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Show der Liebe

Im Tanzhaus NRW in Düsseldorf zeigt Dave St. Pierre seine brachial-krachende Vorstellung von der Liebe. Denn der Aufprall kommt bestimmt.

Von Nicole Strecker | 05.10.2012
    Falls jemand seine Liebes-Lebenslektion noch nicht gelernt hat, der bekommt sie von Choreograf Dave St.-Pierre mit wuchtiger Pädagogik eingebläut: Sich zu verlieben ist selbstvernichtend, schmerzhaft, riskant – und der harte Aufprall kommt bestimmt. "This is how you fall in love" brüllen die Performer, dann springen sie in die Höhe und lassen sich mit knochenbrecherischer Wucht auf Metalltische knallen – wieder und wieder, als gelte es die Körper aufplatzen zu lassen, das Innerste nach Außen zu stülpen.

    Die Liebe – ein Leibesschinder. Erneut arbeitet sich Dave St-Pierre also am größten aller Gefühle ab. Und wie üblich lässt er es dafür ordentlich krachen. Er selbst tritt zu Beginn der Performance an die Rampe. Ein zierlicher Mann mit jungenhafter Baseballkappe auf dem Kopf und sorgt für einen ersten Lacher mit seinem Hinweis, wer von den Zuschauern die Show vorzeitig verlasse, müsse sich vorher ausziehen.

    Schon das Wort "Show" gibt die Haltung vor: St. Pierre ist ein Apostel des Amüsements, nicht der zeitkritischen Analyse. Und er verrät endlich den Titel seiner "Neuen Kreation": "Foudre" soll das Werk nun heißen, dabei ist es gar nicht der Blitz, der hier in die wenig wetterfesten Herzen einschlägt, sondern viel charmanter: Cupidos Pfeil. 16 nackte Engel sind die Darsteller seiner Performance. In die Jahre gekommene Putten mit nichts als kleinen weißen Flügelchen auf dem Leib und mit verlotterten Sitten: Da wird geraucht und geprügelt auf Wolke Sieben, während der nostalgische Soundtrack an eine Zeit erinnert, als man mit amerikanischem 60er-Jahre Swing die Liebe noch als keusch und körperlos vermarktete.

    Musikalisch erinnert Dave St.-Pierre so an seine eigene Sozialisation als Tänzer – den Stepptanz. Aber auch seine Choreografien sind ziemlich retro: lauter kleine Liebeserklärungen an die Helden seines Tänzerlebens. Da werfen sich seine Engel bald schon wie Guerilla-Kämpfer in den Gefühlskrieg und springen in einer langen Sequenz immer wieder auf und über Tische. Und der riskante Tanz erinnert unweigerlich an die Brachial-Choreografien eines Wim Vandekeybus, wie auch an William Forsythes tänzerische Auseinandersetzungen mit dem kantigen Möbel. Louise Lecavaliers Stuntmen-Sprünge und Jan Fabres Suddel-Drastik werden zitiert und gegen Ende defiliert das Ensemble in schicker Abendrobe lächelnd zur Pina-Bausch-Parade auf.

    So steckt in Dave St.-Pierres Liebes-Gewitter auch eine Hommage an die Halbgottheiten der Sparte. Vor allem aber zelebrieren seine Engel die verschiedenen Verzweiflungs- und Lustgrade des übermenschlichen Gefühls, aus dem längst jede Seligkeit getilgt ist. Die Gründe für den Verlust von Romantik deutet Dave St-Pierre nur an, dramaturgisch bleibt der Abend dürftig. Was aber beeindruckt, ist sein hemmungsloses Bekenntnis zu Pathos und Slapstick gleichermaßen. In einer der stärksten Szenen steht ein Mann mit einem Hochzeitsbouquet in einer Blutlache, die Füße rutschen ihm weg, er stürzt, ist bald mit Blut besudelt, während Detonationen über ihm grollen – als wäre ihm die Braut am Altar weggebombt worden. Liebe in Zeiten des Terrors.

    Solches Leid findet kein Ende, zeigt Dave St.-Pierre, und so schickt er schließlich einen Putten-Putztrupp auf die Bühne, der den trauernden Menschen wie einen blutigen Fleischklumpen routiniert wegschrubbt. Zeit für den Comicrelief in Form einer Selbsthilfegruppe für Engel: Da lümmeln dann die nackten Amoretten auf Plastikstühlen im Halbkreis und offenbaren ihre gottlosen Neurosen. Der eine Cupido leidet am Tourette-Syndrom, der andere wähnt sich als gurrende Taube und der dritte Engel ist so eifersüchtig auf die Paare, die er erschafft, dass er sich in Splatter-Fantasien ergeht. Zum himmelhochjauchzend mag die Liebeslust in transzendenz-fernen Zeiten nicht mehr reichen. Aber immerhin zeigt Dave St.-Pierre mit seinem erregungsfreudigen Spektakel, zum Höllenwitz.