Donnerstag, 18. April 2024

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"Sie wollten etwas gegen die Nazis tun"

Winston Churchill schleuste ab 1942 39 Agentinnen in das von Hitler besetzte Frankreich ein, wo sie, mit falschen Identitäten ausgestattet, den Kampf der Résistance gegen die nationalsozialistischen Okkupanten unterstützen sollten. 13 von ihnen überlebten diese Mission nicht. Von den Deutschen enttarnt, wurden sie in den KZs Bergen-Belsen, Dachau, Natzweiler und Ravensbrück ermordet. Eine Rezension von Brigitte Baetz.

Moderation: Marcus Heumann | 19.02.2007
    "Das Oberkommando der Wehrmacht gibt bekannt: Der völlige Zusammenbruch der ganzen französischen Front zwischen dem Ärmelkanal und der Maginot-Linie bei Malmedy ... "

    Sommer 1940: Zwischen Großbritannien und den deutschen Truppen, die Europa überrennen, liegt nur noch der Ärmelkanal. Kriegspremier Winston Churchill entscheidet, dass in dieser Lage zu unkonventionellen Methoden gegriffen werden muss. Gegen den Widerstand des konservativen britischen Offizierskorps entscheidet er sich für "ungentlemanly warfare", wie er es selbst nennt - für die subversive Kriegsführung jenseits dessen, was eines Gentleman würdig ist. Die SOE wird gegründet, die "Special Operations Executive". Mit Sabotageakten dort, wo die regulären Truppen bereits aufgegeben haben, sollen die deutschen Besatzer zermürbt werden, der Widerstand unter der Bevölkerung in den besetzten Gebieten Europas soll unterstützt und organisiert werden. Doch die Arbeit der Agenten gestaltet sich schwierig. Speziell in Frankreich arrangiert sich ein Großteil der Menschen mit den Deutschen. Das ändert sich erst, als im weiteren Verlauf des Krieges der Lebensstandard deutlich sinkt und die Männer für die deutsche Wirtschaft zwangsrekrutiert werden.

    Die Nacht vom 24. auf den 25. September 1942 war mondhell und fast wolkenlos. Es herrschte ruhiges Spätsommerwetter, eine leichte Brise aus Südwesten, kaum spürbar, kräuselte die Wasserfläche des Ärmelkanals. Vom Flugplatz Tempsford in Bedfordshire, nördlich von London, hob ein einzelner Bomber vom Typ Whitley Richtung Süden, Richtung Frankreich ab. In siebenhundert Meter Höhe überflog er die französische Kanalküste bei Pointe de la Percée, nordwestlich von Bayeux. Von dort nahm er Kurs nach Südosten und verringerte seine Flughöhe stetig. Als er die Loire in der Nähe von Orléans überquerte, zeigte sein Höhenmesser nur noch etwa einhundertfünfzig Meter an.

    Lise de Baissac und Andrée Borrel waren zwei der ersten Frauen, die über Frankreich mit dem Fallschirm absprangen. Während die Engländerin Lise de Baissac ihren Einsatz überlebte, wurde die Französin Andrée Borrel verhaftet und im KZ Natzweiler ermordet. Die deutsche Historikerin Monika Siedentopf erzählt ihre Geschichten - und die der anderen 39 Agentinnen der "Sektion F" der "Special Operations Executive".

    "Diese Frauen wurden eingesetzt, um dem französischen Widerstand zu helfen, um ihn zu organisieren, überhaupt erstmal auf die Beine zu helfen. Da machten auch ihre männlichen Kollegen und dann sollten sie Verbindung halten zwischen einzelnen Widerstandsgruppen als Kuriere, oft auf dem Fahrrad mussten sie über Land fahren, um Nachrichten, mündliche Nachrichten zu überbringen, damit nichts Schriftliches gefunden wurde von den Deutschen. Oder als Funkerinnen, um Verbindung zur Zentrale in London zu halten."

