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Sexualstrafrecht
"Die neue Regelung ist tatsächlich ein Meilenstein"

Die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Katja Keul, bezeichnete im DLF die Reform des Sexualstrafrechts als "das Ende eines ganz langen Prozesses". Die Debatte sei nicht erst seit Köln geführt worden, sondern laufe seit Jahrzehnten. Kritik an dem neuen Gesetz wies Keul zurück.

Katja Keul im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.07.2016
    Die Grünen-Politikerin Katja Keul im Bundestag
    Bezeichnet die Reform des Sexualstrafrechts als "Meilenstein": Die Grünen-Politikerin Katja Keul. (picture alliance / dpa / Lukas Schulze)
    "Ich sehe keinerlei Fälle, die in irgendeiner Weise von der Strafbarkeit in die Straflosigkeit driften", sagte die Rechtsexpertin der Grünen im Interview mit dem Deutschlandfunk. Trotzdem löse die Reform des Sexualstrafrechts natürlich nicht die Frage der Beweisbarkeit. Das sei jedoch auch nicht Ziel der Reform gewesen.
    Der Bundestag hatte mit großer Mehrheit eine Verschärfung des Sexualstrafrechts beschlossen. Damit wird das Prinzip "Nein heißt Nein" im Gesetz verankert. Für den Tatbestand der Vergewaltigung reicht es künftig aus, wenn das Opfer seine Ablehnung durch Worte oder Gesten zum Ausdruck bringt. Der Gesetzentwurf von Justizminister Maas war nach den Übergriffen in der Silvesternacht noch einmal überarbeitet worden. So sind auch sexuelle Angriffe aus einer Gruppe heraus und aufdringliches Grapschen künftig Straftatbestände.

