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Sicherheit von Atomkraftwerken
"Renegade"-Voralarm - die Terrorgefahr ist real

Die Gefahr eines terroristischen Angriffs auf ein Atomkraftwerk wird schon lange diskutiert. Wie ernst die Behörden dies nehmen, zeigte sich in der vergangenen Woche, als ein Voralarm ausgelöst wurde, von dem 17 Atomanlagen betroffen waren. Nebenbei wurde dabei bekannt, dass dies häufiger vorkommt - die Öffentlichkeit aber bislang nicht informiert wurde.

Von Jürgen Döschner | 16.03.2017
    Wasserdampf steigt am 9.9.2016 in Emmerthal (Niedersachsen) aus den Kühltürmen des Kernkraftwerk Grohnde.
    Kraftwerk Grohnde in Emmerthal (Niedersachsen). (dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow)
    Freitag 10. März, 10:27 Uhr – Alarm auf dem Gelände des Atomkraftwerks Brokdorf. Lautsprecherdurchsagen, Unruhe auf dem Gelände. Hanna Poddig demonstriert zur gleichen Zeit mit einer Gruppe von Atomkraftgegnern vor der Zufahrt des Kraftwerks.
    "Das Erste, was wir gehört haben, war, dass irgendwo in der Nähe von Jena irgendwas mit einem Flugzeug gewesen sei. Das ist uns aber nicht direkt gesagt worden, sondern das kam aus dem Polizeifunk. Und dann haben wir mitgekriegt, dass tatsächlich Kraftwerksangestellte aus dem Kraftwerk rausgekommen sind und weggefahren sind oder weggefahren wurden."
    Das Atomkraftwerk wird evakuiert, die Mitarbeiter in Sicherheit gebracht. Ein Anruf der Demonstranten bei der Atomaufsicht ergibt: Es handelt sich um einen sogenannten "Renegade"-Voralarm. Ein möglicher terroristischer Angriff mit einem Zivilflugzeug. Eine Maschine der "Air India" hatte kurz zuvor über europäischem Luftraum den Funkkontakt abgebrochen. Kampfjets der Luftwaffe stiegen auf. Als mögliche Ziele gelten in einem solchen Fall vorrangig Atomkraftwerke.
    Insgesamt 17 AKW vom Alarm betroffen
    "Wenn ein großes Verkehrsflugzeug tatsächlich ein Kernkraftwerk treffen würde, dann müsste man mit der Zerstörung verschiedener und vitaler Sicherheitseinrichtungen rechnen", sagt Dieter Majer, ehemaliger Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im Bundesumweltministerium. Die Folgen wären unabsehbar, bis hin zum Super-GAU. Entsprechend ernst nehmen die Behörden Situationen wie die am letzten Freitag.
    Nach WDR-Recherchen galt der Alarm für sieben noch in Betrieb befindliche und zehn stillgelegt Kernkraftwerke. Die meisten wurden evakuiert, bestätigten die Betreiberfirmen. Insgesamt also 17 AKW, in Medienberichten war bislang nur von fünf die Rede gewesen. Aber Evakuierung allein reicht nicht, sagt Dieter Majer.
    "Ganz generell kann man dazu sagen, dass man versuchen würde, die Anlage in einen solchen Zustand zu versetzen, dass die Auswirkungen eines solchen Absturzes möglichst minimiert werden. Zu denken wäre dabei an das Abschalten, Abfahren der Anlage und die Reduzierung von Druck und Temperatur."
    Mehr Informationen für die Öffentlichkeit
    Aber selbst dann wäre bei einem gezielten Angriff mit einem großen Passagierflugzeug mit der Freisetzung großer Mengen Radioaktivität zu rechnen – selbst bei solchen Anlagen, die längst stillgelegt sind. Was als Schutzmaßnahme bleibt, sind zum Beispiel Vernebelungsanlagen, die es Terroristen erschweren sollen, die Atomreaktoren genau zu treffen.
    Doch Vernebelung gibt es auch im Umgang mit der Öffentlichkeit. "Renegade"-Alarm-Situationen soll es mehrmals im Jahr in Deutschland geben. Doch die Öffentlichkeit hat davon am Freitag zum ersten Mal und nur durch Zufall erfahren. Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel verlangt fordert ein Umdenken.
    "Heute ergeben sich neue Anforderungen, insbesondere in Bezug auf die Kommunikation. Deshalb muss der Bund auch jederzeit sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger rechtzeitig über Maßnahmen informiert werden."
    Nach etwa einer Stunde wurde am Freitag Entwarnung gegeben. Aber der Vorfall hat noch einmal ins Bewusstsein gerufen, wie real die Terrorgefahr ist – und welches Risiko in diesem Zusammenhang die Atomkraftwerke in Deutschland und anderswo darstellen.