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"Sie haben Post"

Das Fiepen der fertigen Waschmaschine oder der Signalton für eine E-Mail: Akustische Hinweisgeräusche gehören längst zum Alltag, fallen aber kaum noch auf. Nicht so in Berlin: Dort referierten und diskutierten Wissenschaftler aus der ganzen Welt über "funktionale Klänge".

Von Christine Kewitz | 07.10.2013
    Um uns herum piepst, hupt und klingelt es. Und jedes dieser Geräusche teilt uns etwas mit. Funktionale Klänge bestimmen den Alltag so selbstverständlich wie nie zuvor.

    Töne, die nicht ästhetisch oder musikalisch genossen werden, sondern die schlicht und einfach eine Funktion zu erfüllen haben. Schön müssen sie nicht sein, es reicht, wenn die Botschaft verstanden wird. Erklärt Holger Schulze vom Sound Studies Lab an der Humboldt Universität zu Berlin und Mitinitiator der Konferenz.

    "Der Wasserkocher piept und will mir damit sagen 'Hör her, dein Wasser ist fertig, kannst deinen Tee machen'. Oder die U-Bahn-Tür sagt mir oder trötet mir: 'Bitte jetzt mal weg bleiben, die Tür wird jetzt gleich zugehen'. Oder eben das SMS-Piepsen sagt halt: 'Du hast eine Nachricht bekommen'."

    In den letzten Jahren ging es in der Forschung zu funktionalen Klängen vor allem um Technik und Ästhetik. Doch dieser Schwerpunkt verschiebt sich gerade zunehmend in eine politische Richtung und wirft ganz neue Fragen auf, die auf der "Functional Sounds Konferenz" diskutiert wurden. Fragen wie:

    "Was ist das denn jetzt gesellschaftlich, brauchen wir denn das überhaupt?
    Was macht das politisch? Wollen wir das denn überhaupt und ist das denn überhaupt für unser Leben angenehm? Jetzt kann man sagen, ja, das sind so hilfreiche Töne, die helfen uns, durch den Alltag zu kommen. Man kann aber auch sagen, dass durch diese Klänge mein Alltag mich zu einem quasi militärischen Erfüllungsgehilfen dieser Klänge macht. Das heißt, ich gehorche diesen KIängen vor allem."

    Und da angenehme akustische Signale bisher noch keine Wertsteigerung der Geräte bedeuten, sind das zumeist Klänge, die in der Entwicklung nicht viel kosten. Ein schriller Sinuston vermittelt schließlich eine klare Botschaft.

    "Mal ganz trivial gesprochen: Beim Eierkocher kann ich es verstehen. Da macht es Sinn, dass mein Ei eben nicht diese 30 Sekunden länger kochen soll, als ich will. Aber beim Wasserkocher könnte man sich überlegen, reicht nicht ein optisches Signal oder langt vielleicht ein tiefer, sonorer Brummton, der mir eben sagt: 'Hey Junge, dein Teewasser ist fertig, hol's ab, wenn du willst oder lass mich noch mal kochen. Die Gestaltung dieser Klänge ist eine Aufgabe, die, wenn sie ernst genommen wird, tatsächlich unseren Umgang und die Qualität des Umgangs ganz radikal verändern. Und es beginnt eben erst, weil wir eben diesen Stress langsam erst erleben."

    Heute gibt es kaum noch eine urbane Lebenssituation, in der nichts klingelt, piepst oder trötet. Im Zuge dieser Überpräsenz von Alarmsignalen - so eines der Ergebnisse der Konferenz - ist langsam aber sicher eine Gestaltung gefragt, die diese Klänge bändigt.

    Zum Beispiel, wenn es um die Funktionalität von Musik-Wiedergabegeräten geht. Jens Gerrit Papenburg, Mitgründer des Netzwerks Sound in Media Culture, forscht zu Hörtechnologien in der Populärmusik.

    "Wenn ich ein Musikstück höre, in dem ich nur einen ganz schmalen Dynamikbereich habe, also beispielsweise, wenn ich auf der Autobahn unterwegs bin, dann wird in diesem Gerät, über das ich diese Musik höre, die Funktionalität hergestellt, dass diese Musik in dieser Situation funktioniert. Und wenn ich die gleiche Musikproduktion zu Hause höre und mein zu Hause verfügt über ein einigermaßen ruhiges Wohnzimmer und ich da einen größeren Dynamikbereich habe, dann sorgt das Gerät, über das ich höre, die Hörtechnologie dafür, dass dieser größere Dynamikbereich ausgenutzt wird."

    Und wenn die laute Welt wieder mal zu viel wird, bleibt eben oft nur eins: den Alltagslärm funktional auszuschalten. Mit Geräusch unterdrückenden Kopfhörern zum Beispiel, wie sie Morten Michelsen Musikwissenschaftler von der Universität Kopenhagen empfiehlt.

    "Menschen, die es sich leisten können, können diese aufsetzen und sich besser fühlen, wenn sie sich in der Stadt fortbewegen oder dort leben. Es ist ein Behelfsmittel, um eine unangenehme Situation zu verbessern und für viele Menschen ist es zumindest besser als nichts."