    Das Interview mit Katja Keul in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Das Prinzip "Nein heißt Nein" ist der Kern dieser Reform. Was verbessert sich damit konkret für Opfer von Vergewaltigungen? Das habe ich vor dieser Sendung Katja Keul gefragt, die Rechtsexpertin der Grünen im Bundestag.
    Katja Keul: Die neue Regelung zum 177 ist tatsächlich ein Meilenstein, weil bisher - und die Debatte läuft ja schon Jahre und nicht erst seit Köln - haben wir das Problem, dass ein erkennbar ungewollter Geschlechtsverkehr noch lange keine Straftat ist, sondern dazu musste das Opfer immer zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen nachweisen. Entweder es hat Widerstand geleistet, oder es gab eine zusätzliche Nötigung, und das entspricht auch nicht der Istanbul-Konvention, die die Bundesregierung ratifiziert hat. Ab heute haben wir jetzt einen klaren Grundtatbestand, dass wenn man sieht und erkennt, dass jemand die sexuelle Handlung nicht will, die dann auch nicht stattfinden darf.
    Barenberg: Einige Fachleute halten das Gesetz ja trotzdem für unnötig, möglicherweise sogar für kontraproduktiv. Das Argument: Es gibt Situationen, vor allem in Beziehungen, die bisher strafbar wären oder waren, jetzt nach der neuen Reform bei strenger Auslegung aber nicht mehr strafbar sind. Was antworten Sie auf solche Kritik?
    Keul: Das halte ich schlicht für Unsinn. Das Fallbeispiel ist mir nicht untergekommen, dass irgendwas in einer Beziehung strafbar gewesen wäre, was es jetzt nicht ist. Wir haben die Rechtsprechungen der letzten Jahrzehnte wirklich ausgewertet. Da haben auch die Frauenverbände eine große Unterstützung geleistet.
    Und es gab immer wieder Fälle, wo die Verfahren eingestellt werden mussten, oder Freisprüche ergingen, nicht wegen Beweisschwierigkeiten, wo klar war, was passiert war, sondern aufgrund dieses mangelnden Tatbestandes dann - schwere Taten, da ging es auch wirklich um Geschlechtsverkehr, aber teilweise auch wirklich mit Tötungsdelikten in Verbindung - nicht die Sexualstraftat verurteilt werden konnte.
    "Die Reform des Tatbestandes löst nicht die Frage der Beweisbarkeit"
    Barenberg: Ich glaube, das juristische Argument - ich bin auch kein Jurist; Sie sind Juristin - war, dass ein bedingter Vorsatz in bestimmten Situationen ausreichte. Das heißt, der Täter musste zumindest damit rechnen, dass der andere einen Geschlechtsverkehr nicht will. Jetzt muss ein erkennbarer Wille dokumentiert sein, und das wirft dann neue Schwierigkeiten auf und möglicherweise auch neue Schutzlücken.
    Keul: Nein, das ist so nicht. Erkennbar muss natürlich alles sein. Es gab eher eine Diskussion unter den Fachleuten, ob das nötig ist, dass dieses "erkennbar" da reinzuschreiben oder nicht, weil wenn ich etwas gar nicht erkennen konnte, dann kann ich auch keinen Straftatbestand erfüllen. Das ist auch eine Frage des Vorsatzes. Ich sehe keinerlei Fälle, die in irgendeiner Weise von der Strafbarkeit in die Straflosigkeit driften.
    Barenberg: Die Studien sagen uns ja, dass nur etwa zehn Prozent aller Vergewaltigungen überhaupt angezeigt werden, und wir wissen außerdem, dass bei Strafprozessen nur jede achte mit einer Verurteilung endet. Wird sich das jetzt quasi automatisch drastisch verändern, verbessern sozusagen?
    Keul: Nein, das ist auch nicht Ziel dieser Reform. Die Reform des Tatbestandes löst ja eins nicht, nämlich die Frage der Beweisbarkeit. Das wird immer so sein. Man wird natürlich immer in einer gerichtlichen Hauptverhandlung erst mal den Sachverhalt feststellen müssen. Das war in der Vergangenheit so und das wird in der Zukunft so sein. Und die Beweisbarkeit ist natürlich gerade bei Sexualdelikten häufig ein Problem, wenn nur zwei Personen dabei waren.
    Aber was wir nicht mehr haben ist, dass wirklich gravierende Fälle, die wir alle für strafbar halten würden, wenn ich die schildere, dass die sozusagen an dem Nötigungsmerkmal scheitern und deswegen nicht geahndet werden können. Das wird in Zukunft dann nicht mehr sein.
    "Das ist populistischer und verfassungswidriger Unsinn, den die CSU da reingehandelt hat"
    Barenberg: Ein Teil dieser Reform, die heute beschlossen wurde, ist umstritten. Sie haben sich auch kritisch dazu geäußert. Es geht um Sexualstraftaten, die aus Gruppen heraus begangen werden, wo jetzt der Grundsatz gelten soll, dass auch Mitglieder dieser Gruppe belangt werden können, egal ob der Einzelne sich beteiligt hat an den sexuellen Übergriffen oder nicht. Was sehen Sie kritisch an diesem Teil der Reform?
    Keul: Ja, das ist nun wirklich ein populistischer und verfassungswidriger Unsinn, den die CSU da reingehandelt hat. Das soll jetzt die Antwort auf Köln sein. Ich meine, es ist schon immer problematisch, wenn aufgrund von einzelnen Vorfällen Gesetze gemacht werden. Aber das, was da jetzt reingeschrieben worden ist, geht wirklich gar nicht, weil nach unserer Verfassung und nach dem, was seit 150 Jahren gilt, kann jeder nur nach seiner individuellen Schuld bestraft werden. Das ist ein rechtsstaatliches Grundprinzip auch.
    Und was man da jetzt reingeschrieben hat, um was es geht ist, wenn zehn Leute sich verabreden, ein Handy zu klauen, dann steht in der Begründung, dann begehen die typischerweise auch ein Sexualdelikt. Das ist einfach wirklich Humbug. Derjenige, der eine Straftat fördert, kann natürlich nur für die Tat bestraft werden, die er fördert, und nicht für eine völlig andere Tat eines anderen, mit der er nichts zu tun hat.
    "Eine Formulierung, die auch den internationalen Standards entspricht"
    Barenberg: Zum Schluss: Sie haben Meilenstein gesagt. Es wurde heute auch von einem historischen Schritt gesprochen, von einem Paradigmenwechsel. Ist das aus Ihrer Sicht tatsächlich gerechtfertigt, das so hoch zu hängen, sage ich mal?
    Keul: Ja. Ich würde es so hoch hängen, weil es vor allen Dingen das Ende eines ganz langen Prozesses ist. Das ist nichts, was irgendwie jetzt gerade zufällig um die Ecke kommt. Deswegen wehre ich mich immer dagegen, wenn gesagt wird, das hat Köln ausgelöst. Das ist eine Diskussion, die seit Jahrzehnten geht, und man hat schon 1997 den Tatbestand, weil man das damals schon gesehen hat, geändert und hat zu den Merkmalen Gewalt und Nötigung noch eine dritte Variante hinzugefügt, und zwar die schutzlose Lage.
    Damit hatte man das erkannte Problem lösen wollen. Nun hat man aber seitdem festgestellt, dass diese Nummer auch nicht funktioniert hat in der Rechtsprechung und dass auch das Problem so nicht gelöst werden konnte. Deswegen haben wir jetzt wirklich endlich eine Formulierung, die diese Kriterien erfüllt und die dann auch den internationalen Standards entspricht.
    Barenberg: Katja Keul, die rechtspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch!
    Keul: Ja! Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.