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Sexualität in der arabischen Welt

Wie Menschen in der islamischen Welt über Sexualität denken, dieser Frage geht Shereen El Feki in ihrem Buch "Sex und Zitadelle" nach. Sie hat mit gewöhnlichen Frauen und Männern ebenso gesprochen wie mit Wissenschaftlern und Experten aus dem Gesundheitswesen.

Von Bettina Köster | 28.03.2013
    Ausschnitt aus einem aktuellen arabischen Kurzfilm:

    "Mann: Du willst Sex haben?
    Frau: Ja, ich will Sex haben.
    Mann: Hier, auf dem Tisch?
    Frau: Nein, ich weiß nicht, ich dachte ...
    Er: Vor der Hochzeit?"

    Heirat und Jungfräulichkeit. Das sind immer noch die großen Themen, die in arabischen Ländern mit Sexualität verbunden werden. Außerdem ist Sexualität keine rein individuelle Angelegenheit, denn mit der Heirat sind familiäre und gesellschaftliche Erwartungen verknüpft. Der Mann sollte beispielsweise eine eigene Wohnung haben und seine Frau gut versorgen können. Und: Schon kurz nach der Heirat wartet der ganze Familienclan auf das erste Kind. Wenn das nicht kommen will, dann leiden die Familien mit. Wer es sich leisten kann, denkt schließlich über künstliche Befruchtung nach. Das ist der Tenor, die Grundeinstellung bei den meisten arabischen Menschen, wenn man mit ihnen über Sexualität spricht, erklärt Dr. Shereen El Feki, die mit ganz gewöhnlichen Menschen sowie Experten aus dem Gesundheitswesen und der Wissenschaft intensive Interviews geführt hat. Studien über sexuelle Einstellungen oder Verhalten in der arabischen Welt gibt es nicht. Sexualität wurde eher problemorientiert erforscht, beispielsweise im Kontext von HIV-Infektionen und Geschlechtskrankheiten. Ihrer Meinung nach geht es aber jetzt gerade nach der Revolution darum, auch Sexualität mehr in den gesellschaftlichen Diskurs zu platzieren und mehr über Einstellungen und Verhalten herauszufinden.

    "Wie können wir die Gleichheit zwischen Mann und Frau im öffentlichen Leben fordern, wenn sie im Schlafzimmer nicht respektvoll und auf einer Augenhöhe miteinander reden können? Meiner Meinung nach sind die Bereiche ganz eng miteinander verknüpft und verstärken sich gegenseitig. Der öffentliche und der private Bereich gehen sozusagen ineinander über und ich glaube, beide Bereiche sind wichtig, um die Ziele der Millionen von Menschen, die auf die Straße gegangen, sind zu erreichen."

    Mit dieser Auffassung blickte die Forscherin erst einmal in erstaunte Gesichter, als sie mit verschiedenen Aktivisten in Kairo Gespräche führte. Auf Abwehr stieß sie auch, als sie über das Nacktfoto einer ägyptischen Frau Ali al Mahdi sprechen wollte. Die hatte vorher bereits für große Aufregung und Widerstand in der arabischen Gesellschaft gesorgt, weil sie das Nacktfoto als Ausdrucksfreiheit verstanden wissen wollte:

    "Die meisten Konservativen waren außer sich, als das Foto durchs Netz gereicht wurde und es gab eine richtige Protestwelle gegen sie. Aber nicht nur die Konservativen waren dagegen, sondern auch die große politische Freiheitsbewegung der 6. April, die maßgeblich an der Revolution beteiligt war, sagte: Nein, das hat nichts mit uns zu tun. Eine solche Revolution wollen wir nicht. Aber als ich mich mit ihnen zusammensetzte und ihnen die Zusammenhänge zwischen persönlicher und politischer Freiheit erklärte, dann haben sie das verstanden und wollten auch wissen, wie sie das umsetzen können."