    Mit der Romantik von Agentenfilmen hatte der Einsatz in Frankreich wenig gemein. Einsamkeit und Langeweile waren - bei aller Gefahr - an der Tagesordnung. Ausgewählt worden waren die Frauen vor allem wegen ihrer Französischkenntnisse, was erklärt, dass sehr viele von ihnen aus dem Land stammten, in dem sie eingesetzt wurden. Äußerst attraktiv waren sie außerdem, wie die Fotografien im Band beweisen, sogar eine indische Prinzessin war unter ihnen. Kein Wunder, dass sie im Gedächtnis der britischen Öffentlichkeit eine besondere Stellung einnehmen.

    "In England ist über diese Frauen viel geschrieben worden, sehr viel fiktional. Solange die Akten nicht da waren, wusste man nichts genaues, und dann sind Romane gemacht worden, es sind Filme gemacht worden. Alles sehr romantisch, und als dann die Akten da waren, hab ich angefangen, da drin zu lesen, und dann hab ich gedacht, das lohnt sich wirklich."

    Und wirklich ist es Monika Siedentopf gelungen, aus den Personalakten der Agentinnen, die erst seit 2003 für die Öffentlichkeit einsehbar sind, ein für Deutsche neues und spannendes Kapitel des Zweiten Weltkrieges zu schreiben. Geradezu minutiös, dabei aber nie langweilig, schildert sie den Lebensweg der Frauen: ihre Herkunft, ihre Anwerbung, ihre Ausbildung, ihre Einsätze. Ob alle dieser Frauen wirklich für diese gefährliche Mission tauglich waren, psychisch wie intellektuell, wurde im ein oder anderen Fall durchaus auch von ihren Ausbildern in Frage gestellt. Und doch wurden sie losgeschickt, ein gutes Drittel von ihnen kam nicht mehr zurück.

    "Verheizt ist wahrscheinlich gar nicht der falsche Ausdruck, aber das ging den männlichen Kollegen genauso. Es gab außer diesen 39 Frauen, die in Frankreich eingesetzt waren, noch mal ungefähr 370 männliche Kollegen, von denen sind knapp 100 ums Leben gekommen, und sie wurden eingesetzt, und dann kann man natürlich sagen, verheizt, wie Soldaten. Ich hab' gelesen, dass am ersten Tag der Invasion 60 Prozent der angreifenden alliierten Soldaten ums Leben gekommen ist. Am ersten Tag, also am 6. Juni, und das wusste man auch bei den Militärs, die das Kommando hatten, dass die Verluste gewaltig sein würden. Trotzdem hat man das gemacht, weil man gar keine andere Möglichkeit sah."

    Es ging, wie es auch Winston Churchill seinen Mitbürgern klarmachte, um einen Kampf auf Leben und Tod. Was er nicht wusste: in derselben Nacht, in der der britische Premier die Weisung zur Bildung der Special Operations Executive gegeben hatte, hatte Hitler den Führerbefehl zum Beginn der "Operation Seelöwe" unterzeichnet, der Invasion Großbritanniens. Wie Monika Siedentopf in ihrem Buch deutlich macht, waren sich die Frauen durchaus bewusst, dass es sich bei ihren Einsätzen um lebensgefährliche Missionen handelte.

    "Es waren sehr junge dabei, knapp 20 war die Jüngste, die Älteste war Anfang 40, und da war vielleicht auch ein bisschen Abenteuerlust bei den Jüngeren dabei, aber ich glaube, sie waren entschlossen zu kämpfen. Sie sind nicht blind in die Gefahr hineingelaufen. Es wurde ihnen auch sehr deutlich gesagt, was auf sie zukam, und trotzdem waren sie bereit, diese Aufgabe anzufassen. Also charakterlich waren sie, glaube ich, wirklich sehr unterschiedlich, ganz individuelle Persönlichkeiten. Die Gemeinsamkeit, die sie hatten, war sehr großer Mut, denke ich, und sie wollten etwas gegen die Nazis tun."

