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Sexualisierte Gewalt im Sport
Aufarbeitung braucht langen Atem

Eine Entschuldigung und die Ankündigung, das Geschehene besser aufzuarbeiten: Das haben Betroffene von sexualisierter Gewalt im Sport auf einer Veranstaltung bekommen, zu der die Aufarbeitungskommission der Bundesregierung eingeladen hatte. Nun müssen Taten folgen.

Von Andrea Schültke | 28.11.2020
Kinder laufen über eine Laufbahn, zu sehen sind nur die Beine, unscharf.
Die Ankündigungen einer Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Sport und die Einladung zu Gesprächen werten Betroffene als positives Signal. (Thomas Imo/imago)
"Ich möchte an dieser Stelle – und zwar nicht nur persönlich, sondern im Namen des organisierten Sports – alle Betroffenen, auch diejenigen, von denen wir bisher noch nicht wissen, für das Leid, was ihnen widerfahren ist, um Entschuldigung bitten."
So die Worte von Petra Tzschoppe, Vizepräsidentin des Deutschen Olympischen Sportbunds, Mitte Oktober auf einer Veranstaltung in Berlin, einem Hearing der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung. Das Thema: "sexualisierte Gewalt im Sport". Betroffene hatten sich auf einen Aufruf bei der Kommission gemeldet und erzählt, welches Leid ihnen im Sport widerfahren ist. Zugehört haben neben Petra Tzschoppe weitere Vertreter und Vertreterinnen des organisierten Sports. Die Veranstaltung hat Wirkung hinterlassen.
Es müssen Taten folgen
Gitta Schwarz ist eine gestandene Frau. Sie wirkt selbstbewusst und entschlossen. Vor fast 40 Jahren hat sie als Teenager durch ihren Reitlehrer sexuelle Übergriffe erfahren. Taten, die sie inzwischen für sich aufgearbeitet hat. Wohl auch deshalb konnte Gitta Schwarz auf der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission erstmals öffentlich über das Geschehene sprechen. Die Entschuldigung von DOSB-Vizepräsidentin Petra Tzschoppe galt auch ihr.
"Mit einer Entschuldigung habe ich zu der Zeit von niemandem gerechnet", sagt Schwarz, "ich habe die Entschuldigung als aufrichtig wahrgenommen. Was sie jetzt am Ende wert ist, muss sich zeigen. Weil, es soll ja nicht damit getan sein, sich zu entschuldigen, sondern es müssen jetzt auch Taten folgen."
Gitta Schwarz (l.) auf einem Hearing der Aufarbeitungskommission der Bundesregierung im Jahr 2020: Als Teenager war sie selbst von sexualisierter Gewalt im Sport betroffen - heute setzt sie sich für Aufarbeitung und Prävention ein.
Gitta Schwarz (links, hier mit der Politikerin Christine Bergmann) war als Teenager selbst von sexualisierter Gewalt im Sport betroffen - heute setzt sie sich für Aufarbeitung und Prävention ein. (Andrea Schültke/Deutschlandfunk)
So wie Gitta Schwarz sieht es auch die ehemalige Fußballerin Nadine: "Als Symbol fand ich das sehr anrührend und auch gut, weil die Aussage dahinter für mich einfach war: Wir erkennen das an, dass Aufarbeitung noch nicht richtig stattgefunden hat. Und das ist das, was ich für mich da so rausnehme."
Nadine hat vor knapp zwei Jahren im Deutschlandfunk erstmals öffentlich gesprochen über die sexuellen Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen durch Fußballbetreuer. Das Ganze liegt 30 Jahre zurück. Wie Gitta Schwarz hat auch die Fußballerin jahrelang mit den Folgen der Übergriffe gekämpft und tut es noch heute. Aber auch Nadine ist eine starke, mutige Frau und hat bei der Veranstaltung der Aufarbeitungskommission vor Publikum über ihre Geschichte gesprochen.
Haltung verändert
Vor Ort zugehört hat auch Christina Gassner, Geschäftsführerin der Deutschen Sportjugend (dsj). Nicht zuletzt durch die Schilderungen der Betroffenen habe sich die Haltung des organisierten Sports beim Thema sexualisierte Gewalt verändert: "Für uns als DSJ geht es darum, noch mehr vom Thema Prävention jetzt den Fokus vor allen Dingen im kommenden Jahr auf das Thema Aufarbeitung zu richten."
So Christina Gassner vor drei Tagen beim "Forum Safe Sport", der alljährlichen Veranstaltung der Deutschen Sportjugend zum Thema sexualisierte Gewalt, in diesem Jahr auf digitalem Weg. Im Umgang des organisierten Sports mit dem Thema müsse es neben der "Kultur des Hinsehens" auch eine "Kultur des Handelns" geben, meint Gassner:
"Und da sind wir gerade dran, das konkret in Angriff zu nehmen, wie sich der organisierte Sport mit dem Thema Aufarbeitung systematisch beschäftigen und dem ganzen Thema nähern kann. Wir würden das gerne machen, orientiert natürlich an den Bedürfnissen der Betroffenen und auch mit konkreter Einbeziehung von Betroffenen in den Prozess als beratende Personen."
Bereits bei der Veranstaltung in Berlin habe Christina Gassner sie angesprochen, ihr von dem Plan berichtet, schildert Nadine: "Im Nachhinein habe ich es nicht mehr so richtig geglaubt, weil ich so gedacht habe, ja, es ist wieder eine Ankündigung wie sie schon öfter gemacht worden sind. Und da sie das jetzt ja aber offiziell bei so einem Meeting gesagt hat, denke ich, dass es doch ernst gemeint ist und der Sinn der Aufarbeitungen einigermaßen verstanden wurde und angegangen wird. Ich bin gespannt."
Einladung zu Gesprächen
Auch der ehemaligen Reiterin Gitta Schwarz ist es wichtig zum Beispiel aufzuzeigen, wie es im Sport zu den Taten kommen konnte. Selbstverständlich müssten dazu die Betroffenen angehört werden. Die Bereitschaft zum Gespräch hat sie von vielen Seiten festgestellt, nachdem sie in Berlin öffentlich ihre Geschichte erzählt hat:
"Also ich bin zum Beispiel von der Reiterlichen Vereinigung angeschrieben worden, aber auch seitens der politischen Gremien. Mit dem Innenministerium z.B. werde ich mich diese Woche auch einmal kurz unterhalten können, um zu sehen, wie man im präventiven Ansatz da weitermachen kann, was notwendig und was sinnvoll ist."
Dicke Bretter bohren
Das für Sport zuständige Bundesinnenministerium hat auch die ehemalige Fußballerin Nadine zu einem Gespräch eingeladen. Es klingt, als hätte auch ihre Geschichte Verantwortliche zum Handeln bewegt. Wie etwa die Deutsche Sportjugend, die Betroffene in den Aufarbeitungsprozess einbinden will: "Meine Daten haben sie, sie könnten mich kontaktieren. Ich wäre gerne bereit dazu, den Weg mit anzustoßen, dass Aufarbeitung angegangen wird."
Bei der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Sport mitwirken. Dazu ist auch die ehemalige Reiterin Gitta Schwarz bereit: "Es ist möglich, etwas zu verändern. Das ist sicherlich ein dickes Brett, was man da bohrt. Man wird langen Atem brauchen, aber den habe ich."
Die Ankündigungen einer Aufarbeitung sexualisierter Gewalt im Sport und die Einladung zu Gesprächen werten Betroffene als positives Signal. Es hat Hoffnungen geweckt. Nun ist es an den Verantwortlichen, diese nicht zu enttäuschen.