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"Sie müssen völlig zerstrittene Leute an einen Tisch bringen"

"Wir haben jetzt schon zwei Jahre lang große Verantwortung, ja Schuld auf uns geladen", kritisiert Wolfgang Ischinger, Vorsitzender der Münchener Sicherheitskonferenz, den Umgang der EU mit dem Syrienkonflikt. Die Erfolgsaussichten einer Syrienkonferenz sieht er skeptisch.

Wolfgang Ischinger im Gespräch mit Friedbert Meurer | 21.05.2013
    Friedbert Meurer: Der Bürgerkrieg in Syrien wird für Außenstehende immer komplizierter. An der Seite der Truppen des Assad-Regimes kämpfen auch die schiitischen Hisbollah-Milizen aus dem Libanon. Gemeinsam haben beide Seiten den Rebellen, die von sunnitischen Kämpfern unterstützt werden, eine militärische Niederlage beigebracht während einer Offensive auf eine Hochburg der Rebellen. Hinter der Hisbollah steht der Iran. Ganz sicher wähnt sich auch dadurch Baschar al-Assad stark genug. In einem Interview mit argentinischen Journalisten über das Wochenende (Pfingsten) hat er die geplante internationale Syrienkonferenz Anfang Juni in Genf als sinnlos abgelehnt. In diesem Interview bestreitet Assad übrigens auch, dass seine Soldaten C-Waffen eingesetzt hätten. Das hätten die Rebellen getan.

    In Doha, der Hauptstadt Katars am Golf, erreichen wir Wolfgang Ischinger, den Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, die in Doha eine Tagung veranstaltet. Guten Morgen, Herr Ischinger!

    Wolfgang Ischinger: Guten Morgen!

    Meurer: Die Golf-Staaten unterstützen ja die Rebellen bekanntermaßen in Syrien, liefern Waffen. Wie laut müssen Sie sich in Doha den Vorwurf anhören, dass der Westen nichts tut?

    Ischinger: Schon ziemlich laut – schon ziemlich laut. Ich hatte gestern am ersten Tag meines Aufenthalts hier in Doha Gelegenheit zu Gesprächen sowohl mit dem Premierminister von Katar wie auch mit dem Emir selbst. Der Frust, um es salopp auszudrücken, über die Unfähigkeit der internationalen Gemeinschaft insgesamt, aber auch über die, sagen wir mal diplomatisch ausgedrückt, geringe Sichtbarkeit der Europäischen Union, dieser Frust ist riesig.

    Meurer: Was entgegnen Sie dem Emir?

    Ischinger: Das ist nicht so ganz einfach. Ich glaube, dass es richtig ist, was der EU-Sonderbeauftragte Lakhdar Brahimi vor Kurzem gesagt hat, als er trocken bemerkte, der Ruf, Assad muss weg, ist kein Ersatz für eine Strategie. Damit meinte er, dass wir eine Politik entwickeln müssen, die mit oder ohne militärische Elemente ein klares Ziel verfolgen muss. Und ich sehe jetzt zum ersten Mal mit diesem Vorschlag, mit diesem gemeinsamen russisch-amerikanischen Vorschlag einer neuen Konferenz, zumindest eine konkrete Vorstellung am Horizont, die allerdings, wie Sie vorhin eingangs ja schon gesagt haben, mit enormen Zweifeln behaftet ist. Denn sozusagen aus dem Stand eine solche Konferenz mit so vielen schwierigen Teilnehmern zustande zu bringen, das ist für mich als jemand, der relativ viel Erfahrung mit solchen Krisenkonferenzen sammeln konnte, schon ein gewagtes Unterfangen.

    Meurer: Bevor wir, Herr Ischinger, über diese Sicherheitskonferenz reden – Sie haben gerade gesagt, mit oder ohne militärische Elemente. Kann ich das so verstehen: Sie halten militärische Elemente, um Syrien, den Rebellen zu helfen, für möglich?

    Ischinger: Die militärischen Elemente finden ja statt! Das hat mit der Unfähigkeit oder dem Unwillen, der nicht vorhandenen Bereitschaft der Europäischen Union, ihr eigenes Waffenembargo aufzuheben, ja gar nichts zu tun. Es werden Waffen geliefert noch und nöcher aus den Golf-Staaten, aus dem Land, in dem ich gerade bin, aus Katar, aus Saudi-Arabien, aus anderen. Es gibt sicherlich auch zahlreiche geheimdienstliche Quellen, um den Rebellen zu helfen. Und es gibt, wie wir ja in den Schlagzeilen der Zeitungen und auch der Nachrichtensendungen in den letzten Tagen lesen konnten, multiple Lieferungen, entweder erfolgte oder angekündigte, mit denen andere wiederum, nicht nur Hisbollah, sondern Iran und insbesondere auch Russland, das Assad-Regime stützen. Also die militärischen Elemente sind ja da, die können wir nicht wegwischen.

    Meurer: Aber vom Westen kommt ja nichts. Diskutiert wird beispielsweise die Einrichtung einer Flugverbotszone. Ist das für Sie keine Option?

