Donnerstag, 25. April 2024

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Sicherheitsdebatte nach dem Anschlag
"Die Politik handelt!"

Die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat in der Sicherheitsdebatte nach dem Anschlag in Berlin mehr Zurückhaltung verlangt. Das Ereignis werde für die Flüchtlings- und Integrationspolitik instrumentalisiert, sagte sie im DLF. Natürlich müsse man bei der Anzahl der Polizeikräfte oder der Informationsgewinnung nachbessern. Doch von Kriegszustand zu reden, sei in dieser Stunde nicht geboten.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Jasper Barenberg | 21.12.2016
    Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht am 24.04.2016 in Berlin beim Bundesparteitag der FDP.
    Die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte die Reaktionen aus der CSU auf das Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt als "unverantwortlich und auch unverschämt". (imago stock&people)
    Jasper Barenberg: Am Telefon ist die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die ehemalige Bundesjustizministerin. Schönen guten Tag!
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Ich grüße Sie.
    Barenberg: Aus Sachsen-Anhalt meldet sich heute Ministerpräsident Reiner Haseloff zu Wort und er sagt: "Ich hoffe, wir behalten in Deutschland die Nerven." Ist das auch Ihre Grundstimmung?
    Forderungen der CSU seien "unverantwortlich und auch unverschämt"
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich hoffe auch, dass wir nicht nur die Nerven behalten, dass wir natürlich entschlossen, aber auch besonnen und angemessen mit diesem fürchterlichen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt und in den Bewertungen dessen, was das möglicherweise nach sich ziehen kann, umgehen. Aber leider gibt es gerade auch hier im Süden, in Bayern, in der CSU ja nun einen ganz anderen Zugang, leider auch in manch anderen Parteien, und ich halte es für wirklich unverantwortlich und auch unverschämt, mit was für Bemerkungen und Forderungen hier gerade die CSU sich in die Debatte einbringt. Die AfD ist da für mich sowieso nicht satisfaktionsfähig.
    Barenberg: Woran stoßen Sie sich da insbesondere?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Weil sofort versucht wird, dieses fürchterliche Ereignis mit so vielen Toten, mit Menschen, die jetzt noch auch um ihr Leben zittern, mit den Angehörigen, die in höchster Sorge sind, weil jetzt schon wieder dieses Ereignis instrumentalisiert wird für die Flüchtlings- und Integrationspolitik, für diese massive Kritik, die die CSU ja nun schon seit über einem Jahr formuliert und meint, damit der AfD Paroli bieten zu können, was natürlich überhaupt nicht gelingt, weil man wählt dann eher das Original und nicht die, die da in diesem Chor mitmischen. Und gerade jetzt - und da muss ich ausdrücklich Herrn de Maizière wirklich unterstützen und ihn loben -, gerade jetzt, wo die Ermittlungen auf Hochtouren laufen, man jetzt einige Erkenntnisse hat über einen möglichen Täter oder auch Komplizen, und alles getan wird, da gehe ich einmal von aus, um möglichst dieser habhaft zu werden, wird jetzt schon über Konsequenzen geredet, obwohl überhaupt noch nicht die Analyse des Tathergangs und der Ursachen, woher kam er, ist er Flüchtling, ist er Asylbewerber, welchen Status hat er hier, ist er vielleicht schon jemand, der lange hier lebt, ohne das zu wissen. Ich halte das für unverantwortlich, weil nur mehr Angst damit verursacht wird.
    "Die Opfer wollen, dass die Politik glaubwürdig ist"
    Barenberg: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, nun beziehen sich ja auch die in der CSU, die neue Forderungen aufstellen, ausdrücklich auf die Opfer und die Angehörigen mit dem Argument, wir schuldeten ihnen jetzt konkrete Schritte, um ihre Sicherheit, um die Sicherheit aller Menschen in Deutschland zu verbessern.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir schulden den Opfern zunächst einmal klare Feststellung, was ist passiert, wer ist verantwortlich, die Täterseite möglichst schnell sichtbar zu machen, der Täter habhaft zu werden. Dann gibt es auch ganz andere Möglichkeiten zu analysieren, wie das alles vielleicht zustande kommen konnte. Und dann kann man sich in Ruhe unterhalten über mögliche Defizite, die es gegeben haben kann, in Sicherheitskonzepten in der Stadt, mögliche Defizite bei Informationsgewinnung, aber vielleicht auch, weil man zu spät und nicht ausreichend vielleicht Salafisten-Szene oder andere Szenen im Blick hat und kontrolliert. Das alles muss natürlich in den Blick genommen werden. Aber doch nicht ins Blaue hinein und deshalb halte ich das für überzogen und das wird den Opfern nicht gerecht. Die wissen doch, dass man im Moment noch nicht ganz konkret weiß, wie es abgelaufen ist, und dass man deshalb auch noch nicht konkret wirklich etwas sagen kann. Und ich glaube, die Opfer, die wollen, dass die Politik glaubwürdig ist, und nicht, dass sie Sprüche klopft.
    "Ein Sicherheitspaket nach dem anderen auf den Weg gebracht"
    Barenberg: Nun gibt es schon seit einiger Zeit eine konkrete, wenn auch unspezifische Terrorgefahr in Deutschland. Was spricht in dieser Situation dagegen, die Sicherheitspolitik und auch die Sicherheitsmaßnahmen in Deutschland laufend zu überprüfen und, wo es nötig ist, auch zu verbessern?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Es wird doch laufend gemacht. Ich bin jetzt nicht Verteidigerin der Bundesregierung, aber es ist ein Sicherheitspaket nach dem anderen auf den Weg gebracht worden. Vieles liegt auch jetzt aktuell noch in den Beratungen. Man hat die Abschiebung verschärft durch Gesetze und durch tatsächliches Handeln. Die Politik handelt!
