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Sexueller Missbrauch im Sport
"Ich hatte keine Worte"

Eine Ex-Fußballerin wurde im Umfeld ihres Sports jahrelang sexuell missbraucht. Die ehrenamtliche Strukturen im Sport verschaffen den Tätern als freiwillige Helfer leichter Zugang zu Kindern als in anderen Bereichen. Im Deutschlandfunk erzählt das Opfer ihre Geschichte zum ersten Mal öffentlich.

Von Andrea Schültke | 05.05.2019
Die Umrisse von Fans auf der Tribüne bei einem Bundesligaspiel.
Sexueller Missbrauch ist auch im Sport verbreitet, aber die Opfer trauen sich oftmals kaum, ihr Schweigen zu brechen (dpa / picture alliance / Bernd Lauter)
Auf einem Turnier habe alles begonnen. Sie sei zehn gewesen und mit Abstand die Jüngste. Nach einer Verletzung habe sich der Täter um sie gekümmert:
"Und immer ein Stück zu weit, ein Stück zu viel, zu lange angefasst, zu intensiv, bis mir das auch total komisch vorkam. Aber ich auch nicht wusste was daran falsch ist, weil ich da zum einen keine Worte zu hatte oder kein Gefühl zu hatte und auch gedacht habe: Ja, es gehört auch irgendwie dazu anscheinend," berichtet Nadine.

In einem langen Interview mit dem Deutschlandfunk spricht sie zum ersten Mal öffentlich über das, was ihr vor knapp 30 Jahren widerfahren ist, sie fast ein Leben lang quält. Nach den ersten Übergriffen sei sie verunsichert gewesen, habe Schuldgefühle gehabt und sich geschämt. Damit beschreibt die Sportlerin eine Empfindung, die viele Betroffene ähnlich schildern. Sie haben sich die Schuld gegeben für die Übergriffe und geschwiegen. Damit ist die perfide Strategie des Täters aufgegangen - er kann ungehindert und extremer weitermachen.
So war es auch bei Nadine: "Da war dann nichts mehr nur mit Anfassen, das war dann mit Vergewaltigung und Übergriffen jeder Art, die man sich vorstellen kann", schildert die frühere Fußballerin. Schwere Straftaten, die nie zur Anzeige gekommen sind. Sie habe all ihre Kraft zum Überleben gebraucht.
Krankheiten, Therapien, abgebrochene Ausbildungen als Folge
Große körperliche und seelische Schmerzen seien die Folge der Übergriffe gewesen. Und Krankheiten, Therapien, abgebrochene Ausbildungen, Arbeitsunfähigkeit, Alpträume:
"Dass es heute noch Nächte gibt wo ich aufwache und Angst habe oder das Gefühl habe ich ertrinke, ich ersticke und habe den Geschmack von Sperma im Mund."
Das Fußballspielen habe sie damals nicht aufgegeben - trotz der schweren Verbrechen, die sie dort erlebte. "Die Option, das gar nicht mehr zu machen - da hätte ich gar nichts mehr gehabt, was in irgendeiner Weise mir Erfolg verspricht oder für mich persönlich irgendwie Glück bedeutete."
Zu unserem Interview hat Nadine zwei Vertrauenspersonen mitgebracht. Ihre beste Freundin und die Sportwissenschaftlerin Meike Schröer. Sie hat unter anderem mitgearbeitet beim internationalen Forschungsprojekt Voice. Dort haben Nadine und 70 weitere Betroffene sexualisierter Gewalt im Sport in nicht öffentlichen Gesprächen ihre Geschichte erzählt. Daraus haben die Wissenschaftlerinnen viele Erkenntnisse gewonnen. Etwa dass ehrenamtliche Strukturen im Sport sexuellen Missbrauch begünstigen, da Täter als freiwillige Helfer leicht Zugang zu Kindern bekämen.
Meike Schröer ist Sportwissenschaftlerin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit 2009 berät sie im Feld "Sexualisierte Gewalt" deutschlandweit Sportorganisationen auf allen Hierarchieebenen.
Die Sportwissenschaftlerin Meike Schröer berät im Feld "Sexualisierte Gewalt" deutschlandweit Sportorganisationen (Deutschlandradio / Andrea Schültke)
"Wir im Sport sind die, die das lösen müssen"
Um Risikostrukturen wie diese zu erkennen und abzustellen, brauche der Sport Hilfe von außen, sagt Meike Schröer. Und Menschen im System, die Verantwortung übernähmen.
"Wir sind hier in diesem Ganzen zusammen und es gibt Opfer, die in unserem Verein Opfer werden. Was ist denn unsere Verantwortung? Und das braucht's jetzt - tatsächlich ein Wir-Gefühl zu entwickeln - das sind nicht Täter und Opfer, das sind wir im Sport die das lösen müssen."
Dabei seien Stimmen von Betroffenen immens wichtig und könnten etwas bewirken und bewegen: "Wenn es nur eine Person im Sport ist dann ist das ein Einzelfall. Wenn ganz viele tatsächlich sprechen aus unterschiedlichen Sportarten, dann wird klar 'Oh, das ist gar kein Einzelfall, das zieht sich über die ganzen Sportarten, wir haben hier wirklich ein Problem.'"
"Es gibt Menschen die das hören möchten"
Die ehemalige Fußballerin Nadine ist dabei, ihr Leben selbst zu gestalten. Trotz vieler Schwierigkeiten hat sie ein Studium begonnen und blickt positiv einige Jahre in die Zukunft:
"In fünf Jahren habe ich mein Studium abgeschlossen, habe mir die Möglichkeit erarbeitet, selbstständig ein Leben zu führen."
Nadine wird auch zur Aufarbeitungskommission gehen und dort ihre Geschichte erzählen. Sie wird es für sich machen, genau wie dieses Interview für den Deutschlandfunk:
"Für mich war es für mich persönlich tatsächlich wichtig, tatsächlich eine Würdigung zu erhalten, ich darf hier ein Interview führen, darf darüber reden und es gibt Menschen, die das hören möchten und die sich kümmern möchten und das ist für mich eine Erfahrung, die groß ist."