehend! Und auch langfristig ist klar: Mit diskriminierenden oder sexistischen Attributen will doch keine Marke in Verbindung gebracht werden!"
    Tatsächlich bekommt die Hamburger pinkstinks-Initiative von genervten Bürgern meistens Fotos von sexistischer Werbung für mittelständische Betriebe aus der Provinz. Genau diese Betriebe wollten auch heute noch mit billig produzierter und billig funktionierender Werbung Kunden anlocken, erklärt Stevie Schmiedel von pinkstinks.
    "Und man könnte sagen, dass so, wie sich das bei Jung von Matt und Scholz and Friends geändert hat über die Jahre - nämlich durch öffentlichen Protest - könnte man doch sagen: Dann wird sich das auf dem Land auch regulieren, in den Kneipen, in den kleinen mittelständischen Betrieben. Nur: Dort scheint man nicht so viel die Facebook-Shitstorms ernst zu nehmen oder sich einfach von denen beeindrucken zu lassen. Und ich denke, da haben wir noch viele, viele Jahre vor uns, wo eine Gesetzesnorm unglaublich helfen würde."
    Natürlich würde der Sexismus in unserer Gesellschaft dadurch nicht besiegt. Aber es sei ein kleiner Schritt hin zu weniger Sexismus. "Und in einem Land, wo wir weiterhin eine große Gehaltsschere haben, unheimlich hohe Zahlen von sexualisierter Gewalt, wo über 40 Prozent der Elfjährigen ihren Körper ablehnen und viele andere Themen, denen wir noch entgegen gehen müssen, ist das eben ein Bild, das wir nicht mehr so unbedingt sehen wollen."