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Sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche
"Ein Bischof, der vertuscht, wird künftig seines Amtes enthoben"

Vom 1. Juni an müssen Priester und Ordensleute den Verdacht auf sexuelle Gewalt ihren Vorgesetzten anzeigen. Auch Vertuschung gilt nun als Straftat. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sagt: "Der Papst ist einen wesentlichen Schritt vorangekommen."

Thomas Schüller im Gespräch mit Levent Aktoprak | 10.05.2019
Prof. Dr. Thomas Schüller (Theologe und ehemaliger Berater im Bistum Limburg) in der ARD-Talkshow Anne Will
Thomas Schüller ist Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster. (imago stock&people/Müller-Stauffenberg )
Levent Aktoprak: Papst Franziskus hat jetzt das Kirchenrecht im Kampf gegen den sexuellen Missbrauch durch Geistliche drastisch verschärft. Ein derartiger Schritt sei von Opferverbänden, Politikern und zahlreichen Bischöfen der Weltkirche gefordert worden, meldete der Vatikan. In einem gestern veröffentlichten Dekret "Ihr seid das Licht der Welt" verpflichtet das Kirchenoberhaupt sämtliche Kleriker, Missbrauchsbeschuldigungen dem Vorgesetzten zu melden. Ich bin jetzt verbunden mit Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster. Herr Schüller, was ist an der Meldepflicht neu?
Thomas Schüller: Dass es jetzt eine Rechtspflicht ist. Das heißt, Kleriker und Ordensangehörige, Frauen wie Männer, müssen jetzt, wenn sie etwas beobachten, was auf einen sexuellen Missbrauch, auf sexuelle Gewalt hinweist, ihren Vorgesetzten melden. Auch diese Vorgesetzte, also auch die Ordensoberen und die Bischöfe sind jetzt rechtlich verpflichtet - zwingend-, dem nachzugehen. Tun sie sie dies nicht, begehen sie eine Straftat. Franziskus hat in dem neuen Gesetz auch die Vertuschung als Straftat neu ins kirchliche Recht aufgenommen.
Aktoprak: Wie werden Vertuscher künftig bestraft?
Schüller: Es gab schon 2016 ein Spezialgesetz von Franziskus, in dem er festlegte, dass sich Bischöfe in finanziellen Fällen und in Fällen des nicht sachgerechtem Umgangs mit Anzeigen von sexuellem Missbrauch fortan einer Untersuchung zu unterziehen haben. Wenn ihnen nachgewiesen werden kann, dass sie sowohl schuldhaft also auch schuldlos nicht sachgerecht damit umgegangen sind, können sie ihres Amtes enthoben werden. Das ist schon geschehen. Man muss also das Gesetz von gestern und das von 2016 zusammen sehen. In Zukunft kann kein Bischof mehr sicher sein, dass er, wenn er vertuscht, im Amt bleibt. Er wird in der Regel seines Amtes enthoben.
Aktoprak: Welches ist Ihrer Ansicht nach der wichtigste Punkt in diesem Schreiben?
"Das ist absolut verbindlich"
Schüller: Das ist der Tatbestand der Vertuschung, die Anzeigepflicht, dass auch die Tatbestände noch einmal konkretisiert werden. Das ist sehr erfreulich. Das kirchliche Recht hat oft eine Tendenz etwas blumig und schwammig zu sein. Jetzt wird sehr genau formuliert. Ob sich so weit gehen würde, wie gestern im vatikanischen Pressesaal, von "epochal" zu sprechen - das sollte man sehen, wenn es in Anwendung ist, wenn man sehen kann, ob es überall auf der Welt die Bischöfe so entschieden anwenden. In der Sache ist es wirklich ein Fortschritt. Die Meldepflicht ist rechtverbindlich, die Vertuschung wird geahndet. Vor allen Dingen auch, dass diejenigen, die von Amts wegen in der Seelsorge Dinge beobachten, von ihrem Seelsorgeheimnis dann entbunden sind und nicht sanktioniert werden. Also auch im Detail sind signifikante Fortschritte. Nach der Enttäuschung auf dem Missbrauchsgipfel, die ich geteilt und öffentlich bekundet habe, muss ich sagen: Man geht jetzt doch entschieden voran. Der Papst ist einen wesentlichen Schritt vorangekommen.