    Und alle die, die den Eindruck erwecken, sie würde nicht handeln, die schaden der Politik insgesamt, sich selbst und allen anderen. Natürlich muss man immer auch sich fragen, wo kann man noch mal nachbessern, bei der Anzahl der Polizeikräfte, bei der Ausbildung, bei der Ausstattung, bei Informationsgewinnung. Selbstverständlich! Da ist jeder Politiker auch zu bereit. Aber jetzt von Kriegszustand zu reden, von Bundeswehreinsätzen im Innern, von generell einer permanenten Kontrolle in Deutschland aller Menschen, das geht doch wirklich an dem vorbei, was jetzt geboten ist in dieser Stunde.
    "Videokameras bringen etwas bei der Aufklärung"
    Barenberg: Wären für Sie Beton-Poller vor Weihnachtsmärkten vereinbar mit der offenen liberalen Gesellschaft?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Das hängt, denke ich, von der konkreten Situation ab, wo ein Weihnachtsmarkt ist. Da kann es wirklich auch geboten sein, so ihn zu schützen, dass man nicht mit einem Auto oder mit einem Traktor oder was auch immer ihn bewusst beschädigen kann. Das hängt aber von der Situation ab. Ob das dort am Breitscheidplatz eine Maßnahme sein kann, finde ich, muss man in Ruhe überlegen. Da kann man nicht sagen, auf allen 2500 Weihnachtsmärkten brauchen wir solche Beton-Poller. Aber es kann eine Situation, eine Lage sein, wo man auch so einen Schutz herstellen kann. Das würde ich nicht grundsätzlich ausschließen wollen.
    Barenberg: Spricht irgendetwas gegen mehr Videoüberwachung, wie es Teile der Polizei fordern? In Berlin wurde ja gerade ein Täter in der U-Bahn mithilfe von solchem Bildmaterial identifiziert und inzwischen festgenommen.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Auch genau das hängt von der konkreten Situation ab. Es gibt die rechtlichen Grundlagen dafür, das ist Ländersache, im öffentlichen Raum auf Länderebene dann entsprechend auch Videokameras anzubringen. Sie bringen etwas bei der Aufklärung. Sie bringen kaum etwas bei der Verhinderung von solchen Straftaten. Von daher haben wir ja schon ziemlich flächendeckend in Gefährdungsbereichen diese Kameras. Und jetzt generell zu sagen, wir brauchen überall an jeder Stelle eine Kamera, wird auch nicht der Situation gerecht. Das ist wirklich die konkrete Einzelfallentscheidung, die rechtlichen Grundlagen gibt es.
    Terrorgefahr: " Das kannten wir so vor 20 Jahren nicht"
    Barenberg: Sie haben vorhin erwähnt, die Reaktion des Staates sollte entschieden ausfallen und besonnen gleichzeitig. Würden Sie sagen, wäre das auch ein Erfahrungswert, wenn Sie sich selber beurteilen anhand der vergangenen Jahre, dass diese Balance inzwischen etwas anders ausfallen muss als noch vor Jahren, weil insgesamt in der Welt die Terrorgefahr so zugenommen hat und wir uns Gefahren ausgesetzt sehen, die es vor Jahren noch nicht gegeben hat?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein! Ich glaube, dass das genau richtig ist. Entschieden heißt ja, sehr wohl klar sehen, was für Gefahrensituationen - und die ändern sich immer im Laufe der Zeit - gegeben sind, gerade jetzt, wo wir es mit dem islamistischen Terror zu tun haben und auch mit Menschen in Deutschland, die konvertieren und dann mit einmal sich radikalisieren in unglaublich schneller Zeit. Das kannten wir so vor 20 Jahren nicht. Also sehr wohl entschieden, wachsam genau das in den Blick nehmen, und dann aber auch besonnen abwägen, was ist die richtige Antwort und nicht mit diesen Pauschalbewertungen zu kommen, die im Zweifel auch der Polizei und den Sicherheitsbehörden dann nichts an die Hand geben. Ich halte das nach wie vor für die richtige Herangehensweise.
    "2015 - da hat es auch Defizite gegeben bei der Erfassung"
    Barenberg: Und was beispielsweise die Feststellung der Identität von Zuwanderern, deren Registrierung angeht, müssen wir da selbstkritisch mit Blick auf die vergangenen Monate sagen, da ist etwas an Kontrollverlust geschehen, das wir jetzt wieder einfangen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Das wird ja schon eingefangen. Aber es gibt noch Menschen, die nicht erfasst und kontrolliert sind. Aber wir müssen uns einfach auch vor Augen führen die Situation im Jahr 2015, ja schon über ein Jahr her. Da war es wirklich eine Ausnahmesituation und da ist nicht so gehandelt worden, aber auch angesichts der vielen, vielen Flüchtlinge, wie es geboten gewesen wäre. Ja, da hat es auch Defizite gegeben bei der Erfassung. Aber wenn jetzt der Herr Herrmann, Innenminister in Bayern, kommt und sagt, wie kann das sein - der war auch damals Innenminister, der ist die ganze Zeit seit über einem Jahr Innenminister und muss alles tun, um zu sehen, dass möglichst viele erfasst werden. Das wird ja deutlich besser. Es passiert sehr viel. Aber wenn gerade die Verantwortlichen selbst sagen, wir sind nicht in der Lage zu handeln, ja was ist das denn für eine Aussage.
    Barenberg: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die frühere Bundesjustizministerin, hier im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.