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Sicherheitsexperte zu Berateraffäre
"Es herrscht ein gewisses Chaos"

Mehr als 200 Millionen Euro haben Verteidigungsministerium und Bundeswehr 2015 und 2016 laut Bundesrechnungshof für externe Berater ausgegeben - und dabei offenbar Vergaberichtlinien missachtet. Mangel an eigenen Fachleuten begünstige solches Fehlverhalten, so der Sicherheitsexperte und Journalist Thomas Wiegold im Dlf.

Thomas Wiegold im Gespräch mit Dirk Müller | 23.11.2018
    21.11.2018: Ursula von der Leyen (CDU), Bundesverteidigungsministerin, liest während der Generalaussprache im Bundestag in ihren Unterlagen.
    Überteuerte Gutachten, Auftragsvergaben ohne Wettbewerb: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat die politische Gesamtverantwortung für die sogannte Berateraffäre übernommen. (dpa / Soeren Stache )
    Dirk Müller: Die ganze Auseinandersetzung firmiert unter dem Stichwort "Berateraffäre". Es geht um den Einsatz externer Berater durch das Verteidigungsministerium und durch die Bundeswehr. Mehr als 200 Millionen Euro hatte das Ministerium dafür ausgegeben. Die Kritik des Bundesrechnungshofes daran: Verstoß gegen Vergaberichtlinien und fehlende Nachweise dafür, dass es notwendig war, für die anfallenden Aufgaben dann auch Experten von außen einzusetzen. "Vetternwirtschaft", "gravierende Unregelmäßigkeiten" – so der Vorwurf von zahlreichen Oppositionspolitikern. Nun dreht sich die Frage darum, welche Verantwortung hat Ursula von der Leyen dabei getragen. Die Ministerin hat bereits Fehler eingeräumt, doch der Opposition reicht das nicht. Sondersitzung gestern Abend des Verteidigungsausschusses im Bundestag.
    Was weiß, was wusste die Ministerin über die Verträge? Hat es möglicherweise Vetternwirtschaft gegeben im Verteidigungsressort? Das ist unser Thema mit dem Sicherheitsexperten, Journalisten und Buchautor Thomas Wiegold. Guten Tag.
    Thomas Wiegold: Ja, guten Tag aus Berlin!
    Ministerin übernimmt politische Gesamtverantwortung
    Müller: Herr Wiegold, ist von der Leyen überhaupt in der Lage, für Klarheit zu sorgen?
    Wiegold: Ja das wird sich erst noch zeigen müssen. Interessant ist ja – das war von Teilnehmern der Sitzung gestern Abend zu hören - dass sie die politische Gesamtverantwortung übernommen hat, dass sie sich offensichtlich da nicht wegducken will. Aber - und das ist eigentlich das Erschreckende - das Ministerium, die Spitze des Ministeriums hat von vielen Details keine Ahnung, weiß nicht, wo eigentlich die Verträge geschlossen wurden. Und wenn jetzt Staatssekretär Gerd Hoofe, der Vertraute der Ministerin, ein sogenanntes Verwaltungs-Ermittlungsverfahren starten muss, wo er viele Leute befragen muss, wem habt ihr denn Verträge gegeben, dann zeigt das schon, dass da ein gewisses Chaos herrscht.
    Müller: Man könnte jetzt auch dazu kommen, jedenfalls in der Conclusio, wenn ich Ihre erste Antwort jetzt interpretiere, Herr Wiegold, dass im Bundesverteidigungsministerium und angeschlossene Häuser, wenn ich das so formulieren darf, jeder machen kann was er will.