    Ischinger: Ich verstehe die Bedenken der Fachleute, der militärischen Fachleute, die aufbauend auf den Erfahrungen, die wir schon im Bosnien-Krieg gemacht haben, davor warnen. Eine Flugverbotszone wird von vielen nicht zu Unrecht gesehen als sozusagen ein "Slippery Slope": Wenn man A sagt, muss man dann auch B sagen. Was ist, wenn ein westliches Flugzeug, das dann versucht, diese Flugverbotszone durchzusetzen, im Flug abgeschossen wird? Wer kümmert sich dann um die gefangen genommenen Piloten? Schicken wir dann die Fallschirmjäger da rein, um die rauszuholen? Mit anderen Worten: Das ist der Beginn eines militärischen Einsatzes. Und davor schreckt man zurück, weil es dafür natürlich auch kein Mandat, zumindest bis heute nicht, ein Mandat des UN-Sicherheitsrates gibt, das nach allgemeiner Auffassung nötig wäre.

    Meurer: Und 80.000 Tote, 90.000 Tote sind kein Grund, ein militärisches Risiko einzugehen?

    Ischinger: Ich teile die Verzweiflung und die Frustration all derer, die sich richtig dramatisch erinnern an die Vorgänge in Bosnien. Das ist für mich das Modell. Auch in Bosnien haben wir zu lange zu wenig getan. Wir haben Hunderttausende von Todesopfern zu beklagen gehabt. Und es ist klar, dass mit jedem Monat, den dieses Schlachten und dieses Morden andauert, natürlich der Wiederaufbau hinterher, nicht nur der materielle Wiederaufbau, Straßen wiederherzustellen, Häuser zu bauen, das ist ja leicht. Aber der Wiederaufbau im Sinne der Koexistenz von unterschiedlichen religiösen, ethnischen und sonstigen Volksgruppen, die sich gerade alle niedergemetzelt haben, das wiederherzustellen, das ist, wie wir aus Jugoslawien wissen, dann eine Generationenaufgabe. Das wird immer schwieriger, je länger es dauert. Wir haben im Grunde jetzt schon zwei Jahre lang, wie ich finde, große Verantwortung, ja Schuld auf uns geladen.

    Meurer: Erleben Sie da geradezu ein Déjà-vu? In Bosnien ist auch endlos verhandelt und getagt worden und zum Schluss waren es dann doch die amerikanischen Kampfflugzeuge, die die Wende gebracht haben.

    Ischinger: Ja, ich sehe das Déjà-vu. Ich sehe es allerdings nicht in diesem Sinn, wie Sie es gerade zuletzt erwähnen. Ich kann nicht erkennen, dass sozusagen der Retter in der Not jetzt eine groß angelegte amerikanische, etwa gar militärische Aktion ist. Ich glaube, das ist das letzte, was Präsident Obama möchte. Der möchte eben gerade nicht nach diesen zwei unendlich langen, teueren und schmerzhaften Einsätzen in Afghanistan und im Irak, der möchte nun gerade nicht die amerikanische Nation in eine weitere solche Aktivität, solche Intervention verwickelt sehen. Und das kann ich politisch auch verstehen. Aber das Resultat ist, dass eben bis zur heutigen Stunde nichts oder viel zu wenig passiert. Und ich bin jetzt hier aufgrund meiner Gespräche in Doha natürlich auch besonders besorgt darüber, dass das Profil, die Sichtbarkeit der Europäischen Union, die eigentlich ein aktiver Player sein will und sein muss, viel zu gering ist. Wir haben noch nicht mal einen Sonderbeauftragten der Europäischen Union.

    Meurer: Ganz kurz: Was kann eine internationale Syrienkonferenz bringen?

    Ischinger: Na ja, das Problem der internationalen Syrienkonferenz ist: Sie müssen völlig zerstrittene Leute an einen Tisch bringen. Und sie müssen natürlich auch innerhalb der globalen Community zwischen Russland, den USA, Europa und so weiter, Iran, Türkei, einen gewissen Grundkonsens herstellen über das, was sie dort erreichen wollen. Will man Assad weg haben, will man Regime Change. Oder möchte man das Ende der Feindseligkeiten, das ist schon mal die erste Frage. Ich glaube, dass es unter den obwaltenden Bedingungen außerordentlich schwierig ist, eine Lage herbeizuführen, in der die verfeindeten Parteien, also Assad auf der einen Seite und die Oppositionskoalition auf der anderen Seite, überhaupt bereit sind, sich an einen Tisch zu setzen. Nun gibt es diplomatische Tricks, wie man solche Fragen umschiffen kann. Wir haben damals in der Bosnien-Kosovo-Krise sogenannte Proximity Talks geführt. Da saßen die Streithähne gar nicht in einem Raum, sondern man setzte die einen in den einen Saal und die anderen in einen anderen und machte dann sozusagen Shuttle Diplomaciy zwischen denen. Das ist vielleicht ein Ausweg. Ich weiß nicht, wer in Washington und in Moskau ist – dort wird ja über die konkreten Formen nachgedacht -, ob über solche Alternativen nachgedacht wird. In jedem Fall wird es sehr schwierig und die Erfolgsaussichten sind, fürchte ich, eher gering, zumindest was die kurzfristige Beendigung der Kampfhandlungen angeht.

    Meurer: Wolfgang Ischinger, der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, die heute eine Tagung in Doha in Katar beginnt. Herr Ischinger, besten Dank für das Interview und auf Wiederhören!

    Ischinger: Vielen Dank, Herr Meurer. Auf Wiederhören! Ich danke Ihnen sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.