Samstag, 20. April 2024

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Silberrücken-Freundschaft
Sozialstrukturen bei Gorillas komplexer als angenommen

Auch Gorillas pflegen Sozialstrukturen, die über die eigene Kernfamilie hinausgehen. Per Brusttrommeln verabreden sie sich mit anderen Gruppen, um gemeinsam Nahrung zu verzehren. An den Silberrücken-Familien könne man die Evolutionsgeschichte des Menschen studieren, sagte Thomas Breuer vom WWF im Dlf.

Thomas Breuer im Gespräch mit Michael Böddeker | 10.07.2019
Berggorilla im Dschungel, Virunga Nationalpark, Ost-Kongo
Besonders mit männlichen Tieren, mit denen sie selbst aufgewachsen sind, begegnen sich Gorillas häufig ohne Aggressionen (imago stock&people / Westend 61)
Michael Böddeker: Gorillas sind schwierig zu beobachten. Sie halten sich nämlich meist im dichten Wald auf. Um nun etwas über die Sozialstrukturen von Gorilla-Gruppen herauszufinden, muss man mitunter ganz nah heran. Das haben Forscher über Jahre hinweg gemacht und zwar an einer Lichtung im Regenwald in Zentral-Afrika. Gar nicht mal ungefährlich.
Thomas Breuer: Die Ergebnisse zeigen, dass unterschiedliche Gruppen auch vermehrt den Kontakt suchen, und das ist ganz genau das, was wir bei Menschen sehen. Wir haben einen Familienverband, der sich mit anderen Familienverbänden verbindet, und das ist etwas, was neu ist im Primatenreich – nicht generell. Das kennt man von anderen Tieren, das kennt man von Delfinen, das kennt man von Walen, das kennt man von Pavianen, aber nicht von Menschenaffen. Das ist neu und das ist wirklich in dieser Hinsicht eine Neuentdeckung.
Böddeker: Das heißt, es sind nicht nur die dominanten Männchen, die Silberrücken, die alles bestimmen, sondern es gibt verschiedene Kreise, verschiedene Freundschafts- und Verwandtschaftskreise, die über diese Kernfamilie hinausgehen. Aber wie bilden sich solche Freundschaften? Ist das wie bei Menschen? Da sind ja auch die besten Freunde die, die man schon sehr lange kennt, aus der Jugend zum Beispiel. Ist das bei Gorillas auch so ähnlich?
Breuer: Ja, absolut. Das geht auf zwei unterschiedliche Weisen. Einmal, indem man mit seinem eigenen Bruder groß wird. Es gibt auch nur wenige Silberrücken, das heißt die Väter der Kinder, die erfolgreich sind, die mehrere Kinder haben, mehrere Söhne und dann auch dementsprechend die Söhne sich untereinander kennen und groß werden durch Spielen und so was. Zudem gibt es aber auch noch die Sache, dass unterschiedliche männliche Tiere auch gemeinsam groß werden, weil vielleicht ihr Vater stirbt und dann sie gezwungen sind, in andere Gruppen zu gehen. Die Dynamik, woher diese Familienstrukturen kommen, sind noch nicht bekannt.
Verabredungen mit Bekannten zur Gewaltvermeidung
Böddeker: Es gibt bei den Gorillas sogar so was Ähnliches wie Familienfeiern oder Familienfeste bei Menschen, heißt es in der Studie. Wie sehen die aus, solche Feierlichkeiten?
Breuer: Na ja, da möchte ich jetzt nicht übertreiben. Wir sehen schon, dass es vorkommt, dass zwei oder drei Gorilla-Gruppen in diese Waldöffnung kommen, um diese mineralreiche Nahrung zu konsumieren. Und wenn dann auch mal zwei, drei Gruppen da sind und die sich kennen, dann sind die friedlich gegeneinander eingestellt. Manchmal kommt es auch vor, dass Gruppen sich begegnen, die sich nicht so gut kennen, und dann erhöht sich natürlich das Aggressionspotenzial. Wir haben in der Studie gesehen, dass die Gruppen versuchen, ihren Besuch auch so zu koordinieren, dass sie mit Freunden irgendwo unterwegs sind.
Böddeker: Damit man nur mit Gorillas am selben Ort ist, die man auch mag?
Breuer: Na ja, es ist eine Art von Gewaltvermeidung, und die Kommunikation muss man bei der ganzen Sache ein bisschen vorausstellen, weil die Gorillas über lange Distanz kommunizieren. Das kann über sogenanntes Brusttrommeln passieren. Das heißt, der eine oder andere weiß, wo man sich aufhält, auch wenn man nachts sein Schlafnest aufbereitet und man weiß, dass man morgen in der Waldöffnung ist, und darauf können die sich sehr, sehr gut koordinieren und auch dann entscheiden, mit wem sie dann gemeinsam diese Waldöffnung besuchen. Genau!
Böddeker: Sie haben jetzt diese Waldöffnung schon erwähnt, wo diese Beobachtungen gemacht wurden. Das ist natürlich hilfreich, da kann man die Tiere besser sehen als im dichten Wald. Können Sie das noch ein bisschen beschreiben, wie das da aussah vor Ort?
Breuer: Ja! Es gibt mehrere, sehr, sehr interessante Beobachtungen. Das Allerwichtigste ist, dass man in dieser Waldöffnung nicht nur eine Gruppe von Gorillas sieht. In dieser Studie kennen wir, sagen wir, 15 bis 20 unterschiedliche Silberrücken-Gruppen und Einzelgänger. Wir sitzen auf einer Beobachtungsplattform und gucken uns die Gruppen in ihrer Zusammensetzung und in ihrem Verhalten gegenüber an, und das ist relativ neu.
Böddeker: Unterm Strich gibt es komplexe Sozialstrukturen. Die gibt es heute sowohl bei Menschen als auch bei Gorillas. Was heißt das jetzt? Heißt das, dass vielleicht auch schon der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Gorilla solche ähnlichen Sozialstrukturen hatte?
Breuer: Na ja. Wir kennen im Tierreich natürlich viele Familienverbände. Gucken Sie sich die Delfine an, gucken Sie sich Wale an, gucken Sie sich auch übergeordnete Familienstrukturen im Primatenreich an. Das sind ja Paviane. Das heißt, wir gingen immer davon aus, dass Schimpansen unser Beispiel sind, und Schimpansen leben in relativ geschlossenen, sogenannten Gemeinschaften, Communities. Aber der Schimpanse hat wahrscheinlich einen Weg eingegangen, der nicht 100 Prozent repräsentativ ist für das, was der Mensch heute repräsentiert. Das heißt, der Gorilla ist schon ein Beispiel, wo man die Evolutionsgeschichte des Menschen relativ gut studieren kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.