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Sharon Dodua Otoo: "Adas Raum"
Ausweitung der Erzählzone

Sharon Dodua Otoo durchwandert in ihrem ersten Roman unterschiedliche Räume und Zeiten. Als roter Faden dient ihr ein Perlenarmband. Es führt die ineinander verwobenen Handlungsstränge vom 15. Jahrhundert ins Berlin der Gegenwart.

Von Shirin Sojitrawalla | 21.02.2021
Sharon Dodua Otoo
Die Autorin Sharon Dodua Otoo macht im Projekt "Witness" schwarze Narrative hörbar. (imago images / Horst Galuschka)
Ihr 2016 mit dem Ingeborg-Bachmannpreis geadelter Text "Herr Gröttrup setzt sich hin" spielt mit dem Perspektivwechsel: Mal beschaut ein Ei die Welt, mal ein Lippenstift. Das spielerische Prinzip mit der Perspektive könnte man als literarischen Animismus bezeichnen, was meint, dass diese Literatur an die Beseeltheit der Dinge glaubt. Diesem Glauben bleibt die Autorin Sharon Dodua Otoo auch in ihrem ersten Roman "Adas Raum" treu. Die Ich-Erzählerin ist mal ein Zimmer in einem Konzentrationslager, mal ein Reisigbesen, mal ein Reisepass, dazwischen kommen unterschiedliche Frauen zu Wort.
Ada heißt die Hauptfigur in diesem sich durch die Jahrhunderte spinnenden Roman, nicht eine Ada, sondern derer vier: Eine lebt in Ghana, eine andere in England, wo sie eine Affäre mit dem Schriftsteller Charles Dickens pflegt, die nächste Ada fristet im Lager Dora ihr Dasein, und bei der vierten Ada handelt es sich um eine junge schwarze Frau im heutigen Berlin. Otoo verortet ihren Roman in unterschiedlichen Zeiten und an verschiedenen Orten, deren parallele Existenzen sie in einen Erzählraum bettet. Sie trennt die unterschiedlichen Zeitebenen aber nicht säuberlich, sondern knüpft Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu einer großen Menschheitserzählung. Zeitschleifen sind das formale Prinzip ihres Romans:
"Die Zeit war jedenfalls gekommen, um Ada daran zu erinnern, dass alle Wesen – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – in Verbindung miteinander sind, dass wir es immer waren und immer sein werden. Die Botschaft kann erdrückend sein, wenn mensch meint, sie zum ersten Mal zu hören. Wir wollten Ada damit nicht (*) überrumpeln. Wir wissen ja, dass sie am Ende ihres Lebens immer am dringendsten eine Runde Abstand braucht. Also machten Gott und ich uns auf die Suche nach ihr – aber erst nachdem sie sich gänzlich im Weißen aufgelöst hatte."
Eine Schwarze Frau reckt ihre Faust in die Kamera.
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Gott ist hier eine Frau

Bei dem Wir, das hier spricht, handelt es sich um Gott höchstpersönlich, die auch in Form einer Brise auftaucht. Sie haben richtig gehört: die. Gott ist hier eine Frau. Warum auch nicht? Beziehungsweise: Das wurde ja auch Zeit! Innerhalb dieses Romans ist das schon deshalb folgerichtig, da es um das Leben von Frauen geht, um Mutterschaft und weiblichen Zusammenhalt, um Freundinnen, Mentorinnen, Schwestern, Wahlverwandte, Herrinnen und Zofen. Otoos Spiel mit der Erzählperspektive ist dabei mehr als erzählerischer Schabernack. Indem sie die Erzählung auf verschiedene Schultern verteilt, entmachtet sie den allwissenden Erzähler.
Die Dinge ermächtigen sich hier selbst, erzählen einfach, was sie sehen und bezeugen können. "Ohne Mehrperspektivität fehlt einfach mehr als die Hälfte der Geschichte", hat Otoo einmal in anderem Zusammenhang gesagt. Auch das mag ein Grund für ihre Ausweitung der Erzählzone sein. Bei Licht betrachtet ergibt sich aus ihrem Verfahren jedoch wenig inhaltlicher Mehrwert, die Dinge erzählen nicht viel über das Offensichtliche hinaus, was zur Frage führt, welchen Zweck dieses Erzählen erfüllt? Wahrscheinlich hat Otoo den Bachmann-Preis als Ermunterung für diese Art des Perspektivwechsels verstanden. Was einmal klappt, erzählt sich immerdar.
Zuweilen spricht die jeweilige Erzählerin die Lesenden auch direkt an, doch egal, wer gerade spricht, immer meint man, der Autorin den Spaß am Fabulieren anzumerken. Wie schon in "Herr Gröttrup setzt sich hin" kommt dabei keine Literatur um der Literatur willen, keine l'art pour l'art heraus, sondern eine mit historischem und politischem Bewusstsein aufgeladene Erzählung.

