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"Sie müssen abtreten"

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (NADA) ist in einem beklagenswerten Zustand. Und das rechtzeitig zu ihrem zehnten Geburtstag, der am 21. November in Bonn gefeiert werden soll. Den Beweis für ihre beispiellos schwache Verfassung und offenkundige Nähe zu den Lobbyisten des organisierten Sports hat sie erneut am Freitag abend angetreten.

Ein Kommentar von Hajo Seppelt | 04.11.2012
    In einer Pressemitteilung verkündete die NADA, dass die UV-Blutbestrahlung vor 2011 keinen Regelverstoß darstelle, also nicht verboten gewesen sei. Dies ist wohlgemerkt keine Entscheidung der NADA, sondern des Deutschen Sportschiedsgerichts (DIS). Die NADA war im Verfahren Partei, nicht Richter – und man darf hoffentlich annehmen, dass sie in diesem Verfahren gegen einen ungenannten deutschen Radsportler auch die Position vertrat, die sie qua Funktion haben müsste: Hüterin des Regelwerks zu sein. Sie macht sich aber gleich im ersten Satz ihrer Pressemitteilung die Entscheidung des DIS zu eigen, als sei sie der gleichen Überzeugung.

    Kein Wort hingegen davon, die Entscheidung beim Internationalen Sportgerichtshof CAS anfechten zu wollen, kein Wort zu ihrer eigenen Auffassung, kein Wort darüber, dass die Welt-Anti-Doping-Agentur vor gar nicht allzu langer Zeit das Gegenteil des DIS-Schiedsspruchs verkündet hat. Damals aber vermisste man das klare Statement der NADA. Stattdessen ist jetzt geradezu unterschwelliges Frohlocken herauszuhören, dass man nun "eine klare Rechtslage" habe und so wisse, wie man in der Causa Erfurt weiter vorzugehen habe. Im Klartext: Alle weiteren Verfahren werden vermutlich gar nicht mehr weiterverfolgt. Klappe zu, Affe tot. Der Fall Erfurt landet in der Mottenkiste. So zumindest möchten es ganz offenkundig Gotzmann und Mortsiefer durchziehen.

    Glaubwürdige und vor allem energische Dopingbekämpfung sieht ganz anders aus – die Amerikaner haben mit dem Fall Lance Armstrong dazu gerade ein Musterbeispiel abgegeben. Was die NADA hingegen mit "klarer Rechtslage" meint, wäre interessant zu erfahren, zumal es am Samstag hieß, man habe den 50-seitigen Schiedsspruch des DIS noch gar nicht umfassend geprüft. Was die Deutschen im Fall Erfurt tun, wird auch international oft nur noch als hochnotpeinlich angesehen. Dabei hatte Justiziar Mortsiefer in einem internen NADA-Schreiben ja sogar mal in Sachen Erfurt das Schreckgespenst eines riesigen Dopingskandals an die Wand gemalt.

    Mit der jetzigen DIS-Entscheidung und dem generellen Vorgehen der NADA ist das verhindert. Dem DOSB und seinen Athleten drohen keine negativen Schlagzeilen mehr. Gut gemacht, NADA - der DOSB darf ihr danke sagen. Aber natürlich auch dem Sportschiedsgericht in Köln: Es ist in Sachen Dopingbekämpfung eine Fehlkonstruktion – weil es völlig intransparent ist. Weder die Urteile geschweige denn die Urteilsbegründungen werden von ihm publiziert, die Öffentlichkeit erfährt nicht einmal, wann ein Verfahren stattfindet, die Namen der Sportler bleiben anonym, nur ein Einzelrichter entscheidet in den meisten Fällen – und Anhörungen unter Strafandrohung bei Falschaussage wie etwa in den USA gibt es nicht. Fazit: Der stark subventionierte Spitzensport hält immer gern die Hand auf und sucht die Öffentlichkeit, wenn es um die Forderung nach Steuergeldern oder um mehr TV-Präsenz und damit höhere Fernsehgelder und Sponsoreinnahmen geht. Aber wenn das heiße Eisen Doping angepackt wird, dann will man lieber unter sich bleiben und im Geheimen werkeln. Dann wird immer sogleich das hehre Wort vom Datenschutz strapaziert. Wie es eben gerade passt.

    NADA-Chefin Gotzmann will zudem in absehbarer Zeit kein Anti-Doping-Gesetz, das den dopenden Sportler unter Strafe stellt, sie sagt, sie wolle Sportler nicht "kriminalisieren". Das ist die altbekannte Rhetorik etlicher Sportfunktionäre. Gotzmann findet außerdem das Stiftungsmodell der NADA, das wegen erheblicher Finanzierungslücken kläglich gescheitert ist, immer noch im Grundsatz richtig. Sie bedankte sich sogar öffentlich bei den Politikern , als diese sie finanziell im Regen stehen ließen – wie man fassungslos beobachten konnte beim NADA-Finanzierungsgipfel im Frühjahr 2012 im Berliner Innenministerium. Erst ein halbes Jahr danach gab es einen vereinzelten Protestaufruf der NADA-Spitze, seitdem ist es wieder ruhig. Jetzt schiesst doch der Bund wieder eine Million dazu. Als Ausputzer - weil sonst keiner zahlen wollte.

    Gotzmann und Mortsiefer möchten, so beschreiben es Insider des deutschen Sports, vor allem eines nicht: Ärger mit wichtigen Mitgliedern des organisierten Sports, vor allem denen im NADA-Aufsichtsrat. Man sagt der Geschäftsführerin und ihrem Vize geradezu Ehrfurcht vor DOSB-Generaldirektor Vesper nach. Das ganze Procedere im Fall Erfurt war voller Pleiten und Pannen, für die nicht allein, aber auch die NADA Verantwortung trug. Seit an Seit mit ihrem Chefjustiziar Lars Mortsiefer geriert sich die NADA-Chefin Gotzmann letztlich als ein braver Erfüllungsgehilfe der deutschen Sportlobbysten um Bach, Vesper und Co. Auch wenn die Rechtssysteme der USA und Deutschlands unterschiedlich sind und damit der Vergleich zwischen den Lance-Armstrong-Verfolgern der USADA und den Bonner Dopingbekämpfern in Teilen hinkt – in der Wahrnehmung ihrer Kernaufgabe, nämlich der Aufspürung und Verfolgung von Dopern, trennen USADA und NADA jetzt Lichtjahre.

    Eine schwache NADA, die man gut im Griff hat, und ein Sportschiedsgericht, das noch nicht einmal ein zahnloser Tiger ist - besser kann man es sich beim DOSB in Frankfurt nicht wünschen, der Dachverband mit seinem Noch-Chefstrategen Bach sagt weiter, wo es langgeht.
    Die Welt-Anti-Doping-Agentur wird nun womöglich Einspruch gegen den DIS-Schiedsspruch einlegen. Das dürfte noch interessant werden. Indes trägt das Problem im deutschen Anti-Doping-Kampf zwei Namen: Gotzmann und Mortsiefer. Sie müssen abtreten. Sie sind für diesen wichtigen Job zu brav und zu ängstlich.