Mittwoch, 24. April 2024

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Sexuelle Gewalt
"Strafverfolgung muss sein"

Die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes, Godula Kosack, hat im Dlf ein eigenes UN-Tribunal zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gefordert. Diese Form der Kriegsführung müsse nicht nur international geächtet, sondern auch geahndet werden. Dafür brauche es ein juristisches Instrumentarium.

Godula Kosack im Gespräch mit Jochen Fischer | 23.04.2019
Junges Mädchen als Opfer von häuslicher Gewalt |
Sexualisierte Gewalt gibt es als besondere Form der Kriegsführung, sagte Godula Kosack im Dlf. (picture alliance / Photoshot)
Jochen Fischer: Der UN-Sicherheitsrat beriet also über eine Resolution gegen sexualisierte Gewalt in Konfliktgebieten, er hat sie angenommen. Darüber kann ich nun sprechen mit Godula Kosack, sie ist die Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes. Guten Abend!
Godula Kosack: Guten Abend, Herr Fischer!
Fischer: Die sexualisierte Gewalt, die hier gemeint ist, worin unterscheidet die sich eigentlich von ähnlichen Delikten?
Kosack: Seit dem Bosnienkrieg gibt es die sexualisierte Gewalt als eine besondere Form der Kriegsführung. Zum ersten Mal dort wurden Massen von Frauen in Vergewaltigungslager gesteckt und wurden missbraucht mit der Zielrichtung, dass die Gesellschaft der Bosnier da zerstört wird. Wenn in so streng muslimischen Gesellschaften eine Frau nicht mehr Jungfrau ist oder nicht nur mit dem Mann Sexualverkehr hatte, ist sie praktisch als Ehefrau, als Mutter der zukünftigen Generation unbrauchbar.
Da steckt eben dieses fürchterliche Frauenbild dahinter, dass die Frau Eigentum des Mannes ist und nur eben in der sogenannten Reinheit die Ehre der Familie des Mannes repräsentiert. Und das ist damals zum ersten Mal aufgekommen, das haben wir viel jetzt in diesen Nahostkriegen, dass systematisch Frauen missbraucht werden, um eben dadurch die Gesellschaft des Feindes zu zerstören.
Und wir haben es in Bosnien erlebt, dass die Frauen danach nicht rehabilitiert wurden, sondern versteckt wurden. Sie galten als Schandfleck der Familie und sie galten als entehrt, statt dass die Täter die Entehrten sind.
Bosnische Kämpfer in Sarajevo zu Beginn des Bosnienkrieges 1992
Bosnienkrieg 1992: Sexuelle Gewalt als Kriegsmittel (AFP/ Christophe Simon)
"Da muss eine Umdenke stattfinden"
Fischer: Und wir müssen ja nicht bis zu den Bosnienkriegen zurückblicken, wir können ja in näherer Vergangenheit auch sehen, das hat seitdem ganz viele Fälle gegeben, Sie haben ja auch schon von den Nahostfällen gesprochen.
Also dieser Art von sexualisierter Gewalt soll ein Ende bereitet werden, darum will sich der Sicherheitsrat kümmern. Wie kann das denn passieren, wie können den Täter tatsächlich konsequent zur Verantwortung gezogen werden in diesem Bereich?
Kosack: Ja, wenn es da eine leichte Antwort drauf gäbe, dann würde das wahrscheinlich schon praktiziert, zumindest von den Staaten guten Willens. Das sind ja nicht mal alle, wir haben ja auch schon jetzt erlebt, dass dagegen Veto eingelegt wird, USA und so weiter. Es geht darum, das juristische Instrumentarium zu schaffen, dass diese Fälle vor Gericht kommen und dass da auch Täter und die, die dazu beigetragen haben oder das gutheißen, verurteilt werden.
Was auf jeden Fall auch wichtig ist, wenn Frauen als Zeuginnen aussagen - das hat es ja gegeben zum Beispiel im Kongo -, dass die dann auch den Schutz ihrer Gemeinschaft bekommen und den Schutz der internationalen Gemeinschaft insofern, als sie wirklich geschützt werden müssen gegen die Angreifer und nicht, wenn die mangels von Beweisen dann freigelassen werden, dass sie sich dann noch mal auf dieses Freiwild Frau stürzen können.