Autorin und Aktivistin

Der Roman beginnt im 15. Jahrhundert im ghanaischen Küstendorf Totope. Dieser Ort ist heute aufgrund des steigenden Meeresspiegels davon bedroht, vom Erdboden verschluckt zu werden. Das muss man nicht wissen, um den Roman zu lesen, kann es aber leicht googeln, wie so viele andere Anspielungen, Personen und Orte des Romans. So gibt es auch eine Stadt namens Ada in Ghana. Im Roman taucht zudem die britische Mathematikerin Ada Lovelace auf, als Ada aus dem 19. Jahrhundert, die sich als verheiratete Frau mit Charles Dickens einlässt, während am Ende des Zweiten Weltkrieges im Arbeitslager Dora nördlich von Nordhausen eine andere Ada in einem der dortigen Bordelle ihren Dienst tut, derweil sich die hochschwangere junge schwarze Frau Ada im heutigen Berlin auf Wohnungssuche begibt und dort mit alltäglichen Formen von Rassismus konfrontiert ist.
"Aber Ada war es egal. Alles war ihr egal. Ihr Herz hämmerte gegen ihren Brustkorb. Ein Junge, der eigentlich hatte über die Straße gehen wollen, starrte Ada auch mit offenem Mund an. Und normalerweise hätte sie ihn ignoriert. Denn er war gewiss nicht das erste Kind, das sie anstarrte, und würde wohl auch nicht das letzte sein. Und so viele Menschen hatten ihr gesagt, sie solle mit weißen Kindern verständnisvoll umgehen. Sie seien einfach nur neugierig. Oder interessiert. Vielleicht überrascht. Möglicherweise doch verängstigt. Aber alles nur, weil sie bestimmt noch nicht so viele echte Schwarze gesehen hatten. Ada solle es nicht persönlich nehmen."
Ada nimmt es persönlich, was daran liegt, dass Sharon Dodua Otoo nicht nur Autorin, sondern auch Aktivistin ist. Sie engagiert sich unter anderem in der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland, beschäftigt sich in ihren Reden, Artikeln und Büchern immer wieder mit Rassismus und Feminismus. Ihre Lebenswirklichkeit als Schwarze, in Deutschland lebende Britin ist auch Nährboden ihrer Literatur, wiewohl es in ihrem ersten Roman um mehr geht als um das. Es geht ums große Ganze, die Ungerechtigkeit und Liederlichkeit der Welt. So wie das Schicksal des Ortes Totope in Ghana mit den Auswirkungen des Klimawandels, also auch unserem tatsächlichen Verhalten in Europa verknüpft ist, so führt auch eine Linie von der Biografie der Ada Lovelace, die vielen als die erste Programmiererin gilt, zur heutigen Ungleichbehandlung von Frauen und Männern in der Berufswelt. Stichwort Gender Pay Gap oder Frauenquote. Dasselbe gilt für das Lagerbordell im Roman, das mit Menschenhandel und Prostitution im Jahr 2021 zusammen gedacht werden muss. Diese Dinge muss Otoo nicht aussprechen, um sie mitzumeinen.
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In der Tradition von Charles Dickens

