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Silberfaden. Erzählungen

Sojitrawalla: "Sie studieren am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Kann man Schreiben lernen?"

Shirin Sojitrawalla | 23.10.2002
    Junge: Ja, ich glaub schon, ein gewisses Talent gehört dazu, denk' ich, aber das Handwerk lässt sich erlernen. Das ist so ne deutsche Frage. In Amerika ist das gang und gäbe, dass man das, wie auch Schauspieler zur Schauspielschule gehen können, dass man auch als Schriftsteller ein gewisses Handwerk lernen kann.

    Nun liegt Ihr erstes Buch vor. "Silberfaden", zwölf Erzählungen, erschienen im Fischer Verlag. Wie fühlt man sich als Jungautorin, gerade zu Zeiten der Buchmesse?

    Oh, schwer zu sagen, aufgeregt natürlich, man hat auch, oder ich hab' auch ne gewisse Distanz, man sieht das Buch da so stehen und kann sich schwer vorstellen, dass es das eigene ist. Ich kenn' das nur auf dem Papier und auf dem Computerbildschirm und auf einmal steht's da in 'ner großen Stückanzahl und ja, so hin- und hergerissen zwischen Staunen und Freude, und wenn die Menschen, Freunde kommen und gratulieren und einen in den Arm nehmen, dann ist es ganz reell, weil man es mit jemanden teilt und dann ist es sehr schön.

    Die meisten der vorliegenden Erzählungen sind in Ichform geschrieben. Warum bevorzugen Sie diese Form des Erzählens?

    Das ist schwer zu sagen, das ist nicht gewählt, das ist, ich glaub' jede Erzählung sucht sich ihre eigene Form und diese Erzählungen sind bis auf eine Ich-Erzählungen. Ich lehn' aber nich' irgendwas kategorisch ab oder befürworte das Ich. Das nächste Buch wird wahrscheinlich in der dritten Person geschrieben sein. So wie's aussieht.

    Und wieviel von Ihnen selbst steckt in diesem Ich?

    Das werde ich doch nicht verraten!

    Die Erzählungen, die Sie geschrieben haben, Ricarda Junge, sind ja überwiegend traurig, also so empfinde ich es. Würden Sie sich selbst als einen traurigen Menschen bezeichnen?

    Junge: Ach, ich bin überrascht, dass das Feedback zu dem Buch ist, es sei ein trauriges Buch. Ich würde eher sagen, es ist ein melancholisches Buch. Eine gewisse Melancholie schwingt da mit. Kann sein, dass auch ich ab und zu melancholisch bin, traurig würde ich nicht sagen.

    Die Figuren, die Sie beschreiben, scheinen alle irgendwie auf der Flucht zu sein, also so hab' ich's beim Lesen empfunden. Vor was fliehen die eigentlich?

    Ja, wovor fliehen wir? Ich glaube, dass hängt auch mit Melancholie zusammen, dass man ne Sehnsucht nach was hat und auf der Suche ist und nicht so sehr auf der Flucht, sondern auf der Suche nach Geborgenheit, nach Liebe, nach Freundschaft, und das sind wir ja alle irgendwie. Das ist Suche und nicht Flucht.

    Viele dieser Erzählungen in dem Band "Silberfaden" spielen in Amerika. Was verbindet Sie mit diesem Land und warum haben sie das öfter als Schauplatz gewählt?

    Ja, ein Professor von mir hat mich auch mal gefragt, warum die Geschichten nicht auch in Travemünde spielen? Ich glaube nicht. Mich verbindet mit Amerika, ich hab ein zwiespältiges Verhältnis zu den USA, aber meine private Verbindung ist ne sehr liebevolle. Ich hab ein Jahr in den USA gelebt, ich bin mit vielen Leuten da befreundet, und ich lieb' diese Ostküste, diese weiten Strände. Und da sind meine Sehnsüchte oft erfüllt worden. Und ich hab mich da sehr wohl gefühlt. Und das verbindet mich damit, und ich bin da immer wieder hingekommen und hab mich da lange aufgehalten. Insofern spielt das natürlich auch mit in die Erzählungen rein. Es ist wunderschön.

    Aber stimmt das nicht was der Professor sagt, dass die ganzen Erzählungen durchaus auch in Travemünde spielen könnten?

    Es gibt ja eine Geschichte, die in Travemünde spielt. Nein, diese bestimmten Geschichten konnten wirklich nur in den USA, in diesem bestimmten Kleinstadtmilieu, in diesen Orten, in dieser Landschaft, die viel weiter, viel größer ist, die viel gewaltiger ist, auf ne gewisse Weise als, nichts gegen Travemünde, aber gegen Cape May, gegen diese Orte, das kann man überhaupt nicht vergleichen, ja, wenn das so austauschbar wäre, oh, nein, man entscheidet sich sehr frei. Man sagt ja auch nicht, wenn Sie in die USA fliegen, hätten sie ja auch in Bayern bleiben können. Das kann man nicht vergleichen.

    Und stört es Sie eigentlich, wenn in Artikeln über sie so betont wird, dass sie erst 23 Jahre alt sind?

    Ja, ich wundere mich immer. Was heißt erst 23? Mit 23 haben einige Leute ihre fertige Berufsausbildung, können Kinder haben, können im Knast sein, können, da kann sich schon alles entschieden haben. Ja, ich bin 23, ob erst oder schon, mein kleiner Bruder findet schon 23, andere sagen erst 23, das ist Ansichtssache, ich bin so alt wie ich bin. Vielleicht blicke ich irgendwann zurück und sage, da warst Du erst 23. Im Moment kann ich es nicht sagen.

    Sind Sie, Ricarda Junge, eigentlich froh, dass dieser ganze Hype um das Fräuleinwunder in der neuen deutschen Literatur jetzt vorbei ist?"

    Was ist das bloß für ein Unwort, dieses Fräuleinwunder. Ich hab' das eigentlich immer ignoriert. Ich hab die Autorinnen, auf die sich das bezieht, zum Teil wahnsinnig gerne gelesen, als Fräuleinwunder hab' ich sie nicht gesehen, sie sind einfach gute Autorinnen und daraus ein Fräulein zu machen, ärgert mich eigentlich. Ja, insofern hab ich das immer versucht, zur Seite zu schieben und bei den Autorinnen gar nicht zu beachten.

    Sie sind ja jetzt bald fertig mit Ihrem Studium in Leipzig, was sind denn dann Ihre Pläne?

    Na, bald fertig ist gut! Ich muss erst mal noch die Diplomarbeit, einen Roman, schreiben. Der ist noch nicht fertig, und es sind nur noch wenige Wochen Zeit. Das wollen wir doch erst mal sehen, wie das läuft. Meine weiteren Pläne sind Schreiben, Schreiben, Schreiben.