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Sicherheit in Ägypten
Strategie gegen den Terror geht nicht auf

Politisch motivierte Gewalt in Ägypten nimmt zu. Dass die Regierung um Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi darauf wie etwa im Nordsinai bloß mit militärischer Härte reagiere, helfe dagegen nicht, sagte der Kairo-Korrespondent Carsten Kühntopp im Dlf.

Carsten Kühntopp im Gespräch mit Andreas Noll | 30.12.2017
    Ägyptische Polizisten stehen neben einem Polizeifahrzeug, das am 8. Mai 2016 durch vier unidentifizierte Schützen außerhalb von Kairo im Helwan-Distrikt attackiert wurde. Dabei kamen acht Polizisten ums Leben.
    Die ägyptische Polizei reagiert mit harten Kampagnen auf politisch motivierte Gewalt. Und wird dabei selbst zum Opfer. Am 8. Mai 2016 etwa kamen acht Polizisten bei einem Hinterhalt auf diesen Polizeiwagen ums Leben. (picture alliance / dpa / EPA / Tahseen Bakr)
    Einen Teil seiner Wurzeln habe der aktuelle Terror im Norden der Sinai-Halbinsel, erklärte Kühntopp: "Da beschweren sich Menschen schon seit Jahrzehnten darüber, dass die Regierung sie vernachlässige. Und mittlerweise, Stichwort IS, ist es Dschihadisten gelungen, da anzuflanschen." Militär und Polizei führten dort unter großen eigenen Opfern eine harte Kampagne.
    Die Regierung antworte auf jeden Anschlag "mit immer mehr von derselben Medizin". Zugleich stelle sie "ein ganz repressives politisches Klima" her, indem sie jede Möglichkeit der Kritik unterdrücke. "Das führt offenbar dazu, dass Menschen marginalisiert werden, dass sie sich radikalisieren", berichtete Kühntopp. "Also, wir erleben eine Maschine, die den Terror bekämpfen will, die aber letztlich immer mehr politisch motiverte Gewalt zu produzieren scheint."
    Statt Opposition wie die Muslimbruderschaft zu verbieten und damit in den Untergrund zu treiben, müsste der Staat nach Kühntopps Einschätzung darüber nachdenken, "ob es nicht an der Zeit wäre, auf Anhänger der Muslimbrüder zuzugehen, ob es nicht Zeit wäre, in so etwas wie einen nationalen Dialog mit diesen Leuten einzutreten".
    Manche Delikt-Arten seltener als im Westen
    Straßenkriminalität ist trotz der in Großstädten üblichen Taschendiebstähle nach der Einschätzung des Korrespondenten in Ägypten weniger ein Problem als im Westen: "Wohnungseinbrüche sind hier offenbar sehr selten. Ich muss nicht auf der Straße, auch in der Nacht nicht, damit rechnen überfallen zu werden."
    Er erkläre sich das mit einer Kultur, in der ein Straftäter durch eine Tat die Ehre seiner gesamten Familie aufs Spiel setze, und mit einer starken sozialen Kontrolle: "Es ist doch auffällig, dass in einem Land, wo jeder im Wohnviertel hier genau weiß, wer die anderen sind, wer wo wohnt, wer im Apartmentgebeäude hier ein- und ausgeht, dass da bestimmte kriminelle Delikte offenbar keine große Rolle spielen."
    Sexuelle Belästigung ist ein großes Problem
    Anders sieht es bei Delikten wie sexueller Belästigung aus. Laut Zahlen der Vereinten Nationen aus diesem Jahr wurde fast jede Ägypterin (99,3 Prozent der Befragten) in ihrem Leben schon einmal verbal sexuell belästigt oder gegen ihren Willen angefasst.