    Wiegold: Das könnte man fast vermuten. Ganz so schlimm ist es hoffentlich nicht. Ich glaube, da liegt ein ganz anderes Problem zugrunde. Die Bundeswehr, das Verteidigungsministerium, die Ämter und Behörden, die dazugehören, haben in den vergangenen Jahren zunehmend Probleme, das Geld, was in Verträge gesteckt wird, was in Beschaffung gesteckt wird, das richtig zielgerichtet auszugeben, da die nötige Expertise mitzubringen, die nötigen Verträge zu schließen, und da hat man wohl geglaubt, mit dem schnellen Hilfsmittel externe Berater, externe Unterstützung könnte man dieses Problem lösen, und hat dann manchmal wahrscheinlich gesagt, so, da geht es ganz schnell, das ist der Ausweg, das machen wir jetzt, und dann kommt so etwas zustande, was wir jetzt sehen.
    "Es fehlen an etlichen Stellen Experten"
    Müller: Aber warum ist das denn so? Es gibt doch Tausende von Fachkräften, von Offizieren, Unteroffizieren, eben von Fachkräften in der Bundeswehr, die sich beispielsweise mit Beschaffung auseinandersetzen, die sich mit Kasernenbau auseinandersetzen, die sich mit Wehrbeschaffung auseinandersetzen. Die müssten doch in der Lage sein, entscheiden zu können, mit entsprechender Ausschreibung und so weiter, was gut und was richtig ist.
    Wiegold: Das ist leider nicht mehr ganz so. Die Bundeswehr und auch die zivilen Stellen sind ja in den vergangenen Jahren deutlich reduziert worden. Es hat zum Beispiel bis noch vor wenigen Jahren das Angebot an Leute in den 50ern gegeben zu sagen, willst Du nicht eher nachhause gehen, wir wollen den Laden kleiner machen, und das haben natürlich viele genutzt, sind gegangen. Es fehlen an etlichen Stellen Experten. Dieses Beschaffungsamt in Koblenz mit dem schönen Namen Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, das hat an vielen Stellen eben nicht mehr die nötigen Leute, und da hat man dann versucht, Lücken zu stopfen, und hat das dann irgendwo kurzfristig eingekauft.
    Müller: Wir haben eben auch in dem Beitrag unseres Kollegen Heckmann aus Berlin gehört: 80 Prozent der Aufträge sollen frei vergeben worden sein. Das heißt, ohne dieses übliche Ausschreibungsverfahren. Das sind vier von fünf Aufträgen bei der Bundeswehr. Auch die Bundeswehr muss ja ähnlich wie die Polizei nach Gesetz, Ordnung und Recht handeln. Ist doch unvorstellbar! Wie kann das passieren?
    Wiegold: Ja das ist in der Tat eine merkwürdige Frage. Es gibt ja auch die absoluten Gegenbeispiele, wo Ausrüstung, die dringend nötig war, dann europaweit ausgeschrieben wurde, dann gab es Probleme im Vergabeverfahren, dann haben unterlegene Firmen geklagt, und dann führt das dazu, dass so etwas technisch Simples wie eine Nachtsichtbrille im Beschaffungsprozess vier oder fünf Jahre dauert. Es gibt das Extrembeispiel, man hält sich an die ganzen Vergaberichtlinien und es dauert, und dann gibt es offensichtlich das Gegenbeispiel, wir müssen schnell was erreichen und dann machen wir es auf dem Wege.
    Subunternehmer wie in der Baubranche
    Müller: Gibt es da Versagen in vielen Bereichen?
    Wiegold: Versagen – das ist eine Beurteilung, die ich mir im Moment nicht anmaße. Ich würde sagen, man hat an einigen Stellen gedacht, man kann es sich vielleicht einfacher machen, man kann ein nötiges Ziel schneller erreichen, und man hat dann eine Abkürzung genommen, die nicht sauber war, und das fällt denen jetzt auf die Füße.
    Müller: Weil Sie das gerade sagten mit dem Beispiel der Nachtsichtbrille. Da würden ja auch einige von uns vielleicht, wenn sie sich ein paar Wochen damit beschäftigen und Angebote vergleichen, zu einer möglichen Entscheidung kommen können.