Im vergangenen Jahr hielt Otoo die Eröffnungsrede bei den 44. Tagen zur deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt und präsentierte sich dort als eine der Humanität verpflichtete Autorin. Das mag pathetisch tönen, doch darunter macht sie es nicht. Sie sieht sich etwa in der Tradition von Charles Dickens, einer politisch und sozial engagierten Literatur, die sich den Missständen der Welt widmet. Es gehört zum besonderen Humor dieser Autorin, dass ausgerechnet Dickens in ihrem Roman auftritt. Als Geliebter der besagten blitzgescheiten Ada kommt ihm aber nur eine Nebenrolle zu:
"Ich hätte den Streit mit ihm vermeiden können, wenn ich ihm uneingeschränkt Recht gegeben hätte. Das pflegte ich meist zu tun, denn es war äußerst strapaziös, gerade in jenen Zeiten, Disputationen mit Männern wie Charles zu führen. Männer, die sich eigentlich für 'die Guten' hielten, doch – zwischen den Schwarzen auf der einen Seite und den Frauen auf der anderen – nicht mehr wussten, woher die nächste Anfechtung ihrer gottgegebenen Autorität kommen würde und deswegen vorauseilend an allen Fronten kämpften. Seine Gewissheit, dass er mir irgendetwas Gescheites zum Thema Wahrscheinlichkeitsrechnung sagen konnte, war denkbar lächerlich. Korsette haben wohl nicht nur bei Frauen eine einengende Wirkung. Ich behielt die Frage 'Liebling, was geht in deinem Köpfchen eigentlich vor?' für mich und zählte gedanklich bis zehn."
Buchcover: Sharon Dodua Otoo: „Adas Raum“, Goldene Perlen im Hintergrund
Sharon Dodua Otoo: „Adas Raum“ (Buchcover: S. Fischer Verlag, Hintergrund: IMAGO / Panthermedia)
Im Gegensatz zu Dickens begnügt sich Otoo nicht mit realistischen Erzählverfahren, sondern lädt die Wirklichkeit magisch auf. Als roter Faden ihres Romans, der die verschiedenen Zeiten und Geschichten buchstäblich zusammenbindet, dient ihr ein Armband. Ein antikes mit goldenen Perlen besticktes. In allen Jahrhunderten taucht es auf, jeder Ada begegnet es, bis es schließlich in einem Hochglanzkatalog einer Ausstellung zum Thema Kolonialismus landet, womit Otoo den Fokus sehr deutlich in Richtung Restitution lenkt. Wem gehören die Schätze Afrikas? Wessen Geschichte erläutern sie? Fragen wie diese grundieren den Roman.
Die französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy wirbt im Umgang mit dieser Kunst für die Idee eines gemeinsamen Welterbes, was hieße die Werke in ihrer individuellen Biografie zu begreifen und ihre Herkunft und damit auch ihre Kolonial- und Gewaltgeschichte darzulegen. Genau das ist es, was Otoo in den Blick nimmt: unser gemeinsames Welterbe. Die Kolonialzeit ist nicht getrennt von den Gewaltherrschaften des 20. Jahrhunderts und schon gar nicht von unserem heutigen Umgang mit ihr zu betrachten. Von der wissenschaftlich begründeten und unwissenschaftlichen verbreiteten Neugier auf fremde Völker zieht Otoo eine Linie zum Angestarrtwerden auf den Straßen Berlins.

In der Erzählwütigkeit nicht aufzuhalten

Nicht nur das Armband verbindet im Roman verschiedene Zeitebenen, auch Motive, Namen, Angewohnheiten schwappen über die Jahrhunderte. Nicht nur Ada vervielfacht sich, auch Wilhelms gibt es viele: Guilherme, William, Wilhelm – Variationen eines Vornamens, Inkarnationen eines Mannes. Die Liebe zur Mathematik von Ada Lovelace findet in der Figur der schwarzen jungen Frau in Berlin ihren Widerhall, die von Beruf Informatikerin ist. Frauen mit kurz gebissenen Nägeln kommen immer wieder vor, die Zahnlosigkeit ist ein anderes Motiv. An einer Stelle des Romans heißt es, dass die Phantasie die Grenzen des Möglichen nicht erkenne. Das gilt auch für die Autorin Otoo, die in ihrer Erzählwütigkeit nicht aufzuhalten ist.
"Warum ich 1945 unbedingt ein KZ-Bordell-Zimmer werden musste, wollte mir zu der Zeit nicht einleuchten. Meine Wände waren so dünn, jeder Schrei, jedes Stöhnen ging durch mich hindurch. Ich war verdammt, alles zu bezeugen, aber nichts verhindern zu können. Alles zu verschleiern, aber nichts je vollständig tilgen zu können. Da gefiel mir meine kurze Tätigkeit als Türklopfer eindeutig besser. Jedoch mussten Fakten geschaffen werden: Die Übergabe des Armbands war, möglichst noch vor dem Sturm, dringend zu sichern." [*]
Eingedenk aller politischen und identitätspolitischen Inhalte erweist sich Otoo in ihrem ersten Roman als genuine Geschichtenerzählerin und damit als eine, die weiß, wie man Spannung aufbaut, Cliffhanger einsetzt, mit retardierenden Momenten spielt, die Leser und Leserinnen einbezieht und herzlich einlädt, zuzuhören. Ihr spielerischer Zugang zur Literatur zeigt sich auch darin, dass sie das mit dem Bachmann-Preis ausgezeichnete Ei aus "Herr Gröttrup setzt sich hin" in "Adas Raum" wieder auftauchen lässt. Die Putzhilfe der Gröttrups hieß übrigens auch schon Ada. Das ist nur folgerichtig in einem Buch, das die Weltverbundenheit feiert. Doch so weit sich der Roman inhaltlich in und über die Zeiten hinauswagt, so erwartbar bleibt er sprachlich. Die Wortwahl überrascht selten. "Hechtgraue Haare" mögen als einsames Gegenbeispiel dienen.
Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah
Fatma Aydemir und Hengameh Yaghoobifarah - "Eure Heimat ist unser Albtraum"
"Eure Heimat ist unser Albtraum" – dieser Titel versammelt Essays von 14 Autorinnen und Autoren über Alltagsrassismus, Diskriminierung und Nationalismus, aber auch Ideen für die Zukunft, wie ein besseres Zusammenleben möglich werden könnte.

