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Shotgun Lovesongs
Zerfall eines Kuhdorfs im Mittleren Westen

Insgesamt finden in Nickolas Butlers Debüt vier Hochzeiten statt. Es gibt keine Beerdigungen, aber jede Menge Tränen, Missverständnisse und verletzte Gefühle. Geschildert werden die Geschehnisse abwechselnd aus der Perspektive der Protagonisten. In Rückblenden wird die Jugend der Akteure aufgerollt, gemeinsames Kiffen und Trinken inklusive.

Von Sacha Verna | 14.02.2014
    Fahne der USA
    In "Shotgun Lovesongs" geht es um große Gefühle und die zerstörerische, moderne Agrarindustrie im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. (picture alliance / dpa / Igor Zehl)
    Lee ist Popstar und weit herumgekommen. Kip ist Rohstoffmakler und zu Geld gekommen. Ronny ist ein Ex-Rodeo-Held und vor die Hunde und Henry aus Little Wing nie weggekommen. Henry hat stattdessen Beth geheiratet und die Farm seiner Eltern in dem Kaff in Wisconsin übernommen, wo die Freunde aus Kindertagen nun erneut zusammentreffen, um eine Hochzeit zu feiern.
    Insgesamt finden in Nickolas Butlers Debüt vier Hochzeiten statt. Es gibt keine Beerdigungen, aber jede Menge Tränen und Missverständnisse und verletzte Gefühle. Geschildert werden die Geschehnisse abwechselnd aus der Perspektive der Protagonisten, wobei sich die Stimmen nicht merklich von einander unterscheiden. Beth klingt wie Lee klingt wie Ronny, bloß pflegen alle ihre höchst eigenen Innenwelten.
    So ist Ronny, der ehemalige Rodeo-Reiter, nicht ganz so plemplem und hilflos, wie die anderen meinen. Beth hatte einmal eine Schwäche für den singenden Lee, und Lee eine für sie, was dem wackeren Farmer Henry völlig entging und spät, aber umso heftiger zu Beziehungsstörungen führt. Kip wiederum steckt zwar in der Rolle des reichen Kotzbrockens fest, ist aber eigentlich ein empfindsamer Kerl, der sich nichts sehnlicher wünscht als die Zuneigung der übrigen.
    Es geht um Freundschaft und das Gefühl, daheim zu sein, um Konkurrenz und die Einsamkeit in der Fremde, ums Erwachsenwerden und ums Erwachsensein. In Rückblenden wird die Jugend der Akteure aufgerollt. Die vielen Sonnenaufgänge, die sie zusammen auf dem Dach der stillgelegten Getreidemühle sahen, das gemeinsame Kiffen und Trinken. "Shotgun Lovesongs" handelt auch vom Zerfall eines Kuhdorfs im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Little Wing ist ein Ort von Tausenden seiner Art, und der Roman das Moritat auf eine Existenzweise, der Sojabohnen und die moderne Agrarindustrie den Garaus gemacht haben.
    Nickolas Butler erzählt mit der Leichtigkeit des professionellen Wortarbeiters. Seine Sprache dient dem Stoff als Bühne, ist aber elegant genug, um noch als Kunstmittel wahrgenommen zu werden. Seine Figuren sind Durchschnittstypen, und einigermaßen interessant über normale Menschen zu schreiben, ist an sich schon eine Leistung. Was "Shotgun Lovesongs" fehlt, ist der Zauber, der Diesseitsepisoden einen Hauch von Ewigkeit verleiht. Literatur ist das Leben in Anführungszeichen. In diesem Roman haben sich die Gänsefüßchen davongestohlen.
    Nickolas Butler: Shotgun Lovesongs.
    Roman. Aus dem Amerikanischen von Dorothee Merkel.
    Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 425 Seiten. 19,95 Euro.