    Wiegold: Im Prinzip ja. Das ist ein Beispiel, da hat es nicht an der Expertise gemangelt, sondern da war das Ausschreibungsverfahren das Problem. Das mögen sicherlich auch einige Leute gesehen haben und gesagt haben, wenn wir jetzt diese Beratung, diese Unterstützung richtig normal ausschreiben, dann kriegen wir die nächstes Jahr, wir brauchen sie aber jetzt, und dann hat man diesen Weg gewählt.
    Hinzu kommt ja – und das ist eigentlich das Mysteriöse – dieses etwas undurchschaubare System der Unterauftragnehmer. Man hat einen Auftragnehmer ausgesucht, formal vermutlich richtig nach allem, was wir wissen, aber der hat dann freihändig einfach andere Leute ins Boot geholt.
    Müller: Also ein Subunternehmer so wie in der Baubranche?
    Wiegold: Einen Subunternehmer, genau. Das kennt man ja zum Beispiel auch beim Bau. Am Ende weiß kein Mensch mehr, wer ist denn nun wirklich derjenige, der am Ende die Arbeit macht.
    "Das klingt schon nach zweierlei Maß"
    Müller: Ist auch schwierig, das alles zu sortieren, auch für uns hier in der Redaktion. Es gibt viele Details und es ist ja auch nicht alles klar nachgewiesen. Ein Beispiel will ich noch mal bringen mit dem Stichwort Beratungsfirma McKinsey – kennen wir alle. Die soll 2015 ohne Ausschreibung an einen lukrativen Auftrag gekommen sein, berichtet der "Spiegel". Es ging da um ein Kampfschiff, MKS180, wenn wir das richtig hier festgehalten haben.
    Wiegold: Das Mehrzweck-Kampfschiff 180, ja.
    Müller: Mehrzweck-Kampfschiff, ganz genau. McKinsey hat dort den Auftrag bekommen, eine Werft zu finden, die dieses Kriegsschiff adäquat wie auch immer bauen kann. Auch das ist ohne Ausschreibung passiert. Zur gleichen Zeit gibt es Vorwürfe, dass ranghohe Mitarbeiter, Mitarbeiterinnen, die Staatssekretärin Katrin Suder zum Beispiel, diesen Auftrag McKinsey zugeschanzt haben soll, weil sie früher selbst bei McKinsey war. Ist da was dran?
    Wiegold: Das ist einer der Vorwürfe, den die Opposition erhebt und der ganz schwer zu überprüfen ist. Nun ist richtig: Die Staatssekretärin, die ja auf eigenen Wunsch in diesem Jahr aufgehört hat, die war vorher bei McKinsey. Die hat natürlich die Kontakte. Da liegt dann der Vorwurf nahe zu sagen, sie hat ihre alten Bodys bedient. Belegbar ist das bislang nicht, da muss man auch ein bisschen aufpassen. Gerade dieses Beispiel des Kriegsschiffs zeigt aber so eine Lücke, die da klafft, weil das ist ein Verfahren, was inzwischen schon viel länger dauert als geplant, wo zwischendurch Werften, die ein Angebot gemacht haben, ausgeschlossen wurden, weil sie bestimmte Bedingungen nicht erfüllten. Das heißt, bei den Werften wird sehr genau hingeschaut, ob das Verfahren korrekt läuft, eigentlich schon fast überkorrekt, und bei den externen Helfern, die nach den Werften suchen sollen, geht man da ein bisschen anders vor. Das klingt dann schon nach zweierlei Maß. Ob man da jemandem vorwerfen kann, das ist ja eigentlich schon fast ein krimineller Vorwurf zu sagen, da hat man irgendwelche Bodys bevorzugt, da wäre ich vorsichtig, und ich weiß nicht, ob das nachweisbar sein wird.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Sicherheitsexperte und Buchautor Thomas Wiegold. Danke für das Gespräch, Herr Wiegold, und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Wiegold: Danke! – Ebenso!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.