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Sexualstrafrecht
Bundestag beschließt "Nein heißt Nein"

Der Bundestag hat den Grundsatz "Nein heißt Nein" im Sexualstrafrecht beschlossen. Danach wird eine sexuelle Handlung auch dann als Vergewaltigung gewertet, wenn sich das Opfer nicht aktiv wehrt.

07.07.2016
    Bei einer Demonstration werben Frauen für das Prinzip "Nein heißt Nein" im Sexualstrafrecht.
    Bei einer Demonstration werben Frauen für das Prinzip "Nein heißt Nein" im Sexualstrafrecht. (dpa/ Wolfgang Kumm)
    Über die drei neuen Regelungen wurde separat abgestimmt. Während die Verschärfung des Vergewaltigungsparagrafen einstimmig verabschiedet wurde, gab es bei den Neuregelungen zur sexuellen Belästigung und Taten, die aus Gruppen heraus begangen werden, Gegenstimmen aus der Opposition.
    Frauenrechtlerinnen, Feministinnen und Betroffene haben darauf lange gewartet: Nach dem Grundsatz "Nein heißt Nein" macht sich künftig nicht nur strafbar, wer Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Das Opfer muss sich nicht mehr physisch zur Wehr setzen. Vielmehr reicht es aus, wenn sich der Täter über den "erkennbaren Willen" - beispielsweise ein klar ausgesprochenes Nein - des Opfers hinwegsetzt.
    Nicht nur damit wird das Sexualstrafrecht deutlich verschärft. Darüber hinaus wird ein neuer Straftatbestand der sexuellen Belästigung eingeführt. "Begrapschen" fällt damit unter das Strafrecht. Bisher wurde beispielsweise sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nur innerhalb des Arbeitsrechts geahndet. "Hier wird die Strafbarkeit ausgeweitet", erklärt Deutschlandfunk-Korrespondentin Gudula Geuther.
    Positive Reaktionen
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sieht die im Bundestag anstehende Verabschiedung des Gesetzes als "wesentlichen Schritt" zum Schutz von Frauen in Deutschland. Die Reform sei dringend notwendig, "um eklatante Schutzlücken zu schließen". Auch die Grünen-Politikerin Renate Künast nennt die Verschärfung des Sexualstrafrechts mit dem "Nein heißt Nein"-Grundsatz einen historischen Schritt. "Wir haben nie akzeptiert, dass eine Frau sich wehren muss, damit eine Vergewaltigung auch als solche bestraft werden kann", sagte Künast. Zugleich lehnen Grüne und Linkspartei aber Teile des Gesetzes ab, was sie in Einzelabstimmungen deutlich machen wollen.
    Kritik an der Gruppenbestrafung
    Die Kritik der Oppositionsparteien bezieht sich auf eine weitere Neuregelung: Als Folge aus den massenhaften sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln wird zudem der Straftatbestand sexueller Angriffe aus einer Gruppe heraus ins Gesetz aufgenommen. Hier sollen auch jene bestraft werden können, die zwar Teil der Gruppe, jedoch an der Tat nicht beteiligt waren. Künast erklärte dazu: "Wir können dem Gesamtentwurf nicht zustimmen, weil faktisch darin eine Erpressung steckt: Die CDU/CSU hat ein Gruppendelikt eingeführt, das wir für verfassungswidrig halten." Die Regelungen seien zu ungenau gefasst und könnten dazu führen, dass beispielsweise alle an einem Handyraub beteiligte Jugendliche auch wegen eines Sexualdelikts angeklagt würden, weil einer aus ihrer Gruppe das Opfer sexuell belästigt habe, so Künast. "Ich kann nur warnen: Diese Regelung wird nicht nur an der Kölner Domplatte gelten, sondern sie wird auf jedem Schulhof in Deutschland gelten."
    Auch die Sexualstrafrechts-Professorin Monika Frommel hält die Gruppenbestrafung für verfassungswidrig. Der Gesetzentwurf sei "Unsinn", sagte Frommel im Deutschlandradio Kultur. Der neu gefasste Paragraf 177 des Strafgesetzbuchs - sexuelle Nötigung und Vergewaltigung - hat auf besonderen Wunsch von CDU und CSU auch Folgen für Bestimmungen im Aufenthaltsgesetz. Demnach kann eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe schneller zu einer Ausweisung führen. Auch daran übt die Opposition Kritik.
    Systemwechsel im laufenden Gesetzgebungsverfahren
    Bundesjustizminister Maas hatte seinen Gesetzentwurf zur Reform des Sexualstrafrechts bereits im April vorgelegt. Die "Nein heißt Nein"-Regelung war darin zunächst nicht vorgesehen. Bundesrat und Bundestag war dieser Entwurf nicht weit genug gegangen, insbesondere nach den Erfahrungen aus der Silvesternacht in Köln. Während des laufenden Gesetzgebungsverfahrens musste der Entwurf deshalb noch einmal völlig umgeschrieben werden. Ende Juni stellten die Unionsparteien und die SPD einen gemeinsamen Reformantrag, die Rechtspolitiker der Großen Koalition klärten zuletzt innerhalb weniger Tage die noch offenen Fragen. Der Bundesrat will sich allerdings erst nach der Sommerpause mit dem Gesetz befassen.
    Nach Einschätzung von Deutschlandfunk-Korrespondentin Gudula Geuther ist jetzt schon klar, dass der Gesetzgeber sich in der kommenden Legislaturperiode das Sexualstrafrecht erneut grundsätzlich vornehmen soll. Denn zum einen gebe es noch Wertungswidersprüche im Strafrahmen, weil etwa die Mindeststrafe von sechs Monaten beim neuen Straftatbestand des sexuellen Übergriffs genauso hoch ist wie beim sexuellen Missbrauch von Kindern. Zum anderen tage derzeit eine Kommission, die in diesem Herbst Ergebnisse vorstellen will, die jetzt nicht abgewartet wurden.
    (nin/vic/tgs)