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Sicherheit und Zusammenarbeit in und für Europa

Allzu große Hoffnungen an den OSZE-Gipfel in der kasachischen Hauptstadt Astana zu knüpfen, wäre vermessen. Elf Jahre lang haben sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten überhaupt nicht getroffen. Innerhalb von gerade mal zwei Tagen dürften die Meinungsverschiedenheiten in wirklichen Grundsatzfragen kaum aus der Welt zu schaffen sein.

Von Jörg Paas | 01.12.2010
    Das Fahnenmeer am Eingang in der Wiener Hofburg ist unübersehbar: Dicht nebeneinander hängen die Flaggen aller 56 Teilnehmerstaaten der OSZE. Jedes Land ist mit einem eigenen Botschafter hier vertreten. Einmal pro Woche treffen sie sich, um Konflikte und Krisen zu diskutieren.

    Der Grundgedanke reicht weit zurück:1975 in Helsinki – am Ende der KSZE, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa – vereinbarten die damaligen Teilnehmer Regeln für ein friedliches Zusammenleben. Es war eine völlig andere Zeit: In Ost und West standen sich hochgerüstete Militärblöcke unversöhnlich gegenüber. Dass die sozialistischen Staaten – etwa die DDR – zum ersten Mal Zugeständnisse bei den Menschenrechten machten, galt als kleine Sensation. Aber noch ahnte niemand, welch politische Sprengkraft die Schlussakte von Helsinki entwickeln sollte. Herbert Salber, heute Direktor des Krisenpräventionszentrums der OSZE, beschreibt die Entwicklung seit damals:

    "In den 70er-, 80er-Jahren ging es darum, den Kalten Krieg zu bewältigen. In den 90er-Jahren ging es darum, insbesondere im Balkan und im Kaukasus ganz akute Konflikte zu bewältigen und die Folgen abzumildern. Und jetzt geht es halt darum, eine neue Architektur für europäische Sicherheit in diesem Raum von Vancouver bis Wladiwostok zu finden, die wiederum 20, 30 Jahre vielleicht Bestand haben kann."
    Im öffentlichen Bewusstsein führt die OSZE ein Schattendasein. Das war nicht immer so. In vielen mittel- und osteuropäischen Ländern haben OSZE-Beobachtermissionen auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft eine wichtige Rolle gespielt – und für die Umsetzung von Grundrechten wie Gedanken- und Glaubensfreiheit, freie Meinungsäußerung oder Rechtsstaatlichkeit gesorgt. Doch inzwischen ist die Zusammenarbeit schwieriger geworden.

    Von den 56 Mitgliedsstaaten mögen sich einige nicht mehr hineinreden lassen in ihre inneren Angelegenheiten. Und es fehlt der politische Wille zur Festlegung gemeinsamer Werte und verbindlicher rechtlicher Normen. Bei Beschlüssen ist Einstimmigkeit erforderlich, und die hat gelegentlich einen hohen Preis:

    "Die OSZE hat immer dann Grenzen, wo bestimmte Teilnehmerstaaten sagen: Das machen wir nicht mit. Wir müssen also immer suchen nach Konsensus, zumindest nach einer Lösung, die nicht von einem Staat in Frage gestellt wird.""

    Die Frage, welche Aufgaben die OSZE künftig wahrnehmen soll, hat in den letzten Jahren immer wieder zu lähmenden Streitigkeiten geführt. Vor allem die russische Führung sah in der OSZE zeitweise nur noch ein getarntes Instrument zur Einmischung des Westens. "Weniger Menschenrechte, mehr Anti-Terror-Kampf und Wirtschaftsunion!" - das waren die Forderungen aus Moskau. Erst in jüngster Zeit gibt es Anzeichen für einen erneuten Sinneswandel:

    "Es gab vor einem Jahr einen Vorschlag des Präsidenten Medwedjew für einen Sicherheitsvertrag für Europa. Der sollte im Grunde festschreiben, was immer man sich unter wesentlichen Aspekten dieser Sicherheitsarchitektur vorstellen könnte. Bisher ist diese Diskussion nur sehr langsam in Fahrt gekommen. Aber sie zeigt: Russland will irgendwo etwas anderes. Es will vor allem mitreden können."

    Die Schlussakte von Helsinki 1975 hatte wahrhaft historische Bedeutung. Vom OSZE-Gipfel in der kasachischen Hauptstadt Astana Ähnliches zu erhoffen, wäre jedoch vermessen. Elf Jahre lang haben sich die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten überhaupt nicht getroffen. Innerhalb von gerade mal zwei Tagen dürften die Meinungsverschiedenheiten in wirklichen Grundsatzfragen kaum aus der Welt zu schaffen sein.