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Sexueller Missbrauch
Warum Schulen den Kindern keinen Schutz bieten

Kitas, Arztpraxen, Sportvereine: Zehntausende Jungen und Mädchen werden jedes Jahr Opfer sexueller Gewalt. Schutzkonzepte gibt es zwar, doch nur selten werden sie konsequent umgesetzt. Der Anti-Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung fordert vor allem für Schulen verbindliche Richtlinien zur Prävention.

Von Nadine Lindner | 04.09.2019
Schatten einer Hand einer erwachsenen Person und der Kopf eines Kindes an einer Wand eines Zimmers.
Gewalt und Mißbrauch beim Umgang mit Kindern - an Schutzkonzepten mangelt es immer noch (dpa / Patrick Pleul )
Wie können Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt geschützt werden? Wie kann sich die Prävention in Einrichtungen wie Kitas, Krankenhäusern und Sportvereinen verbessern? Das sind nur zwei der zentralen Fragen für den Monitoringbericht zur Prävention sexueller Gewalt des Deutschen Jugendinstituts, das vom Anti-Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig mit der Erstellung des Berichts beauftragt worden war.
Schulen, Arztpraxen und Kitas im Fokus
Dafür sind über mehrere Jahre - konkret geht es um den Zeitraum von 2015 bis 2018 – rund 5.000 Kinder- und Jugendeinrichtungen qualitativ und quantitativ befragt worden. Sie sollten erklären, welche Schutz- und Hilfsangebote sie einsetzen und auf welche Schwierigkeiten sie bei der Umsetzung stoßen. Rörig hat das so zusammen gefasst:
"Was wird getan in Kitas, in Schulen, in Arztpraxen? Oder auch in Kliniken zum Beispiel? Was wird unternommen von Anbietern von Jugendreisen? Was wird getan in Sportvereinen oder auch im Bereich des religiösen Lebens?"
Trotz aller Anstrengungen werden jedes Jahr Zehntausende Mädchen und Jungen Opfer sexueller Gewalt. Um das besser zu verhindern, gibt es insgesamt neun Elemente von Schutzkonzepten für Einrichtungen, dazu zählen unter anderem Fortbildungen, Beschwerdeverfahren oder ein Verhaltenskodex.
Gesetzliche Vorgaben fehlen
Der Abschlussbericht macht deutlich, dass umfassende Schutzkonzepte, die mehrere dieser Elemente umfassen, noch in keinem Bereich flächendeckend umgesetzt sind. So habe jedes dritte Kinderheim ein Schutzkonzept, aber nur jede zehnte Schule. Die Differenz ergebe sich, so DJI-Forschungsdirektorin Walper aus den unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Prävention gelinge dort besser, wo es gesetzliche Verpflichtungen geben. Und das betreffe Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe wie Kitas- und Heime.
"Während beispielsweise der Bereich der Schulen mit 13 Prozent das Schlusslicht bildet und leider auch derjenige Bereich ist, in dem sich im Vergleich zum letzten Monitoring noch nichts getan hat."
Schulen seien zu oft mit Lehrplänen oder Personalmangel beschäftigt, so Forschungsdirektorin Sabine Walper vom Deutschen Jugendinstitut (DJI).
Sexuelle Gewalt noch immer weit verbreitet
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung fordert deshalb die Bundesländer dazu auf, Schutzkonzepte gegen sexuellen Missbrauch verpflichtend in die Schulgesetze aufzunehmen. Die Bundesländern müssten auch sicherstellen, dass die Schulen genügend Personal hätten, um präventiv zu arbeiten. Rein statistisch gebe es in jeder Schulklasse ein bis zwei Kinder, die in verschiedenen Kontexten von sexueller Gewalt betroffen. Deshalb müssten sensibilisierte Fachkräfte her, die ihre Signale erkennen. Sabine Walper vom DJI erklärt, was konkret die Einrichtungen als hilfreich für die Prävention empfunden haben:
"Das ist zum Einen das Durchführen einer Risiko- und Potentialanalyse, das heißt, wenn die Einrichtung sich selbst befragt, wo haben wir unsere Gefahrenzonen. Die Frage des Austauschs im Netzwerk, der auch in allen Bereichen hochrelevant ist, dass man nicht nur versucht alleine Lösungen zu finden, sondern, dass man gute und verlässliche Kooperationspartner hat, da wo sie gebraucht werden."
Ein breites Feld für die Forschung
Das Deutsche Jugendinstitut mit Sitz in München ist eines der größten sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitute Deutschlands und erforscht seit über 50 Jahren die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, hinzu kommt Politikberatung für Kommunen, Länder und Bund.
Der Missbrauchsbeauftragte, seit dem Jahr 2011 ist das Johannes-Wilhelm Rörig, ist organisatorisch beim Familienministerium angegliedert und soll Kindesmissbrauch bekämpfen. Die Stelle war 2010 als Reaktion auf das Ausmaß des bekannt gewordenen Kindesmissbrauchs eingerichtet worden, unter anderem im Berliner Canisius Kolleg oder der Odenwaldschule.