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Sexualisierte Gewalt
"Jede Geschichte zählt"

In Berlin hat sich die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs offiziell vorgestellt. Sieben Kommissionsmitglieder wollen unabhängig und unter verschiedenen Gesichtspunkten Ansprechpartner sein für Betroffene sexuellen Missbrauchs in Familien und Institutionen. Auch aus dem Sport.

Von Andrea Schültke | 03.05.2016
    Die Mitglieder der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im Haus der Bundespressekonferenz.
    Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs bei ihrer Vorstellung. (Andrea Schültke)
    "Wir wollen es wirklich wissen", sagt Sabine Andresen mit Nachdruck. Die Professorin für Sozialpädagogik ist Vorsitzende der Kommission. Sie ruft Betroffene auf, ihre Geschichte zu erzählen – auch aus dem Sport: "Nach allem, was wir wissen, sind die Sportinstitutionen ein Ort für Kinder und Jugendliche, in dem sie zu Opfern werden können."
    Die, die es geworden sind oder Missbrauch beobachtet haben, bittet Andresen, das Schweigen zu brechen. Zu erzählen, in einem geschützten Raum, unterstützt durch fachliche Beratung. Für solche Anhörungen werden die Kommissionsmitglieder zu den Betroffenen reisen.
    Zu bestimmten Themenschwerpunkten soll es auch öffentliche Anhörungen und Fachtagungen geben. Die Kommissions-Vorsitzende hat viele Ideen, das Themenfeld Sport näher zu beleuchten: "Wir können Sportinternate gestern und heute und sexuelle Gewalt in Sportinternaten in Ost und West gesondert anschauen. Ich bin mir sicher, dass man da zu sehr aufschlussreichen Erkenntnissen kommen könnte."
    Missbrauchsstrukturen aufdecken
    Der organisierte Sport werde die Arbeit der Kommission unterstützen. Es gebe eine entsprechende Vereinbarung, berichtet Johannes-Wilhelm Rörig. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung erklärte, auch Forschungsprojekte an der Sporthochschule Köln zum Thema werden in die Arbeit der Kommission einfließen "und dass beispielsweise auch Mitglieder des bei mir begründeten Betroffenenrates in diesen Projekten aktiv mitarbeiten können. Da habe ich mich über diese Zusammenarbeit sehr gefreut."
    Drei Jahre lang wird die Kommission nun Betroffene und Zeitzeugen anhören, in Archiven wühlen, versuchen Missbrauchs-Strukturen aufzudecken. Hauptsächlich finanziert vom Bundesfamilienministerium, aber ohne gesetzlichen Auftrag will sie eine Auseinandersetzung mit dem Thema sexueller Kindesmissbrauch in allen gesellschaftlichen Bereichen ins Rollen bringen.
    Mathias Katsch hat am Berliner Canisius Colleg sexuellen Missbrauch erlebt. Er ist ständiger Gast der Aufarbeitungskommission und sieht in ihrer Unabhängigkeit eine Chance für den Sport: "Der Sport ist ähnlich wie andere religiöse Institutionen, alle Beteiligten sind sehr miteinander verwoben und in Beziehung wie in der Familie auch. Da ist es ganz schwer, das Schweigen zu brechen. Und ich hoffe sehr, dass die Kommission Anstöße geben kann, damit Betroffene aus diesem Kreise heraustreten und sich Gehör verschaffen, damit wir auch diesen Bereich besser ausleuchten können als wir das in der Vergangenheit konnten."

    Nähere Informationen im Netz auf der Seite der Aufarbeitungskommission