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Sexuelle Übergriffe in Köln
Zahl der Strafanzeigen deutlich gestiegen

Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln sind jetzt 516 Anzeigen bei der Polizei eingegangen. In etwa 40 Prozent der Fälle geht es um Sexualstraftaten. Ermittler haben einen 19-jährigen vorbestraften Marrokaner festgenommen, der seit zwei Jahren der Polizei mehrfach aufgefallen ist. Ein schärferes Vorgehen gegen kriminelle Asylbewerber wird in den nächsten Tagen im Bundestag debattiert.

10.01.2016
    Polizisten zwischen zwei Polizeiautos vor dem Kölner Hauptbahnhof.
    Die Zahl der Strafanzeigen nach den Übergriffen am Kölner Hauptbahnhof ist deutlich gestiegen. (dpa / Oliver Berg)
    In Köln hatten sich in der Silvesternacht nach Polizeiangaben kleinere Gruppen aus einer Menge von rund 1.000 Männern gelöst, die vor allem Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen haben sollen. Die Zahl der Strafanzeigen nach den Vorfällen erhöhte sich auf 516, wie die Polizei am Sonntag mitteilte. Zuletzt war sie am Samstag mit 379 angegeben worden, am Freitag mit rund 170.
    Nach Angaben der Kölner Polizei haben Fahnder am Samstagabend einen 19-jährigen Marokkaner am Hauptbahnhof in Gütersloh festgenommen. Bei ihm wurde ein Handy gefunden, das einer 23-Jährigen in der Silvesternacht gestohlen wurde. Der Marrokaner sei "bereits seit Januar 2013 mehrfach wegen unterschiedlicher Delikte in Erscheinung getreten" und habe mehrere Haftstrafen verbüßt, erklärte die Polizei.
    Wie die "Bild am Sonntag" unter Berufung auf vertrauliche Polizeiberichte berichtete, riefen nordafrikanische Gruppen offenbar über soziale Netzwerke Landsleute dazu auf, in der Silvesternacht nach Köln zu kommen. Demnach wurden Nordafrikaner aus Köln und Umgebung, aber auch aus Nachbarländern aufgefordert, zum Kölner Hauptbahnhof zu fahren.
    Maas: Abgestimmt und vorbereitet
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) geht fest davon aus, dass die Silvester-Übergriffe auf Frauen in Köln organisiert waren. Die Straftaten scheinen in irgendeiner Form geplant worden zu sein, sagte Maas der "Bild am Sonntag". "Niemand kann mir erzählen, dass das nicht abgestimmt oder vorbereitet wurde", sagte Maas der "Bild am Sonntag" zu den Silvester-Übergriffen in Köln. Auch einen Zusammenhang zwischen den Attacken auf Frauen in mehreren deutschen Städten schließt er nicht aus. Alle Verbindungen müssten sehr sorgfältig geprüft werden, sagte der Minister der Zeitung. "Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein bestimmtes Datum und zu erwartende Menschenmengen herausgesucht wurden. Das hätte dann noch einmal eine andere Dimension."
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) äußert sich am 04.08.2015 in Berlin gegenüber Journalisten zur Affäre um die Landesverrats-Ermittlungen gegen Journalisten des Blogs Netzpolitik.org.
    Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hält die Übergriffe von Köln für abgesprochen. (Paul Zinken, dpa picture-alliance)
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte an, schon bald Vorschläge für Konsequenzen aus den Übergriffen vorzulegen. "Wir müssen alles dafür tun, dass sich solche Vorfälle wie in Köln nicht wiederholen", sagte de Maizière der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Als Beispiele nannte er vorbeugende Aufklärung, mehr Videoüberwachung auf belebten Plätzen, Polizeipräsenz auf der Straße, eine schnelle Justiz und harte Strafen. Er sei bereits "in guten Gesprächen" mit Maas.
    BKA will Lagebild aufstellen
    Das Bundeskriminalamt (BKA) will systematisch gegen gemeinschaftlich begangene sexuelle Belästigung von Frauen vorgehen. "Dazu werden kurzfristig die Fakten zu gleich gelagerten Vorfällen aus allen Bundesländern zusammentragen, um ein genaues Bild der Lage zu ermöglichen", teilte das BKA auf Anfrage der "Welt am Sonntag" mit. Auf dieser Basis sollten dann bundesweit "Bekämpfungsansätze" umgesetzt werden, hieß es.
    Das Bundeskriminalamt teilte dem Bericht zufolge mit, es nehme "die Ereignisse der Silvesternacht wie auch die damit verbundene Verunsicherung in der Bevölkerung sehr ernst". Das BKA kenne aus einigen arabischen Ländern das Phänomen "taharrush gamea" - eine gemeinschaftlich begangene sexuelle Belästigung von Frauen durch junge Männer in der Öffentlichkeit, besonders während großer Menschenansammlungen. Dies reiche bis hin zu Vergewaltigungen. Ein vergleichbares Phänomen sei in Deutschland bislang nicht bekannt.
    Regierung will rasche Konsequenzen
    Die Übergriffe auf Frauen werden in der kommenden Woche zum Thema im Bundestag - entweder sollen die Abgeordneten in einer Aktuelle Stunde oder in einer anderen Plenardebatte über die Vorfälle und die Konsequenzen diskutieren. Ob Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Regierungserklärung abgibt, war zunächst offen. Möglich ist, dass sie sich im Zusammenhang mit der europäischen Flüchtlingspolitik im Bundestag zu den Übergriffen von Köln äußert. Die Union will an diesem Montag mit der SPD über Verschärfungen des Ausländerrechts sprechen.
    SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann sagte in Berlin, er sei für eine schnelle Verständigung in der Koalition. Er warnte vor einer ideologischen Auseinandersetzung über Konsequenzen aus den Angriffen auf Frauen. Oppermann verwies darauf, dass sich einige Beschlüsse der CDU-Vorstandsklausur vom Wochenende ohnehin mit Forderungen der SPD deckten - etwa die Einstellung von mehr Sicherheitspersonal und eine stärkere Nutzung von Videoüberwachung. Die SPD wolle zudem unvoreingenommen prüfen, ob weitere Gesetze geändert werden müssten, sagte Oppermann.
    (fwa/sdö/cp/tzi)