    Die französische Arbeitertochter mit sozialistischen Idealen, Andrée Borrel, die unkonventionelle schottische Journalistin Diana Rowden, die als Jüdin verfolgte Deutsch-Russin Sonia Olschanezky, die französisch-britische Fremdsprachenkorrespondentin Eliane Plewman - vier von den zwölf Frauen, die ihren Einsatz nicht überlebt haben.

    "Soweit ich herausgefunden habe, sind die meisten durch Verrat, und zwar Verrat aus den eigenen Reihen, gefasst worden. Aber auch das Risiko musste in dem Fall einkalkuliert werden. Wenn viele Menschen mobilisiert werden, kann man sich nicht darauf verlassen, dass immer es alle ehrlich meinen. Da sind auch schlechte Charaktere darunter, die wirklich nur ihren eigenen Nutzen sehen."

    Mit der Verhaftung begann für die Frauen eine lange Zeit des Martyriums. Auf die Folter waren sie durch ihre Ausbilder vorbereitet worden. Das Ziel: mindestens 48 Stunden durchzuhalten, um den noch in Freiheit befindlichen Kollegen die Möglichkeit zur Flucht zu geben. Der Trick der Special Operations Executive, ihnen Offiziersränge des weiblichen Hilfskorps zu verleihen, um sie bei einer möglichen Verhaftung vor dem Tod zu schützen, verfing bei den Deutschen jedoch nicht.

    Am Morgen des 12. Mai 1944 fuhr ein Lastwagen durch das Tor des Gefängnisses Fresnes und hielt vor dem Frauentrakt. Von mehreren Wärterinnen bewacht und mit Handschellen gefesselt, mussten Yolande Beekman, Andrée Borrel, Madeleine Damerment, Vera Leigh, Sonia Olschanezky, Eliane Plewman, Diana Rowden und Odette Sansom über die Laderampe in den LKW einsteigen, der hinter ihnen fest verschlossen wurde. Vor dem Gestapohauptquartier in der Avenue Foch wurden sie noch einmal ausgeladen und mehrere Stunden in Zellen gesperrt. Noch am Abend desselben Tages holten Gestapoleute sie aus ihren Zellen, fesselten sie zu zweit mit Handschellen aneinander und sperrten sie erneut in den LKW. Unter strenger Bewachung wurde die menschliche Fracht zum Gare de l´Est gefahren und in einen Zug nach Deutschland verladen. Die Fahrt endete am 13. Mai in Karlsruhe.

    Doch auch dies war erst eine Zwischenstation auf den langen Reisen, die in den Konzentrationslagern Bergen-Belsen, Ravensbrück, Dachau und Natzweiler enden sollten. Monika Siedentopf erzählt die Geschichten der brutalen Tötungen in allen dokumentierten Details - mit dem Ergebnis, dass der Leser dieses bemerkenswerte Buch mit einer größeren Betroffenheit aus der Hand legt als andere Werke mit ähnlicher Thematik.

    "Ich denke, man muss sich dem auch stellen. Wenn man nur sagt, sie kamen im Konzentrationslager um, da haben wir zwar inzwischen alle ausreichend Informationen, dass das alles furchtbar war, aber wie furchtbar es im Einzelfall war, wenn man das weiß, finde ich, sollte man das auch sagen oder schreiben, wirklich im Detail, wenn die Unterlagen da sind, um einfach noch mal genau klarzumachen dem Leser, wie grauenvoll diese Zeit war."

    Brigitte Baetz über Monika Siedentopf: Absprung über Feindesland. Agentinnen im Zweiten Weltkrieg. Veröffentlicht in der premium-Reihe des Deutschen Taschenbuch Verlages München, das reich bebilderte Paperback ist 176 Seiten stark und kostet 14 Euro und 50 Cent.