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Sexualstrafrecht
Reform soll Schutzlücken schließen

Die Rechtsprechung in Vergewaltigungsfällen in Deutschland ist umstritten. Zu lasch, zu ungenau, zu viele Lücken, sagen Kritiker. Nun soll der einschlägige Paragraf 177 überarbeitet werden. Strafrechtsexperten warnen allerdings vor Kriminalisierung und falschen Verurteilungen.

Von Susanne Arlt | 25.11.2014
    Eine Frau geht im Licht der Straßenlaternen alleine über eine dunkle Straße
    Anzeigen wegen Vergewaltigung enden immer öfter ohne Urteil ( picture alliance / dpa / Julian Stratenschulte)
    Melanie hat sich damals nicht gewehrt. Zumindest nicht mit Gewalt. Aber sie hätte doch aus der Wohnung flüchten können. Oder wenigsten um Hilfe rufen. Doch dazu war Melanie damals nicht in der Lage. Sie war ein Teenager, hatte andauernd Streit mit den Eltern. Ihr neuer Freund verstand sie viel besser. Er hörte ihr zu, unterstützte sie. Bis er anfing, Melanies Leben zu kontrollieren. Wenn sie ihm widersprach, bekam er Wutanfälle. Und er wollte Sex. Als sie Nein sagte, versuchte er sie mit Drohungen gefügig zu machen. Und er war ihr überlegen. Nicht nur körperlich, sondern auch psychisch, denn er war 20 Jahre älter als sie.
    "Ich weiß auf jeden Fall, dass ich es ihm immer gesagt habe, dass es mir nicht gut tut und dass ich Angst habe und dass ich keinen Sex mit ihm möchte und nichts Sexuelles mit ihm möchte."
    "Das explizite Nein reicht nicht aus"
    Doch er ließ nicht locker, nahm sich schließlich mit Gewalt, was er wollte. Melanies Widerstand wurde in diesem Moment gebrochen, sie ließ es einfach über sich ergehen. Als sie später Anzeige gegen ihn erstattete, folgte der nächste Schock. Der Staatsanwalt stellte das Verfahren ein. Schließlich habe sich Melanie nie körperlich gewehrt. Sie habe auch während der Vergewaltigung nicht laut um Hilfe gerufen. Wie habe der Täter also wissen können, dass sie den Sex mit ihm gar nicht wollte.
    "Ich habe mich ziemlich hilflos gefühlt in dem Moment, weil ich gedacht habe, ich habe überhaupt nichts, was ich so richtig machen kann, wenn mir so etwas passiert wie eben mit diesem Mann. Und als ich dann diesen Brief bekommen habe, habe ich gedacht, okay, das Recht schützt mich an diesem Punkt auch nicht wirklich."
    Dem Staatsanwalt blieb allerdings auch nichts anderes übrig, als das Verfahren einzustellen. Der Paragraf 177 definiert im Strafgesetzbuch, was juristisch eine Vergewaltigung ist. 1997 wurde er das letzte Mal geändert. Damals wurde festgeschrieben, dass Vergewaltigung in der Ehe künftig als Verbrechen gilt. Das Gesetz habe aber immer noch Lücken, sagt Birte Rohles von der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Nur unter bestimmten Umständen könne ein Vergewaltiger juristisch belangt werden:
    "Momentan ist es so, dass er dafür zum Beispiel Gewalt anwenden muss, oder er muss ihr mit Leib und Leben drohen, oder das Ganze muss in einer sogenannten schutzlosen Lage stattfinden. Wenn eins dieser drei Kriterien nicht erfüllt ist, dann ist es momentan laut Gesetz keine Vergewaltigung. Also das explizite Nein einer Betroffenen reicht nicht aus, damit im Moment ein Täter verurteilt werden kann.
    Straftaten im Beziehungsumfeld schwer nachweisbar
    In England oder in den skandinavischen Ländern ist die Gesetzeslage eindeutiger. Dort bedarf es keiner zusätzlichen Kriterien, um den Täter zu verurteilen. In Kalifornien reicht ein einfaches Nein aus. In Deutschland sei die aktuelle Situation für Frauen, die Opfer einer Vergewaltigung werden, katastrophal, meint Birte Rolfes. Dementsprechend niedrig liege die Verurteilungsquote. Etwa 160.000 Vergewaltigungen geschehen im Jahr. Dem stünden nur 1.000 Verurteilungen jährlich gegenüber. Diese Schieflage hat inzwischen auch der Gesetzgeber erkannt. Um Vergewaltiger leichter bestrafen zu können, soll der Paragraf 177 geändert werden. Bundesjustizminister Heiko Maas lässt gerade prüfen, welche Veränderungen notwendig sind, um diese Schutzlücken zu schließen.
    "Deshalb wollen wir da jetzt ganz konkret ansetzen und dafür sorgen, dass auch damit ein Beitrag geleistet wird, die Verurteilungsquote etwas zu erhöhen. Denn wir haben bisher nur unter zehn Prozent der Fälle, die auch wirklich einer Verurteilung zugeführt werden. Allerdings muss man auch immer sagen, dass es sich hier in der Regel um Straftaten im Beziehungsumfeld handelt, die immer schwerer nachweisbar sind."
    Es gibt aber auch kritische Stimmen. Sie warnen vor einer Kriminalisierung und falschen Verurteilungen. Stefan Caspari, Strafrechtsexperte beim Deutschen Richterbund, geht nicht davon aus, dass es durch die Reform zu mehr Verurteilungen kommt. Der Rechtsbruch sei dann zwar eindeutiger geregelt, aber deswegen sei eine Vergewaltigung nicht leichter nachweisbar. Melanie geht es inzwischen wieder gut. Mithilfe einer mehrjährigen Psychotherapie konnte sie die schrecklichen Erlebnisse inzwischen verarbeiten. Sie ist in eine andere Stadt gezogen und hat ein neues Leben begonnen. Dass der Vergewaltigungsparagraf nun geändert werden soll, begrüßt sie. Vor Gericht sollte ein Nein auch als ein Nein gelten. Damit Frauen nach Vergewaltigungen künftig mehr Schutz geboten wird als ihr damals.
    "Ich wünsche mir, dass das, was Gewalt ist oder Zwang ist, auch als solches erkannt wird."