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Sexistische Werbung
Halbnackte Frauen und Macho-Männer

Die britische Werbeaufsicht macht Ernst und hat zwei sexistische Werbespots verboten. Auch in Deutschland registrierte der Werberat seit Jahresanfang über 1.500 Beschwerden wegen unangemessener Werbung. Vor allem ein Video sorgte für Ärger - wegen Männerfeindlichkeit.

Von Annika Schneider | 15.08.2019
Über ein Plakat, dasss eine Frau in Dessous zeigt steht mit schwarzer Sprühfarbe "Sexismus" geschrieben.
Sexismus oder legitime Werbung? Der Werberat orientiert sich bei dieser Entscheidung an klaren Richtlinien (imago/Steinach)
Frauen sind adrette Hausmütterchen, Männer die potenten Macher: Werbeclips und Anzeigen, die sich auf diese Darstellung beschränken, haben konkrete Folgen. Sie können dazu führen, dass Frauen sich weniger politisch engagieren wollen, bei Matheprüfungen schlechter abschneiden und sich weniger für Führungsrollen interessieren. So steht es in einer Studie der britischen Werbeaufsichtsorganisation Advertising Standards Authority (ASA), die 2017 Forschungsergebnisse zu stereotyper Werbung zusammentrug.
Es blieb nicht bei der Studie: Vor einem guten Jahr verabschiedete die ASA strengere Richtlinien, um sexistische Werbung zu vermeiden. Wie die Neuregelung sich praktisch auswirkt, zeigen nun zwei konkrete Fälle: Sowohl Volkswagen als auch der Lebensmittelkonzern Mondelez dürfen Werbevideos, gegen die es Beschwerden gegeben hatte, in Großbritannien nicht mehr ausstrahlen.
Überforderte Väter und passive Frauen
Der eine Clip zeigt überwiegend Männer: als Astronauten im Weltraum, als Sportler. Nur zwei Frauen sind für wenige Sekunden zu sehen, und das in ziemlich passiven Posen: eine schläft an einen Mann gekuschelt, eine zweite sitzt lesend neben einem Kinderwagen auf einer Bank. Im anderen Clip sind zwei Männer so fasziniert von den Frischkäse-Snacks in der Kantine, dass sie fast ihre Kinder vergessen - und somit als unfähige Väter dargestellt werden.
Auch in Deutschland sind Stereotype in Werbung ein Thema. Der Werberat veröffentlichte heute eine Bilanz für das erste Halbjahr 2019. Demnach war Geschlechterdiskriminierung der häufigste Grund für Beschwerden über Werbung. Um Seximus und Stereotype ging es immerhin in einem knappen Drittel der Beanstandungen.
Praxisleitfaden soll helfen
Die Firmen zeigten sich größtenteils einsichtig. In den vom Werberat monierten Fällen änderten oder stoppten 93 Prozent der kritisierten Unternehmen die entsprechende Werbung. Der Werberat sprach fünf öffentliche Rügen aus. Ein großer Teil der Beschwerden bezog sich auf einen Werbespot zum Muttertag über einen heillos überforderten Vater. "Danke Mama, dass du nicht Papa bist", heißt es am Ende.
Wie es anders geht, macht ein Praxisleitfaden deutlich, den der Werberat 2018 veröffentlicht hat: Die Broschüre erklärt anhand von Beispielen, welche Darstellungen das Gremium als Grenzüberschreitung wertet und welche nicht. Nicht jede Doppeldeutigkeit oder erotische Darstellung ist automatisch Sexismus. Die Slogans "Schlagen Sie jetzt zu", "Zum Vernaschen" oder "Miet mich" gelten in Verbindung mit Frauenfotos aber als unakzeptabel, weil sie Menschen zu Objekten degradieren.
Deutschlandkarte verortet Beschwerden
"Die Grenze zu Sexismus bei Werbespots ist genau dann überschritten, wenn festgelegt wird, was ein Geschlecht tun darf und was nicht", sagte die Genderforscherin Stevie Schmiedel im Dlf. Sie ist Geschäftsführerin von Pinkstinks. Die gemeinnützige Organisation engagiert sich seit 2012 für nicht-sexistische Werbung. Sie vergibt mit dem "Pinken Pudel" einen Preis für besonders progressive Kampagnen und betreibt einen Werbemelder, über den sexistische Anzeigen gemeldet werden können. Pinkstinks bewertet die Fälle anschließend und stellt sie auf einer Deutschlandkarte dar.
Stevie Schmiedel, Geschäftsführerin von Pinkstinks
Stevie Schmiedel engagiert sich als Geschäftsführerin von Pinkstinks gegen sexistische Werbung (Yvonne Schmedemann/Pinkstinks)
Manche Unternehmen scheinen es geradezu darauf anzulegen, auf dieser Karte zu landen: Sie provozieren gezielt mit sexistischen Slogans – in dem Wissen, dass jede Kritik gleichzeitig Aufmerksamkeit bringt.
Gezielte Provokation für mehr Klicks
So agierte beispielsweise eine inzwischen eingestellte Modemarke, die besonders bei jungen, alternativen Menschen beliebt war. Sie fiel 2017 durch stark sexualisierte bis geschmacklose Namen für ihre Sweatshirts auf, darunter zum Beispiel das Modell "Dreisisch Euro swansisch Minut", das auf Prostitution anspielt.
Auch ein Smoothie-Hersteller verschafft sich mit provokanten Slogans Aufmerksamkeit – einige davon sexistisch, andere rassistisch. Jüngstes Beispiel ist eine Werbung für ein Fruchtgetränk, das mit einer "hässlichen Freundin" verglichen wird, auf deren inneren Werte man sich am besten bei ausgeschaltetem Licht konzentrieren könne.
Die Firma schaffe es meistens, mit ihrer Werbung in einer Grauzone zu bleiben, sagte Schmiedel in @mediasres. Das Paradoxe daran: Jede Kritik an der Werbung erhöht die Klickzahlen auf den Social-Media-Kanälen der Marke.
Eine Rüge vom deutschen Werberat habe in Deutschland aber auch weniger Auswirkungen als in Großbritannien. Zwar würden große Firmen und Werbeagenturen das ernster nehmen als ein Handwerker irgendwo auf dem Land. "In England hingegen ist so eine Auswirkung einer Rüge sehr viel stärker", erklärte Schmiedel. Die ASA werde dort sehr viel ernster genommen: "Da handelt man dann auch gleich, wenn man gerügt worden ist."