Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Sie war eine unabhängige Kämpferin"

Der neue Roman der argentinischen Autorin Elsa Osorio spielt nicht in ihrer Heimat, aber die Protagonistin stammt daher und ist ein historische Figur: Mika Etchebéhère, emigrierte Kommunistin kämpft im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten des Widerstands und wird als einzige Frau Capitana einer Kolonne.

Von Wera Reusch | 02.08.2012
    Im Mittelpunkt von Elsa Osorios neuem Roman steht eine historische Frauenfigur: die argentinische Anarchistin Mika Etchebéhère, geboren 1902, als Kind jüdischer Einwanderer aus Russland. Während ihres Studiums in Buenos Aires arbeitete sie an einer linken Zeitschrift mit und lernte dabei ihren späteren Mann kennen, Hippolyte Etchebéhère, der aus einer baskischen Familie stammte. In den dreißiger Jahren verließen die beiden Argentinien und gingen nach Europa. Die Schriftstellerin Elsa Osorio hat sich jahrelang mit der Geschichte dieser Frau beschäftigt:

    Es ist die Geschichte einer Frau, die gekämpft hat. Sie war Capitana im Spanischen Bürgerkrieg. Sie und ihr Lebensgefährte waren revolutionäre Internationalisten, sie waren zum Beispiel in Deutschland, als Hitler an die Macht kam, dann in Frankreich, Spanien - sie waren in gewisser Weise auf der Suche. Ich habe 23 Jahre lang Material über sie gesammelt. Dabei kam viel zusammen - das hat die Sache natürlich nicht einfacher gemacht. Aber ich wollte keine Biografie schreiben, sondern einen Roman, der diese Figuren lebendig werden lässt.

    In "Die Capitana" zeichnet Osorio entscheidende Momente im Leben ihrer Protagonistin nach. Wir erleben Mika Etchebéhère 1936 in Spanien an der Front: Sie ist Teil einer Freiwilligenmiliz, die sich schlecht ausgerüstet, aber mit viel Enthusiasmus den faschistischen Truppen entgegenstellt. Mika Etchebéhère, die Zahnmedizin studiert hat, wird zunächst im Sanitätszelt eingeteilt. Aufgrund ihres Muts und ihres Verantwortungsbewusstseins erklärt die Kolonne sie später zur Capitana. Sie ist dafür bekannt, dass sie sich um ihre Leute kümmert. Die Freiwilligen in den Schützengräben brauchen Waffen und Munition, ihre Anführerin sorgt aber auch dafür, dass es vernünftiges Essen gibt, Decken, Hustensaft, ja sogar Bücher. Sie ist die einzige Frau, die im Spanischen Bürgerkrieg eine Kolonne führt. Elsa Osorio:

    "Es ist hochinteressant, wie sie es als Frau schafft, dass diese Männer, die große Revolutionäre waren, aber auch große Machos, ihr gehorchen, ohne aufzumucken. Sie wirkte sehr stark durch ihr Vorbild, sie zeigte, dass man Verantwortung teilen und hohen Einsatz zeigen kann. Und natürlich sagten sich ihre Kämpfer, wenn sie als Frau so viel riskiert, dann können wir das auch. Interessant ist auch ihre Haltung zur Rolle von Frauen. So wollten die Milizionäre zum Beispiel, dass die Frauen der Kolonne putzen oder Socken stopfen. Sie machte daraus eine Grundsatzdiskussion und sagte: Die Frau hat ein Gewehr, genau wie du. Warum soll sie die Socken stopfen?"

    Gleichberechtigung kennzeichnet auch die Beziehung zwischen Mika und Hippolyte Etchebéhère, die in Elsa Osorios Roman breiten Raum einnimmt. Eine Liebesbeziehung, die von starker Zuneigung und Fürsorge, aber auch von intellektuellem Austausch und gemeinsamen politischen Überzeugungen geprägt ist. Beide sind von Marxismus und Anarchismus beeinflusst und setzen sich deutlich von der offiziellen Linie der moskautreuen KP ab. Sie kommen nach Europa, weil die Arbeiterbewegung dort ihrer Meinung nach weiter fortgeschritten ist als in Argentinien. In Berlin erleben sie die Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Sozialisten, aber auch das Erstarken der Nazis aus nächster Nähe. 1933 verlassen sie Deutschland und schließen sich einer revolutionären Gruppe in Paris an. 1936 brechen sie nach Madrid auf, um als Freiwillige auf republikanischer Seite am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen.

