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Shakespeare, verkunzt?

Mit dem Hit "Dein ist mein ganzes Herz" ist dem Deutschrocker Heinz Rudolf Kunze 1985 der Durchbruch gelungen. Vor fast 20 Jahren fing er an, Musicals ins Deutsche zu übertragen wie "Les Miserables" oder "Miss Saigon". Dann brachte er vor vier Jahren seine erste eigene Musical-Produktion heraus, und zwar Shakespeares "Sommernachtstraum". Nun hat Kunze nachgelegt: "Was ihr wollt".

Von Michael Laages | 04.08.2007
    Dies ist ein Ausflug in die Wortspielhölle; aber selten bewegt sich der Wortspieler Kunze dabei so gewitzt in Shakespeares Kosmos wie mit dem Titel - in der Tat entsteht in "Was ihr wollt" ja Liebe ausschließlich in und durch Verkleidung; und dass der Nach-Dichter dabei assoziativ auch noch Gottfried Kellers Novelle "Kleider machen Leute" mitverwurstet, setzt auf einen Schelm halt anderthalbe; Kunze hat ja mal Lehrer gelernt. Das kommt davon.

    Aber dann griff Autor abendfüllend zum Reim-Lexikon, und darum kommt es sehr schnell sehr schlimm.

    Da erlitt die junge Viola samt Diener gerade Schiffbruch am Strande von (na ja, ganz ulkig) "Allürien"; zur Erinnerung: "Illyrien" bei Onkel William. "Syrien" ist dann von Kunze. Dann kommen gleich die Rüpel, Sir Tobi, die Hand immer fest an der Weinschöpfkelle, und Junker Torben von Kalkbarth, samt der Zofe im Hause der lokalen Gräfin Oliva; und jetzt kennt die Blödelei kein Halten mehr.

    Tief durchatmen - so geht das von nun an den ganzen Abend über; oder fast: denn geht's zur Abwechslung mal um Sehnsucht und/oder Verführung, teilt Kunze lieber eine Kelle Kitsch aus als noch mehr Fußball-Zitate, gern dann auch ungereimt. Und ganz-ganz-selten nur, in mikroskopischen Miniaturen sozusagen, unterläuft ihm dann doch so etwas wie Deutsch-Pop-Poesie: Finden sei Silber, Suchen aber Gold, lässt Kunze sinnieren - und findet auf diese Weise immerhin eine edelmetallene Variation der älteren Wahr- und Weisheit, dass "der Weg das Ziel" sei. Letztlich und vor allem aber bleibt in eher unguter Erinnerung die blanke Schamlosigkeit, mit der der Lieder-Sänger das Shakespeare-Material in Grund und Boden reimt.

    Warum aber macht er das? Und woher bezieht so einer obendrein das Recht, im Vorhinein (und wie sich das derzeit offenbar gehört) über die Untaten des Regietheaters höhnt und sprechblasenhaft hohl hinzufügt, dass eine Nach-Dichtung wie die seine "Shakespeare für die ganze Familie" sei und einer wie er "das Publikum dort abhole, wo es nun mal ist". Und im Stück selber kommt eine kleine, ziemlich verräterische Passage vor, kurz vor der Pause: Worum es denn hier eigentlich gehe, fragt sinngemäß eine der Figuren - und das Stück antwortet: Um nix als Jux und Dollerei und Puppen-tanzen-lassen. Auch um Quatsch mit Soße? Und was will Kunze damit sagen, außer dass er Shakespeare schlicht nicht verstanden hat: dass der Dramatiker mittlerweile ins Unterschichtentheater gehöre, wo die Comedy-Clowns ihre schlimmsten Verse schmieden, dass auch er nur einer der "Väter der Klamotte" sei?

    Jede, und auch noch die mittelmäßigste "Was ihr wollt"-Inszenierung zum Beispiel des so reflexhaft gescholtenen "Regietheaters" beweist doch, dass das nicht so ist; und besserwisserische Oberlehrer wie Kunze vertiefen im Grunde nur die Kluft zwischen Kultur und Unterhaltung. Niemand, der jetzt in Herrenhausen diesen Shakespeare-Schmarren sieht (der eben gerade nichts mit Shakespeare zu tun hat außer dem Plot!) und derlei vielleicht auch noch mag, wird damit für's Theater gewonnen, die Schwellenangst gegenüber richtigem, ja: richtigem Theater wird eher noch erhöht.

    Es ist halt das gleiche Elend wie mit vielen Musicals. Ach ja: die Musik von Heiner Lürig, Kunzes jahrzehntelangem Partner in der Komposition ist routiniert und gibt sich in besseren Momenten mit launigen Zitaten ein bisschen ironisch; etwa wenn gegen Ende, angesichts all der Hochzeiten zum Happy-End, gar ein kleiner Gesellschaftstanz zwischen die Hecken des Barocktheaters beschworen wird. Auch gibt es witzige Details selbst in Kunzes geschüttelt-und-gerührtem Höllentrip: wenn etwa der Narr, bei Shakespeare "Feste", jetzt bei Kunze "Druff" heißt. Und wenn der Regisseur Christian von Götz dem Narren-Darsteller auch noch eine Schellenpuppe an die Hand gibt, die eindeutig Kunzes große schwarzgerahmte Brille trägt.

    Vielleicht hätte all dies, mit weniger Reim und mehr Regie, sogar ein feines, kleines Travestiechen werden können. So ist es leider eitel lärmende Auftakt für ein neues Theater-Ensemble - die "Musical-Company", die lauter junge Schauspiel- und Gesangs-Absolventen aus unterschiedlichsten Hochschulen versammelt und nun Teil vom neuen "Theater für Niedersachsen" werden wird, zu dem sich das traditionsreiche Stadttheater Hildesheim und die reisende hannoversche Landesbühne zusammen getan haben. Beide Bühnen waren (was selten ist) dafür, und vielleicht braucht's ja solch einen Knaller zu Beginn. Auch wenn's nur der einer Knalltüte ist.