    Natürlich wird es in den arabischen Gesellschaften wohl nie eine freie Sexualität nach westlichem Modell geben. Shereen el Feki meint aber, dass die Menschen ihren eigenen Weg finden werden, eine offenere Haltung zur Sexualität zu finden. Vorbilder in der islamischen Geschichte gibt es ihrer Ansicht nach genug:

    "Wenn wir über sexuelle Freiheit sprechen, dann reden wir immer über die Freiheiten innerhalb der Grenzen des Islams. Und es war sehr interessant, mit Aktivisten über verschiedene Interpretationen von Sexualität und sexuellem Verhalten innerhalb des Islams zu diskutieren. Vor vielen Jahrhunderten wurde beispielsweise sehr viel offener, freier und toleranter über diese Themen gesprochen. Und heute herrschen eben diese engen islamischen Interpretationen vor, die kaum Spielraum für Gespräche über Sexualität haben. Wenn ich aber mit den jungen Menschen über die islamische Geschichte rede und über die Entwicklung des Islam, dann werden sie immer ganz neugierig, weil sie gar nichts über diese Möglichkeiten wussten."

    Zu den tabuisierten Facetten von Sexualität gehört auch der ganze Bereich der Homosexualität. In der breiten arabischen Öffentlichkeit wird die Liebe zum eigenen Geschlecht, als etwas extrem Schlechtes gesehen. Und Homosexualität ist wie eine Art Importgesinnung aus dem Westen, die schädlich ist und mit der man nichts zu tun haben möchte. Keine besonders konstruktive Art mit dem Thema umzugehen, meint El Feki. Gleichzeitig beobachtete sie aber eine lebhafte und sehr offen geführte Debatte und Austausch im Internet:

    "Wenn man ins Netz schaut, dann findet man dort eine ganze Reihe Blogs, Chatrooms und Twitter-Nachrichten, in denen viele über ihr Leben als Homosexuelle berichten, sowohl Männer als auch Frauen tauschen sich da aus. Und das Interessante daran ist, dass sie im Austausch versuchen Wege zu finden, um ihre Rechte durchzusetzen, aber nicht als eine spezielle Minderheit, also als sexuelle Minderheit. Nein, sie fragen sich viel mehr, wie sie Teil der großen Bewegung sein können, die sich für Gerechtigkeit, Freiheit, Würde und Gleichheit für alle Menschen einsetzen. Sie kennen zwar die Geschichte der Schwulenbewegung in den USA, aber viele arabische Homosexuelle sagen: Das ist nicht unser Weg."

    Ein weiteres Tabuthema, das besonders im Fokus der Medien in den vergangenen Monaten stand, ist die sexuelle Gewalt gegen Frauen bei den Protestbewegungen der Aktivisten. Sexuelle Belästigungen gegen Frauen haben in den vergangenen Jahren zwar deutlich zugenommen berichteten Nichtregierungsorganisationen. Die extremen Formen am Tahrir-Platz waren aber nach Einschätzung von Experten politisch motiviert. Denn wer in der arabischen Welt eine Frau angreift, greift nicht nur sie, sondern ihren Mann und die ganze Familie an. Und so kann man ganz schnell ein Riesenchaos in der Gesellschaft initiieren, sagt Shereen el Feki. Sie sieht zwar die Tragik dieser Ereignisse, aber gleichzeitig auch eine Riesenchance für die Gesellschaft:

    "Ich glaube das interessante, wenn auch sehr tragische an diesen Übergriffen ist, dass Frauen jetzt viel schneller und einfacher über sexuelle Belästigung reden. Es gab viele Frauengruppen, die ihre Rechte auf Sicherheit, Freiheit und Mobilität zum Ausdruck gebracht haben. Dass sie überhaupt bereit waren über das Erlebte zu sprechen, selbst, wenn ihre Männer neben ihnen saßen, ist etwas Besonderes. Und auch die Männer sagten, so etwas wollen wir auch in Zukunft nicht unter den Teppich kehren, so wie wir das früher mal getan haben. Jetzt wollen wir offen darüber reden und es ist das Recht meiner Frau, offen darüber in der Öffentlichkeit zu reden. Das ist doch eine bemerkenswerte Form der Transformation, finde ich."