    "Mich beeindruckt an dieser Geschichte, dass es eine bestimmte Zeit war und eine Gruppe von Personen, die sogar bereit waren, ihr Leben zu opfern. Aus heutiger Sicht, mit unseren individualistischen Vorstellungen, erscheint das idiotisch. Aber mir gefällt dieses ideologische und leidenschaftliche Abenteuer."

    Osorios Darstellung der Ereignisse während des Spanischen Bürgerkriegs orientiert sich stark an den Memoiren von Mika Etchebéhère. Sie sind 1980 auf Deutsch erschienen unter dem Titel "La guerra mía. Eine Frau kämpft für Spanien". Viele Szenen und Dialoge des Romans "Die Capitana" fußen ganz unmittelbar auf diesen uneitlen und sehr anschaulich verfassten Erinnerungen. Das Interessante an Osorios Roman ist, dass er auch Aspekte behandelt, die in den Memoiren nicht auftauchen. So schildert die argentinische Autorin zum Beispiel, dass die Capitana während des Bürgerkriegs verhaftet wurde - und zwar nicht durch die Truppen Francos, wie man vermuten könnte, sondern durch moskautreue Kommunisten im Zuge einer Säuberungsaktion. Elsa Osorio:

    "Es ist interessant, was später alles unter den Teppich gekehrt wurde. Sie war nicht sehr bekannt, und manches wurde vertuscht, weil sie sehr frei war. Sie war kein Mitglied der KP, gehörte weder dieser noch jener Organisation an. Sie war eine Kämpferin, aber ziemlich unabhängig, wenn es um Gruppenzugehörigkeit ging. "

    Osorios Roman ist auch aufschlussreich, weil er sich - anders als die Memoiren von Mika Etchebéhère - nicht auf den Spanischen Bürgerkrieg beschränkt, sondern auch ihre Kindheit und Jugend in Argentinien, vor allem aber die Zeit nach dem Spanischen Bürgerkrieg einbezieht. Er schildert ihr zurückgezogenes Leben in einem Ort südlich von Paris, ihre Freundschaft mit berühmten Zeitgenossen wie Julio Cortázar oder André Breton und ihr anhaltendes politisches Interesse bis zu ihrem Tod 1992. Osorios intensive Recherchen haben viele interessante Facetten des Lebens von Mika Etchebéhère zutage gefördert.

    "Die Capitana" bringt dem Leser eine mutige und ungewöhnliche Frau näher, die völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Dennoch kann das Buch nicht völlig überzeugen, und dies mag an seiner Zwitterrolle zwischen Roman und Biografie liegen. Einzelne Szenen sind sehr gelungen und eindringlich geschildert, doch ähnelt das Buch in gewisser Weise einem historischen Fotoalbum. Um als Roman zu funktionieren, fehlt es an Geschlossenheit. Osorio springt in den Zeiten hin und her und wechselt häufig die Erzählperspektive zwischen erster und dritter Person, was etwas unmotiviert wirkt. Auch tauchen sehr viele Namen von Mitstreitern auf, die eine nähere Charakterisierung verdient hätten, die aber nur in seltenen Fällen zu echten Nebenfiguren ausgebaut werden.

    Problematisch sind nicht zuletzt kursiv gesetzte Einschübe, in denen sich Elsa Osorio als Autorin zu Wort meldet. In diesen Passagen wendet sie sich gewissermaßen aus dem Off an ihre Protagonistin, stellt ihr Fragen, kommentiert ihr Handeln und berichtet von Rechercheergebnissen. Diese Einschübe machen das Dilemma dieses Buches deutlich: Für einen Roman ist es zu faktenorientiert, für eine Biografie ist es zu empathisch und zu lückenhaft. Es ist Elsa Osorios Verdienst, mit "Die Capitana" an Mika Etchebéhère erinnert zu haben. Jetzt sind Historiker gefragt - als Nächstes wäre eine Biografie wünschenswert.

    Elsa Osorio:
    Die Capitana. Aus dem Spanischen von Stefanie Gerhold. Insel Verlag, Berlin 2011, 330 Seiten, 19,90 Euro