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Shinto in Japan
Schnupperkurse gegen Priestermangel

Priestermangel, das kennen nicht nur die Kirchen in Deutschland, sondern auch die Shinto-Schreine in Japan. Nur noch jeder vierte Schrein hat einen Priester. Kasohiro Ishkawa bietet deshalb Schnupperkurse für Interessierte an – und hat großen Zulauf.

Von Jürgen Hanefeld | 25.08.2017
    Haupteingang zum shintoistischen Heian-Schrein in Kyoto, 17.01.2014
    Haupteingang zum shintoistischen Heian-Schrein in Kyoto (picture alliance / dpa / ZB / Peter Jähnel)
    Kasohiro Ishkawa vertreibt die bösen Geister. Das tut er jeden Morgen, wenn er das Innere des Schreins betritt. Alles muss sauber sein, alles rein. Sonst sind die Kami beleidigt. Die Götter, von denen es – wie jeder weiß – acht Myriaden gibt.
    Kasohiro Ishkawa vollzieht dieses Ritual jeden Tag. Jeden Tag steht er um 5:30 Uhr auf, nimmt ein Bad, kleidet sich in sein Priestergewand und öffnet die Tore des Schreins, in dem er mit seiner Familie lebt:
    "In der Shinto-Welt muss alles bleiben, wie es immer war. Alles muss so weitergehen. Wir beten jeden Tag für Frieden und das Gedeihen in unserem Viertel, im Land und in der Welt."
    Alles ist beseelt
    Es ist schwierig, den Shinto-Glauben zu beschreiben. Und wohl unmöglich, ihn zu begreifen, wenn man kein Japaner ist. Die unsichtbare Welt, in der alles und jedes beseelt ist, steht in einem merkwürdigen Widerspruch zur Tatsache, dass man Shinto an ordentlichen Universitäten studieren kann. Auch der 40-jährige Kasohiro Ishkawa hat den Beruf des Shinto-Priesters regelrecht gelernt und eine Lizenz erworben, um ihn ausüben zu dürfen:
    "Dabei wollte ich eigentlich Investment-Banker werden, oder so etwas Angesagtes. Aber mein alter Vater ist Oberpriester dieses Schreins in der 18. Generation. Aus Dankbarkeit gegenüber meinem Vater und aus Verpflichtung gegenüber den Gläubigen, die jeden Tag hier her kommen, habe ich eigewilligt, die Tradition fortzusetzen."
    Japanische Shinto-Priester beim Reinigungsritual
    Japanische Shinto-Priester beim Reinigungsritual (dpa/epa Everett Kennedy Brown)
    Dankbarkeit ist auch der Schlüsselbegriff für den Shinto-Glauben. Den unsichtbaren Geistern werden täglich Reis, Salz und Sake geopfert, Gemüse, Obst und Fisch. All das, was man ihnen verdankt. Der Inage Jinja – so der Name des Schreins – ist das wichtigste Shinto-Heiligtum der Stadt Kawasaki. Sein Alter lässt sich nur schätzen. Es existiert ein Dokument aus dem Jahr 1200, in dem der Shogun die Instandsetzung des Schreins befielt. Wahrscheinlich stammt er aus dem Jahr 1000.
    "Wie wird man Shinto-Priester?"
    Kasohiros Entscheidung hat also auch etwas mit Traditionspflege zu tun – und mit der Tatsache, dass sein Beruf auszusterben droht. Von den 80 000 Schinto-Schreinen Japans haben nur noch 20 000 einen Priester. Deswegen hat Kasohiro einen Schnupperkurs erfunden. Einen Tag Shinto-Priester sein:
    "Viele Leute kommen zwar in den Schrein zum Beten, aber mehr wissen sie eigentlich nicht. Ich bin ja auch nur Priester geworden, weil ich in einem Schrein großgeworden bin. Das Erstaunliche ist: Gerade Leute zwischen 30 und 45, die also schon einen Beruf haben, nehmen an diesen Schnupperkursen teil. Mehr Frauen als Männer übrigens. Und etwa die Hälfte dieser Teilnehmer fragt anschließen: ‚Wie wird man Shinto-Priester?‘"
    Ein Lichtblick in dieser materialistischen Welt. Shinto ist das Gegenteil. Er stammt aus dem Mythenkreis um die Sonnengöttin Amaterasu, der legendären Ur-Mutter Japans. Ist Shinto Religion, Sitte, Lebensweise?
    "Shinto ist alles", sagt Kasohiro. "Deswegen sind wir offen auch für Buddhisten, Christen oder Muslime. Aber dass wir uns heute hier getroffen haben, das ist Shinto. Ich nenne es: Das wunder im Zufall."