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Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum.

Paris hat im Jahre 1872 mit dem renommierten Kaufhaus "Bon marché" eine Sehenswürdigkeit besonderer Art zu bieten: Zu besichtigen ist ein blendendes Spektakel des Überflusses. Für interessierte Kunden werden, wie in einem Museum, geführte Rundgänge durch die verschiedenen Warenabteilungen angeboten. Wie weitreichend die Parallele von Museum und Warenhaus ist, zeigt der Katalog "Shopping. 100 Jahre Kunst und Kommerz", den Max Hollein und Christoph Grunenberg herausgegeben haben. Nicht erst seit Kunstsponsoring aus dem kulturellen Leben nicht mehr wegzudenken ist und jedes Museum seinen Museumsshop hat, ist die Grenze zwischen Kunst und Kommerz fließend geworden. Eine besondere Stellung kommt dabei der Geschichte des Schaufensters zu. Das Schaufenster lässt den Raum des Ladenlokals erstmals zum Kunden hin transparent werden. Dies ist ein Novum im Verhältnis des Ladenbesitzers zu seiner Kundschaft, da der Kunde sich nicht mehr die Ware vom Inhaber zeigen lässt, sondern vorab unverbindlich das Angebot begutachten kann.

Andrea Gnam | 11.12.2002
    Aus Amerika importiert, tritt das Schaufenster im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts auch in Europa seinen Siegeszug an. Sechzig Jahre nach der Erfindung des Schaufensters im Jahre 1840 ist die Schaufenstergestaltung eine eigene Disziplin geworden. Fotografen wie Eugene Atget, Berenice Abbott und Walker Evans entdecken das Prinzip der Reihung von Waren im Schaufenster als ästhetisches Arrangement. Mit wehmütigem Blick dokumentiert die Kamera ihre ebenso bizarre wie vergängliche Schönheit. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts werden von ambitionierten Geschäftsleuten auch Künstler für die Ausrichtung der Schaufenster gewonnen. Schon bald spiegeln sich die Prinzipien der Moderne in den Schaufenstern der großen Kaufhäuser wieder. Die Präsentation der Waren wird puristischer, geometrische Arrangements werden bevorzugt. Die Künstler rechtfertigen ihr kommerzielles Tun mit einem pädagogischen Auftrag: die zeitgenössische Kunst erreicht die Massen zuerst durch die Geschäfte, lange ehe sie für museumswürdig erachtet wird.

    Bestes Beispiel dafür ist Jahrzehnte später die Pop-Art der sechziger Jahre. Sie ist ganz Kind der Warenkultur: Andy Warhol hat als Ort für seine erste Kunstausstellung konsequent ein Schaufenster gewählt, Jasper Johns und Rauschenberg beginnen ihre Karriere mit Kunst im Schaufenster. "Alle Kaufhäuser werden zu Museen und alle Museen zu Kaufhäuser", prophezeit Andy Warhol seinen Zeitgenossen.

    Dem Schaufenster, besonders ausführlich der New Yorker Szene, widmen sich einige ambitionierte Beiträge des Bandes, die mitunter allzu detailverliebt argumentieren. Die Lust am Kaufen wird problematisch, wenn man sie von ihrer politischen Seite betrachtet. Merkwürdig kritiklos bleiben hier die Aufsätze. Zwar wird bemerkt, dass im zwanzigsten Jahrhundert ein grundlegender Wandel im Hinblick auf das Kaufverhalten eingetreten ist. Er lässt sich, so Marc Taylor, an der Veränderung in der Beziehung zwischen Einkaufen und Krieg festmachen. Herrschte in den beiden Weltkriegen Mangel am Nötigsten, so hat der amerikanische Präsident nach dem Anschlag vom 11.September den Einkauf von Waren zur patriotischen Pflicht erhoben. "Fragt nicht, was Euer Land für Euch tun kann, sondern was ihr für Euer Land kaufen könnt", kommentiert Taylor den Appell Bushs an seine Landsleute. Der Vergleich zwischen der Mangelwirtschaft der Weltkriege und dem Attentat ist aufgrund der unterschiedlichen wirtschaftlichen Lage ziemlich unsinnig. Dennoch lässt sich hier mit dem Autor fragen, ob Shopping, wenn es zur Pflicht geworden ist, wirklich noch Shopping ist?

    Und ein Aspekt, den der Katalog einfach beiseite lässt: wie sieht es mit den negativen, ökologischen Folgen der Wegwerfkultur aus? Überschuldete Konsumenten, Kaufsucht, die geistige Leere einer Verbrauchergesellschaft, die dem Reiz des Neuen und Ungebrauchten verfallenen ist, all dies wird in den Aufsätzen nicht berücksichtigt. Wohl aber werden eine Reihe von künstlerischen Arbeiten gezeigt und kommentiert, die sich dem Thema widmen. Die Fluxusbewegung der sechziger Jahre beispielsweise arbeitet mit armen, reduzierten Materialien und bringt auch Müll ins Museum, historische und zeitgenössische Fotografen zeigen das rasche Altern des Neuesten.

    Das Phänomen der "Shopping"- Kultur zeigt eine fröhliche, aber auch eine sinnentleerte Seite. Tendenziell breitet es sich mit aggressiven Strategien auf alle Bereiche menschlichen Lebens aus. Schon in den Zwanziger Jahren besteht das Problem der amerikanischen Wirtschaft nicht darin, Güter zu produzieren, sondern wie ein Zeitgenosse zugibt, darin "wie wir es schaffen, Kunden für diese Güter zu produzieren". Die glatte Schönheit der neuen Produkte reizt vorübergehend die Sinne. Dennoch bleibt die Freude am Einkauf ein flüchtiges Vergnügen, das an der Oberfläche bleibt. "Shopping" befriedigt nie wirklich den Menschen in seiner Leidenschaft und lässt so auch, wie es in einem weiteren Beitrag heißt, "tiefere Schichten und Sphären intakkt."