Da muss ein Riegel vorgeschoben werden, sodass die Frauen vertrauensvoll auch aussagen können. Und ganz wichtig auch, dass Richterinnen, Anwältinnen und so weiter zum Zuge kommen, denn wir wissen es einfach, in einer patriarchalen Gesellschaft und sogar in unserem Lande, wo die Gleichberechtigung schon ziemlich großgeschrieben wird, ist das noch ein Problem des Anvertrauens.
Wenn da jemand über solche fürchterlichen Erlebnisse sich anvertrauen muss, dann geht das nicht gegenüber Männern, die unter Umständen das dennoch für so ein Kavaliersdelikt nur halten oder die denken, na ja, in Kriegen kommt das vor, ist schon immer vorgekommen. Also da muss eine Umdenke stattfinden sowohl bei denen, die dann also auch Recht sprechen, als auch bei der Gesellschaft als Ganzes, dass die Frauen da sich sicher fühlen können.
UNO-Generalsekretaer Antonio Guterres mit Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, Friedensnobelpreistraegerin Nadia Murad und Bundesaußenminister Heiko Maas in New York - kurz vor der Debatte des UNO-Sicherheitsrats zur sexuellen Gewalt in Konfliktgebieten.
UNO-Generalsekretär Antonio Guterres mit Menschenrechtsanwältin Amal Clooney, Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad und Bundesaußenminister Heiko Maas in New York (v.l.n.r.) (imago images / photothek / Thomas Koehler)
"Es braucht auch die Begleitung der Frauen in ihren Traumata"
Fischer: Es gibt ja den internationalen Strafgerichtshof, es gab auch das Sondertribunal nach den Völkermorden in Ruanda, dort gibt es auch immer wieder mal Verurteilungen. Gehen Ihre Vorstellungen in diese Richtung?
Kosack: Das muss in diese Richtung gehen, was anderes ist ja kaum denkbar, dass aus dieser UN-Resolution, die hoffentlich doch verabschiedet wird, ein eigenes UN-Tribunal für eben diese besonderen Kriegsverbrechen einberufen wird.
Fischer: Die Rechtsanwältin Amal Clooney, die hat in New York gesagt, dieser Sicherheitsrat könne nun sein Nürnberg-Moment erleben, also sie meint, er könne sich so zum internationalen Tribunal erheben wie damals die Nürnberger Prozesse gegen die deutschen Kriegsverbrecher. Wird das klappen?
Kosack: Wird das klappen - wahrscheinlich nicht, weil es nicht so eine heimfällige Einschätzung dieser Situation gibt, aber wünschenswert wäre es natürlich. Wir wollen ja optimistisch sein und sagen, es muss nicht nur geächtet, sondern auch geahndet werden, Strafverfolgung muss sein, um auch abzuschrecken. Und ja, wie sonst.
Fischer: Dazu bräuchte es ja nicht nur Gerichte, es bräuchte zunächst einmal Ermittler.
Kosack: Ermittler, die müssen dann auch Zugang haben, die müssen Kompetenzen haben, und es braucht auch nicht nur Richter, die dann Urteile sprechen, sondern es braucht natürlich auch dann die Begleitung der Frauen in ihren Traumata.
Eine befreundete Psychiaterin hat mir gesagt, wenn sie mit vergewaltigten Frauen zu tun hat, sie rät denen selten, nur wenn sie äußerst stark sind, vor Gericht eine Anklage zu erstatten, weil die Ermittlung oft so demütigend abläuft, weil die Untersuchungen und die Verhöre den Frauen so viel Unterstellungen einfach präsentieren, mit denen die ohnehin geschwächten Frauen dann kaum umgehen können. Also da muss eine wirklich gut durchdachte Strategie eines Gerichtshofes entwickelt werden und dann eben, dass die Akteure in der Hauptsache Frauen sind.
Fischer: Abschließend gefragt: Wie optimistisch oder wie pessimistisch sind Sie, dass sich bei dem Thema nun mehr bewegt als früher?
Kosack: Ich finde es schon mal großartig, dass Außenminister Maas dieses Thema so hoch an die Glocke hängt. Das zeigt ja doch, dass die Weltgemeinschaft will, dass Farbe bekannt wird: Das ist ein Verbrechen, das ist einfach ein No-Go. Und darüber hinaus zeigt es auch, wenn der Trump sagt, nee, da lege ich Veto ein, wes Geistes Kind er ist, und eben auch die anderen Staaten, die da sagen, da wollen wir nicht mitziehen. Also es polemisiert die Debatte, das ist schon mal gut, und es braucht einfach noch viel, viel Zeit wahrscheinlich, bis da wirklich den Frauen Gerechtigkeit widerfahren wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.