Ein oftmals naiver Erzählton ohne Zynismus und Sarkasmus

Sharon Dodua Otoo wurde in Großbritannien geboren, Deutsch beherrscht sie als Fremdsprache. Ihre Novellen hat sie noch auf Englisch geschrieben, ihren ersten Roman schreibt sie in einem einfachen, klaren Deutsch. Ihr Erzählton ist oftmals offensiv naiv, ihre Weltbetrachtung nicht von Zynismus oder Sarkasmus getrübt. Das schmiegt sich mustergültig an die gemalten Vignetten von Sita Ngoumou, welche die Kapitel einleiten. Sie dienen als Türöffner. Die passbildgroßen Porträts einer bunten Weltgemeinschaft weisen den Lesern den Weg: stilsicher, einfach und schön. Sita Ngoumou ist Frauenärztin und arbeitet parallel als bildende Künstlerin. Ihre Bilder zierten auch schon Otoos Novelle "Synchronicity".
Ihren Roman spaltet Otoo in zwei Teile: im ersten lernen wir Zeiten, Orte, Akteure kennen, bevor sich im zweiten die Ebenen verweben und die Gegenwart hinzukommt. Über dem ersten Kapitel des zweiten Teils prangt eine kleine Schleife, das Zeichen für Unendlichkeit, das hier auf die Liebe zur Mathematik sowie auf ein Erleben und Erzählen ohne Anfang, Mitte und Ende verweist.
Wie schon in ihrem Gewinnertext aus Klagenfurt vertritt Otoo auch in "Adas Raum" einen warmherzigen Geradeaus-Humor, der manchmal arg putzig daherkommt. Ja, über Humor lässt sich nicht streiten, doch etwas mehr Rock 'n' Roll wäre irgendwie schön. In ihrer Novelle "die dinge, die ich denke, während ich höflich lächle..." hat sie gezeigt, dass sie auch abgründiger, zeitgemäßer erzählen kann. Diesmal wirkt ihr Witz oft betulich und uninteressant familientauglich. Eine berlinernde Gebärmutter, wie sie im Roman vorkommt, mag man irgendwie charmant finden, zum Lachen bringt sie einen nicht. Das liegt auch am Augenzwinkern, das diese Art von Humor eskortiert. Selbiges gilt für die sprechende und denkende Dingwelt, da geht es zuweilen so kindlich zu wie im Zeichentrickfilm. Manchmal badet der Text auch einfach in zartem Kitsch:
"Die Stimme der Frau wurde so sanft und tief wie ihre gelblichen Augen. 'Eine Sache möchte ich dir sagen', nickte sie. 'Ich weiß nicht, was zwischen euch gelaufen ist. Ich sehe aber, dass er dich verletzt hat...'
'Und wie...'
'Verzeih ihm.'
Im ersten Moment bekam Ada kein Geräusch aus ihrer Kehle. Wer war sie, um sowas sagen zu können? Was wusste sie über ihre Beziehung zu Cash? Gar nichts! Warum sollte Ada ihm verzeihen? Wenn Sie nur wüsste, was er alles verbockt hatte!
'Ich kann das nicht', stammelte Ada. Ihre Unterlippe bebte, dennoch schaffte sie es, ihre Stimme ruhig zu halten.
'Verzeih ihm', erwiderte die Frau.
'Warum ich?'
'Weil Du es kannst.'
'Ha!'"
Diese Ausrutscher verzeiht man der Autorin, weil es Ausrutscher bleiben. Gutwillig könnte man auch sie als eine Stimme von vielen in diesem vielstimmigen Roman auffassen.
Die Frauen, die Otoo begleitet, sind Frauen in Ausnahmesituationen, Frauen, die Mütter werden oder es gerade geworden sind, die sich in einem fremden Land oder in fremden Armen wiederfinden. Frauen, die unterschätzt werden, ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts wegen. Sie alle verkörpern Ada, deren Schicksal mit Krieg, Völkermord und Rassismus einhergeht. Im Falle der Berliner Ada sind die Geschichten mit den Evergreens der Diskriminierung verbunden: Es fängt bei der Frage nach der Herkunft an, zieht sich über permanent falsch ausgesprochene Namen bis hin zu Strukturen, die Ausgrenzung und Benachteiligungen fördern.

