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Showdown auf der Glienicker Brücke

Als 1960 der CIA-Agent Gary Francis Powers mit seinem Flugzeug über der Sowjetunion abgeschossen wurde, drohte ihm eine lange Haftstrafe. Doch Powers musste nur zwei Jahre sitzen. Denn in den USA war bereits seit 1957 ein russischer KGB-Agent infaftiert - eine gute Basis für einen Agentenaustausch.

Von Matthias Bertsch | 10.02.2012
    "General Rudolf Ivanowitsch Abel, vermutlich der höchstrangige russische Spion, der je in den Vereinigten Staaten angeklagt worden ist, wurde nach Brooklyn zurückgebracht, um dort vor Gericht gestellt zu werden. Wegen illegaler Einreise verhaftet, sollte er zunächst abgeschoben werden. Doch bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurde eine Spionageausrüstung entdeckt. Nun erwartet ihn möglicherweise die Todesstrafe."

    Als das US-Fernsehen im August 1957 über die Enttarnung des russischen KGB-Offiziers Rudolf Abel berichtete, lag seine Verhaftung bereits zwei Monate zurück. In einem aufsehenerregenden Prozess wurde Abel, der in den USA ein Spionagenetz aufgebaut und zahlreiche Informationen über das amerikanische Atomprogramm an die Sowjetunion weitergeleitet hatte, zu 30 Jahren Zuchthaus verurteilt.

    "Eigentlich musste er mit der Todesstrafe rechnen, aber weil er einen sehr geschickten Anwalt hatte, einen amerikanischen, der früher selbst beim Vorläufer der CIA gearbeitet hatte, hatte sein Anwalt, James Donovan, damals vor Gericht plädiert, dass man Rudolf Abel nicht zum Tode verurteilen sollte, sondern man sollte ihn in Haft nehmen, denn es möge ja vielleicht irgendwann der Zeitpunkt kommen, wo man ihn als Austauschobjekt benutzen könnte, falls mal ein amerikanischer Agent in Gefangenschaft geraten würde."

    Der Zeitpunkt kam drei Jahre später, so der Publizist Thomas Blees, der ein Buch über die Glienicker Brücke geschrieben hat. Am 1. Mai 1960 sollte der US-Pilot Francis Gary Powers Luftaufnahmen von sowjetischen Raketenbasen machen. Sein Spionageflugzeug wurde abgeschossen, er selbst konnte sich mit dem Fallschirm retten.

    "Auf amerikanischer Seite ging man damals davon aus, dass natürlich der Pilot beim Absturz ums Leben gekommen war, und deswegen nannten dann die Amerikaner die vorher vereinbarte Coverstory. Sie sagten, es sei ein Wetterflugzeug gewesen, das man über die Sowjetunion hätte schicken wollen, und das sei dann plötzlich vom Kurs abgekommen und abgestürzt, aber es könne keine Rede sein von einem amerikanischen Spionageflugzeug."

    Als der sowjetische Staatschef Chruschtschow wenige Tage später triumphierend bekannt gab, dass man den Piloten lebend gefangen genommen hatte, war das eine Blamage für US-Präsident Eisenhower – und die Voraussetzung für jenen Agentenaustausch, der gut anderthalb Jahre später, unter Eisenhowers Nachfolger Kennedy, stattfinden sollte. Da es keine natürliche Grenze zwischen den Supermächten gab, einigten sich beide Seiten auf einen Ort, an dem sie sich mittelbar gegenüberstanden: die Glienicker Brücke bei Potsdam. Auf ihrer Mitte verlief die Grenze zwischen der DDR und Westberlin.

    "Man hatte wohl erst überlegt, ob man den Checkpoint Charlie in der Stadtmitte nehmen sollte, aber dann war allen Beteiligten relativ schnell klar, dass dort zu viel Trubel herrschte, das war ja mitten in der Stadt, und deswegen wählte man letztendlich den sehr abgelegenen Posten an der Glienicker Brücke, das war ein Grenzübergang, der nur für Diplomaten und Alliierte in Frage kam."

    Am 10. Februar 1962 wurde der Austausch in großer Heimlichkeit durchgeführt. Die Regisseure Daniel und Jürgen Ast haben für ihren Film "Die Glienicker Brücke – Letzte Hoffnung der Spione" einen der wenigen Beteiligten interviewt, die damals vor Ort waren: den KGB-Agenten Boris Nalivaiko.

    "Von beiden Seiten der Brücke kamen Dreiergruppen. Von unserer Seite der stellvertretende Leiter des Gefängnisses, in dem Powers eingesessen hatte, dann er selbst und neben Powers auf der rechten Seite derjenige, der Abel persönlich kannte, und ihn deshalb für uns identifizieren konnte."

    Um Viertel vor neun morgens marschierten die beiden Agenten auf die weiße Grenzlinie zu.

    "Als Abel und Powers sich an der Linie trafen, drehten sie ihre Köpfe zueinander und schauten sich einen Augenblick lang an: Wer ist der andere, gegen den du da ausgetauscht wirst? Dann gingen sie einfach weiter und fielen ihren Leuten in die Arme. Damit war die Operation Austausch beendet."

    Es sollte für lange Zeit der einzige Austausch bleiben. Erst im Juni 1985 und ein weiteres Mal im Februar '86 machte die Glienicker Brücke erneut Schlagzeilen: Insgesamt wechselten bei den beiden späteren Austauschaktionen knapp 40 Spione und politische Häftlinge die Seiten. Im Unterschied zum ersten Austausch wurden der zweite und der dritte von zahlreichen Fernsehkameras begleitet und so das Bild der Agentenbrücke in alle Welt transportiert. Seit dem Fall der Mauer ist die Glienicker Brücke wieder für jedermann geöffnet. Heute erinnert nur noch eine verblasste weiße Markierung in der Mitte der Brücke an den Ort, an dem Ost und West ihre Agenten austauschten.