Dienstag, 23. April 2024

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Shoval: Siedlungen im Gaza-Streifen werden geräumt

Meurer: Israels Regierung steht international massiv in der Kritik wegen des Baus der Sperranlage aus Mauern und Zäunen und wegen der Besetzung der Palästinensergebiete überhaupt. Aber in Israel selbst gibt es auch eine starke politische Bewegung rechts von Ministerpräsident Ariel Scharon. Gestern bildeten rund 130.000 Israelis eine fast 100 Kilometer lange Menschenkette. Sie protestierten damit gegen den Plan von Scharon aus dem Gaza-Streifen abzuziehen. Scharon selbst signalisiert nun, den Siedlern entgegenkommen zu wollen. Am Telefon in Jerusalem begrüße ich Salman Shoval einen der außenpolitischen Berater von Scharon. Guten Morgen, Herr Shoval.

Moderation: Friedbert Meurer | 26.07.2004
    Shoval: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wird Scharon den Siedlern doch entgegenkommen?

    Shoval: Schauen Sie, jeder will jedem anderen entgegenkommen, denn das letzte, was wir in Israel brauchen, ist ein Zwist oder vielleicht noch schlimmer. Aber ich glaube, dass der Premierminister entschlossen ist, seinen Plan weiterhin zu verfolgen, aber er ist sich bewusst, dass da bestimmte, würde ich sagen, internpolitische Probleme da sind. Das sind nicht nur die 130.000 oder 150.000 Leute in dieser menschlichen Kette gestern vom Gaza-Streifen bis zum Zentrum Jerusalems, der Jerusalemer Altstadt, es ist auch der Widerstand in der Likud-Partei, seiner eigenen Partei. Und die zwei Sachen sind nicht ganz genau identisch, das heißt, nicht jeder, der gegen Scharons Plan im Gaza-Streifen ist, ist zum Beispiel gegen die Erweiterung der Koalition. Da sind Leute die zum Beispiel für den Plan aber gegen die Arbeiterpartei sind und umgekehrt.

    Meurer: Aber die Demonstranten gestern eint ja alle, dass sie nicht wollen, dass aus dem Gaza-Streifen abgezogen wird. Bleibt es jetzt beim Abzugsplan?

    Shoval: Das ist ja ganz klar, das ist auch etwas, was man in einer Demokratie nicht ignorieren kann. Aber wissen Sie, im letzten würde ich sagen, der Entschluss wird im Parlament fallen, also in der Knesset. Und die Knesset ist sich darüber bewusst, die Politiker sind sich darüber bewusst, dass im großen und ganzen die Bevölkerung, also die allgemeine Bevölkerung Israels, den Plan Scharons unterstützt, wahrscheinlich auch die Wähler der Likud-Partei. Und da muss man verschiedene, würde ich sagen, arithmetische Probleme überwinden. Aber ich glaube nicht, dass Scharon, der ein hartnäckiger Politiker ist und Staatsmann ist, dass er sich auch von einer sehr gelungenen Demonstration wie gestern beeindrucken lassen wird und seine Pläne ändern wird.

    Meurer: Wird der Gaza-Streifen geräumt und dafür aber die Besiedlung im Westjordanland ausgebaut?

    Shoval: Ja, schauen Sie, im Westjordanland, in bestimmten Teilen des Jordanlands bleiben wir ewig, das ist klar. Wir gehen nicht an diese grüne Linie zurück wie auch im Sicherheitsrat der UNO ganz klar gemacht wurde vor 20 Jahren, dass das keine Grenze war und keine Grenze sein soll, auch aus Sicherheitsgründen, sogar wenn Kompromisse auf der Westbank sein sollten. Und die Sache wurde ja auch unlängst von den Vereinigten Staaten bestätigt, also, dass die frühere grüne Linie nicht mehr relevant ist, was die zukünftige Grenze anbetrifft.

    Meurer: Aber die Vereinten Nationen haben erheblich dagegen protestiert, dass Siedlungen hinter die Mauer gelegt werden oder von den geplanten Sperranlagen miteingezäunt werden.

    Shoval: Ja, das war uns ganz klar, das war ein politischer Zirkus, das wird keinen Einfluss auf uns oder auf die demokratische Welt haben.

    Meurer: Dieser Zirkus ist aber die Vertretung aller Länder dieser Welt.

    Shoval: Nein, ganz und gar nicht, das ist ein Propagandazirkus. Das war von vornherein klar, dass das so sein wird. Und natürlich werden wir nicht das Leben der zivilen Bevölkerung gefährden wegen so einem Propagandazirkus. Die Mauer geht weiter. Die Mauer, ich sage auch schon die Mauer, der Zaun, die Mauer ist nur ungefähr acht Prozent des ganzen Zaunes, das muss weiter gehen. Und das hat sich auch bewiesen, Leben zu retten, Terrorangriffe zu verhindern und das ist die Hauptsache und nicht, was da in irgendeiner Rede in der UNO gesagt wird.

    Meurer: Werfen Sie diese Unehrlichkeit auch den Europäern vor? Die haben immerhin geschlossen, alle 25 EU-Staaten, auch für die Verurteilung votiert.

    Shoval: Ja, schauen Sie, Unehrlichkeit ist ein hartes Wort, aber wir waren natürlich, ich würde sagen, wenn nicht überrascht, aber bestimmt enttäuscht. Deutschland hat da bestimmt eine andere Rolle spielen sollen und England und andere verschiedenen Länder, die uns zugesichert hatten, dass sie entweder dagegen stimmen werden oder sich der ganzen Wahl, wollen wir sagen, enthalten werden. Und vorgestern war der Javier Solana da und sagte, ja aber wir wollten, er ging auf die moralische Frage überhaupt nicht ein, auch auf die Sicherheitsfrage nicht ein, aber er sagte, wir wollten beweisen, dass Europa ein politischer Faktor ist. Naja, das sollte nicht gerade auf unserem Rücken gewesen sein.

    Meurer: Nun gibt es ja, Herr Shoval, Warnungen der Sicherheitsdienste in Israel, dass der Plan, den Gaza-Streifen zu räumen, die jüdischen Extremisten zum Beispiel auf die Idee bringen könnte, den Tempelberg in einem Anschlag zu bombardieren. Wie ernst nehmen Sie solche Warnungen?

    Shoval: Ganz und gar nicht, das sind sensationelle Gerüchte, eine Gerüchtsmühle, Das ist nichts, was man ernst nehmen soll. Ich sehe auch nicht die israelischen Kamikaze morgen. Nein, das ist, wissen Sie, in einer Stimmung wie heute, kommen solche Gerüchte immer auf. Aber, dass es einen kleinen aber entschlossenen Kern in der Bevölkerung gibt, der alles tun will und wird, um diese Kompromissschritte Scharons zu verhindern, ja das gibt es, aber da haben wir unsere Polizei und unsere Sicherheitsbehörden und auch, würde ich sagen, de facto, dass der größte Teil der Bevölkerung sich mit dem Plan Scharons einstimmt.

    Meurer: Das war Salman Shoval, einer der außenpolitischen Berater des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Herr Shoval, herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Jerusalem.

    Shoval: Ich bedanke mich, auf Wiederhören.