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Sexuelle Vielfalt
Homophobie an Schulen in Sachsen-Anhalt

In Ostdeutschland gibt es an Schulen so gut wie keine Projekte, die über sexuelle Orientierung und geschlechtliche Vielfalt aufklären. Das sei aber dringend notwendig, sagen die Schwulen – und Lesben-Verbände. Die Dunkelziffer homophober Übergriffe und Diskriminierungen sei hoch.

Von Christoph Richter, Landeskorrespondent Sachsen-Anhalt | 15.08.2014
    Eine Teilnehmerin des Christopher Street Day hat am 27.07.2013 in Stuttgart eine Regenbogenfahne auf ihr Gesicht gemalt.
    Farbe bekennen - viele Homosexuelle können das nur in Großstädten wie hier in Frankfurt (picture alliance / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Schimpfworte wie schwule Sau, Schwuchtel oder Ähnliches, sind auf den Schulhöfen in Sachsen-Anhalt, aber auch anderswo, keine Seltenheit. Der 17-jährige schwule Magdeburger Gymnasiast Joris - rote Fingernägel, gefärbte Haare - kennt es zur Genüge.
    "Und wenn ich dann zur Schule gehe, dann komme ich in die Klasse, da tuscheln schon wieder die Ersten, das merke ich auch sofort. Und weiß wieder sofort, mit dem und dem komme ich nicht aus."
    Outing mit verheerenden Folgen
    Besonders schlimm sei es aber gewesen, als er sich als geoutet habe, erzählt Joris. Die Lehrer am Werner-von-Siemens-Gymnasium im Norden Magdeburgs hätten damit überhaupt nicht umgehen können, hätten ihn komplett allein gelassen.
    "In den Anfangswochen wo es gerade raus kam, da bin ich überhaupt nicht gerne zur Schule gegangen, habe mich auch meistens gedrückt. Dann auch eins, zwei Mal die Schule geschwänzt. Selbst Entschuldigungen geschrieben."
    Keine Einzelerfahrung. Auch der heute 27-jährige Robert Tecklenburg, der sich für die gesellschaftliche Anerkennung von Schwulen einsetzt, wurde in seiner Schulzeit wegen seiner Homosexualität gemobbt. Heute denkt er mit Grausen an die Jahre zurück.
    "Das war schon sehr schwierig. Es wurden gar Lieder um getextet, unschön um getextet auf meinen Namen. Das hat sehr verletzt und gekränkt."
    Sexuelle Vielfalt fehlt im Lehrplan
    Weder in Sachsen-Anhalt, noch in den übrigen Neuen Bundesländern gibt es Schul-Projekte zur sexuellen Vielfalt. In denen Schülern vermittelt wird, dass es neben der Heterosexualität auch andere, gleichberechtigte Formen der Sexualität gibt, und dass das ganz normal ist. Kein Thema in Sachsen-Anhalt, weder im Lehrplan, noch in der Lehreraus - wie fortbildung.
    Im ganzen nächsten Jahr bietet beispielsweise das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung keine einzige Fortbildung in diesem Bereich an. Die Suche im Landesbildungsserver zu den Stichwörtern Homosexualität und Homophobie liefert kein einziges Ergebnis. Solche Themen sind bislang totgeschwiegen worden. Und das, obwohl das Schulgesetz in Sachsen-Anhalt sexuelle Identität in den Kanon der schützenswürdigen Persönlichkeitsmerkmale aufnimmt und die Schulen explizit verpflichtet, Homosexualität im Unterricht zu thematisieren. Claudia Dalbert, die Fraktionschefin der Grünen in Sachsen-Anhalt, fordert eine spezielle Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer.
    "Wir brauchen nicht Veränderungen auf gesetzlicher Ebene oder auf Verordnungsebene, sondern wir müssen das an die Lehrer ran bringen. Also wir müssen Wege finden über Fortbildung, über Projekte an denen wir die Schulen beteiligen können, was für sie attraktiv ist, damit es tatsächlich zum lebendigen Gegenstand in dem Schulalltag wird."
    Davon ist man derzeit weit entfernt. In den sachsen-anhaltischen Lehrbüchern im Biologie-, Religions – oder Ethikunterricht kommt das Thema Schwul – oder lesbisch sein, gerade mal mit einer Seite vor. Da im Normalfall gerade mal die Hälfte eines Lehrbuchs bearbeitet oder gelesen wird, kommt das Thema oft gar nicht vor. Einer der Gründe, warum der SPD-Sozialminister des Landes Sachsen-Anhalt Norbert Bischoff jetzt vorprescht und einen Bildungsplan fordert, ähnlich wie in Baden-Württemberg, in dem Lehrer und Pädagogen verpflichtet werden sollten, sich dem Thema Akzeptanz sexueller Vielfalt umfassend zu widmen.
    "Ich persönlich halte das für wichtig, dass in der Schule die unterschiedlichsten Lebensformen zur Sprache kommen. "
    Sensibilisierung zu respektvollen Umgang
    Neben einem fächerübergreifenden Unterricht fordern Bildungspolitiker, Pädagogen, Landesschülerrat, aber auch die Schwulen- und Lesbenverbände einen Umbau der Curricula der Lehrerausbildung, in der das Thema Aufklärung über sexuelle Vielfalt zukünftig viel mehr Bedeutung eingeräumt werden müsse. Eine Berliner Studie empfiehlt eine Prioritätenverschiebung weg vom naturwissenschaftlichen hin zum Ethik-, Sozialkunde- oder Sprachenunterricht.
    Wichtig sei dabei, Lehrkräfte und Eltern für einen respektvollen Umgang zu sensibilisieren, der Jugendlichen ein selbstbewusstes und selbstbestimmtes Coming-out ermögliche, so der Magdeburger Schwulen-Aktivist Robert Tecklenburg.
    "Man müsste Lehrern Strategien an die Hand geben, wie sie reagieren sollten, wenn das Thema aufkommt. Natürlichkeit ist das Stichwort."
    Aber das müssten sie erst mal wollen, ergänzt Tecklenburg noch. Denn seiner Erfahrung nach, würden Lehrer, das Thema Homosexualität im Unterricht widerwillig behandeln und sei auch in den Lehrerzimmern immer noch ein Tabuthema.