Aktoprak: Nach Ihrer Meinung ist das alles absolut verbindlich?
Schüller: Das ist sehr verbindlich. Das Gesetz wird am 1. Juni sowohl im Gesetzgebungsblatt als auch im Osservatore Romano veröffent6licht. Dann ist es bindendes Recht für diejenigen, die beruflich in der Kirche tätig sind. Ein offener Punkt ist klar: Das ist die Zusammenarbeit mit den staatlichen Strafbehörden. Da ist die Formulierung etwas unscharf.
Aktoprak: Papst Franziskus hat eigentlich jetzt auf die anhaltende Kritik reagiert, dass er nicht genug gegen den Missbrauch in der Kirche tun würde. Sind die Maßnahmen, die er getroffen hat, ausreichend?
Schüller: Ja, bis auf den gerade genannten Punkt. Da schreibt er, dass in den Ländern, wo eine Rechtsvorschrift existiert, dass man auch gegenüber den staatlichen Stellen, solche Missbrauchsfälle anzeigen muss, dass man das tun soll. Es wäre wünschenswert gewesen, dass man auch sofort reingeschrieben hätte, dass in jedem Land der Welt solche Anzeigen zu erfolgen haben. Da sehe ich noch eine Lücke. Das wird dann immer damit begründet, dass es Länder in der Welt gibt, wo es nicht rechtsstaatlich zugeht und wo man dann nicht weiß: Was geschieht mit den Verdächtigen? In unserem demokratischen Rechtswesen leben sie erst einmal mit der Unschuldsvermutung. Aber diesen Kritikpunkt wird er noch aufgreifen müssen. Für mich wird entscheidend sein: Urgiert das Rom, das heißt, wie geht Rom mit seinen eigenen Normen um? Werden einzelne Bischöfe immer noch geschont? Es gibt ein Beispiel aus Argentinien, wo man dem aktuellen Papst vorhält, dass er über einen relativ jungen Bischof die Hand hält, obwohl dieser wohl nachweislich Seminaristen missbraucht haben soll. Also: Die Praxis wird darüber entscheiden, ob dieses an sich gute Gesetz wirklich die Folgen erbringt, die sich alle erhoffen.
Aktoprak: Die Bestimmungen sollen nach dem 1. Juni in Kraft treten. Wie sind die Reaktionen von den Opferverbänden? Von Kirchenvertretern?
Schüller: Es gab Reaktionen innerkirchlich, sehr positive. Der Beauftragte der Bischofkonferenz, Bischof Ackermann, hat das positiv gewürdigt. Sehr wichtig ist die Reaktion des Beauftragten der Bundesregierung, Herrn Rörig, der das sachgerecht gewürdigt hat. Die Opferverbände weisen auf den Schwachpunkt hin, den ich eben genannt habe: die Anzeigenpflicht gegenüber den staatlichen Stellen, dass das nicht verbindlich vorgeschrieben ist. Ein offener Punkt bleibt natürlich bei den Opferverbänden, und da haben sie Recht, dass zwar im Text die Entschädigung angesprochen wird, vor allem die Übernahme der Therapiekosten. Aber auch da wird die Praxis entscheiden, ob man wirklich den Opfern gerecht wird. Insgesamt merke ich eine positive Bewertung, mit Ausnahme der derzeitigen Bundesjustizministerin, die immer noch davon sprich, dass die Kirche kein Staat im Staate sein dürfe. Das stimmt ja für Deutschland nicht mehr, schon seit einigen Jahren haben die Deutshen Bischöfe normativ verbindlich festgelegt, dass jeder Verdacht den staatlichen Behörden direkt anzuzeigen ist. Manchmal wird in Wahlkampfzeiten ein Thema, wie ich finde, nicht gut genutzt.
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