Mehrfrauenehe, Kochgewohnheiten, kalte Temperaturen

Während sich der Roman zwischen Zeiten und Kontinenten bewegt, nimmt er Unterschiede en passant in den Blick: die Mehrfrauenehe in Ghana, die "Tiefkühltemperaturen" in England, die Kochgewohnheiten in Deutschland, wobei es, nebenbei bemerkt, nicht gerade up to date wirkt, den Deutschen von heute nachzusagen, sie kochten nur mit Salz und Pfeffer. Leider hochaktuell indes die Frage nach der Akzeptanz von schwarzen Menschen in Deutschland. So beschwert sich Adas Halbschwester in Berlin:
"Ich lebe hier. War nie woanders. In meiner Familie war ich immer die einzige Schwarze. Alle sagten mir, wir sind gleich. Aber ich sah doch mit eigenen Augen, dass es nicht stimmte. Weißt Du, was für ein Scheißgefühl das ist? Ständig von allen Menschen angelogen zu werden?" Ada schaute auf den Boden. Elle redete zu laut. Und viel zu lang. "Als einzige Person in der Klasse oder auf der Arbeit oder einfach, wenn ich mit meinen Leuten unterwegs bin – als Einzige werde ich gefragt, wo ich herkomme. Einfach so. Auf einer Party, auf der Straße, beim Einkaufen. Mein Leben ist eine einzige, fucking Personalkontrolle..."
Das ist der Ton, den man auch aus ihrer besagten Novelle kennt: keck, heutig, auf den Punkt. Für ihren ersten Roman hat Otoo mehr und anderes gewollt. "Adas Raum" bietet eine verwobene Geschichte, die aufs große Ganze zielt. Die ambitionierte Konzeption nötigt einem Respekt ab, vor dem Hintergrund, dass es sich hier um ein Debüt handelt, gilt das noch einmal mehr. In seinem Kern erzählt das Buch von Herkunft und von Identität. Damit liegt es absolut im Trend aktueller Debatten und Diskurse und fügt sich zu vielen anderen Titeln dieses Bücherfrühjahrs. Man denke etwa an Bernadine Evaristo und ihren tolldreisten Roman "Mädchen, Frau etc.", der 12 schwarze Frauen und ihre disparaten Biografien ins Zentrum stellt. Gegen diesen, ebenfalls die Politik und das Leben in ihrer historischen Tiefe und Aktualität auslotenden Roman wirkt Otoos Erstling nicht nur wie ein minderes Vergnügen, sondern wie ein zu akkurat geratener Erzählreigen im Namen der guten Sache. Sie könne als Zeugin von Missständen ihre Literatur in deren Dienst stellen, hat Otoo einmal gesagt. Womöglich ist es diese deutliche Indienststellung, die dazu führt, dass mich ihr erster Roman nicht ganz überzeugt.
[*] An dieser Stelle haben wir eine inhaltliche Korrektur vorgenommen.
[*] An dieser Stelle wurde ein Zitat korrigiert.
Sharon Dodua Otoo: "Adas Raum"
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main. 317 Seiten, 25 Euro.