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Sicherheitsrelevante Forschung
Reicht die Selbstkontrolle der Wissenschaft?

Rüstungsforschung, nukleare Technologie oder neue Stämme von Krankheitserregern: Neuste Forschungsergebnisse lassen sich sowohl für gute als auch schlechte Zwecke einsetzen. Um Missbrauch zu verhindern, richten Universitäten Ethik-Kommissionen zu sicherheitsrelevanter Forschung ein. Doch reicht das aus, um ethisch problematische Forschung zu verhindern?

Von Christiane Habermalz | 19.12.2016
    Reagenzgläser in einem Labor.
    Für die Wissenschaftsorganisationen ist die Forschungsfreiheit ein hohes Gut. (imago - Felix Jason)
    Bis 2017 sollten "idealerweise" alle Universitäten und Forschungsinstitute eine Ethikkommission zu sicherheitsrelevanter Forschung eingerichtet haben. In ihrem ersten Zwischenbericht haben das bislang erst 16 Einrichtungen getan. Etwa 100 Universitäten und Forschungsinstitute haben zumindest eine Kontaktperson benannt, die mit der Thematik befasst ist. Für Bärbel Friedrich, Vorsitzende des Gemeinsamen Ausschusses von Deutscher Forschungsgemeinschaft und Nationaler Wissenschaftsakademie Leopoldina ist das eine gute Bilanz.
    "Das bedeutet nicht das sie nun der Mustersatzung gemäß diese KEFs eingerichtet haben, aber sie haben auch andere Wege gefunden, nämlich bereits existierende Ethikkommissionen, die es ja gibt in diesen Einrichtungen, zu erweitern im Sinne dieser KEFs. Ungefähr 20 haben zwar Partner ernannt, aber noch nicht weiter reagiert, was sie unternommen haben. Da werden wir jetzt von der Geschäftsstelle in Berlin nachhaken."
    Forschungsfreiheit ist ein hohes Gut
    Für die Wissenschaftsorganisationen ist die Forschungsfreiheit ein hohes Gut. Eine zentrale Regulierung durch die Politik will man auf jeden Fall vermeiden. Die Ethikkommission des Deutsche Bundestages, die sich mit der Dual Use Problematik beschäftigte, hatte eine politische Aufsichtsbehörde oder eine zentrale, unabhängige Ethik-Kommission empfohlen. Die Große Koalition war dem nicht gefolgt, setzte stattdessen auf die Eigenverantwortung der Forschung. Doch reicht die aus, um ethisch problematische Forschung zu verhindern? Die Psychologische Hochschule Berlin, PHB, gehörte zu den ersten Universitäten, die eine Ethik-Kommission zu sicherheitsrelevanter Forschung eingerichtet haben. Denn auch in den Geisteswissenschaften können solche Fragestellungen auftreten, erklärt der Vorsitzende der Kommission, Siegfried Preiser.
    "Wenn wir eine Untersuchung über Rekrutierungsstrategien von Sekten von extremistischen Gruppen, von Terroristen machen, dann könnten diese Ergebnisse, wie die das machen und was davon effektiv ist und was weniger effektiv, könnten dann natürlich auch genau für diese Gruppen interessant sein."
    Die KEF kann von der allgemeinen Ethikkommission, von der Hochschulleitung, aber auch von jedem Wissenschaftler selbst angerufen werden, der Zweifel an einem Forschungsvorhaben hat – seinem eigenen oder dem von Kollegen. Doch welche Folgen hat das Votum der KEF, die letztlich nur Empfehlungen aussprechen darf?
    "Also mit Sicherheit, dass das Projekt nicht in dieser ursprünglichen Form durchgeführt wird. Sondern dass mit der KEF dann besprochen wird, was können wir denn tun, um diese problematischen Auswirkungen oder Nebenwirkungen zu verhindern."
    Bewusstseinsveränderung unter den Forschern
    Am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung arbeitet seit eineinhalb Jahren ein sogenanntes "Risk Assessment Comittee", das sich mit ethischen Fragen beschäftigt. Die Daten, die in der Polarforschung erhoben werden – etwa über das Verhalten von Meereis und die Meeresströmungen in einer tauenden Arktis – ist für die Öl- und Gasindustrie von großem Interesse, aber auch für das russische oder amerikanische Militär und ihre Pläne, die Arktis für befestigte Kriegshäfen zu nutzen. Was mit den veröffentlichten Forschungsergebnissen geschehe, darauf könne das AWI keinen Einfluss nehmen, räumt Klaus Grosfeld, Mitglied des Risk Assessment Comittee ein. Doch es gebe auch Auftraggeber aus der freien Wirtschaft, die Projekte ausschreiben. Ein Beispiel, mit dem sich die KEF beschäftigte: der Antrag zur Erforschung der ökologischen Auswirkungen einer Offshore-Windanalage.
    "Der Projektträger war aber im Hintergrund gefördert durch die Öl- und Gasindustrie. Und da ist dann die Frage: Ist die Publikation dieser Daten frei zugänglich oder besteht beispielsweise eine Beschränkung der Veröffentlichung der Daten? Ist das so eine Art Greenwashing, das heißt, ein bisschen ein Feigenblatt, ja, wir machen ja auch was wenn wir in dem Bereich arbeiten ..."
    Auch hier gilt: Das Gremium berät nur, die letzte Entscheidung liegt beim Direktorium. Dennoch habe die Einrichtung der Kommission alleine schon eine große Bewusstseinsveränderung unter den Forschern bewirkt, sagt Grosfeld. Darin liegt vielleicht bislang ihr größter Erfolg. Doch wie wirksam ist am Ende eine KEF, wenn es zu wirklichen Konflikten kommt? Wird sie im Zweifel im Umfeld von Profilierungsdruck und internationaler Forscherkonkurrenz verhindern, dass riskante Forschung stattfindet? Siegfried Preiser von der Psychologischen Hochschule Berlin hat Zweifel.
    "In dem Moment wo Forschungsmittel oder Karrierechancen gewonnen werden, wird es sehr schwierig sein, Forscher davon abzuhalten, etwas, was legal ist, aber ethisch problematisch, durchzuführen."
    Immerhin: Je geschlossener die Wissenschaftscommunity ein Projekt wegen möglicher Gefahren für Gesundheit und Sicherheit der Menschheit ächtet, desto größer sei die Hürde. Denn ein schlechter Ruf sei am Ende in der Wissenschaft auch karriereschädlich.
    "Ich denke, es ist immer gut, erst mal zu gucken, kommt man mit Selbstverpflichtung zurecht, aber man muss auch rechtzeitig die Bremse ziehen und sagen, da muss jetzt doch noch eine staatliche Kontrolle her, also eine staatliche Ethik-Kommission."