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Simon Schwartz' Comics
Bunt, grotesk und einfallsreich

Der Hamburger Comiczeichner Simon Schwartz widmet sich jede Woche in der Wochenzeitung "Der Freitag" schrägen Biografien. Schwartz wurde bereits mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet. "Vita Oscura" ist der Titel seines neuen Comics.

Von Dirk Schneider | 21.03.2014
    Der Comic-Zeichner Simon Schwartz sitzt in seinem Büro
    Der Comic-Zeichner Simon Schwartz zeichnet jede Woche für die Wochenzeitung "Der Freitag" (picture alliance / dpa / Maja Hitij)
    Haben Sie schon einmal von einem Mann namens Wilmer McLean gehört? Von ihm stammt der Satz "Der amerikanische Bürgerkrieg begann in meinem Vorgarten und endete in meinem Salon."
    "Er hatte wirklich das Pech gehabt, dass der Krieg genau vor seinem Haus begann, und auch sofort sein Haus zerstört wurde. Und dann ist er weiter gezogen, 200 km weiter, und nach vier Jahren war die Front wieder vor seinem Haus, und dann haben die Kriegsparteien beschlossen, das wäre doch quasi ein Treppenwitz der Geschichte, wenn sie in seinem Haus den Friedensvertrag unterzeichnen, was sie auch gemacht haben. Worauf er auch ganz stolz war. Das kippte dann aber leider, weil sofort im Anschluss die Soldaten beider Fraktionen begonnen haben, das Haus zu plündern."
    Die Form macht erfinderisch
    Wilmer McLean ist eine von 35 oft tragischen und meist vergessenen historischen Figuren, deren Geschichten der Hamburger Comiczeichner Simon Schwartz erzählt: Extrem verkürzt auf jeweils einer Seite, denn ursprünglich sind diese Minicomics in der Wochenzeitung "Der Freitag" erschienen.
    Die kurze Form hat den Zeichner äußerst erfinderisch werden lassen: Die Geschichte des Flugzeugentführers D.B. Cooper etwa ist im Stil der Sicherheitsanweisungen aus Flugzeugen gezeichnet. Die Seite, die vom Erfinder Hans Janke erzählt, den man für geisteskrank erklärt hatte, lässt sich mit einer 3D-Brille betrachten. Und besonders ungewöhnlich ist die Bilderfolge über den persischen Propheten Mani:
    "…die spielt in der Antike, und da habe ich mich von Reliefs inspirieren lassen und hab halt mit Fimo geknetet und das abfotografiert."
    "'Comic' ist erstmal sequenzielles Erzählen in Bildern. Und wie ich die Bilder mache, ob ich die male, ob ich die mit Pinsel zeichne oder mit Buntstift, oder wie gesagt, ich bastle etwas und fotografiere das dann ab: Das ist für mich nicht so klar definiert."
    Comics sind auch lehrreich
    "Vita Obscura" heißt der nun erschiene Sammelband, und die Seiten darin sind Comics im besten Sinne: sehr bunt, grotesk und äußerst einfallsreich. Und dabei noch lehrreich. Oder wussten Sie, dass die Hollywood-Ikone Hedy Lamarr eine Funkfernsteuerung für Torpedos erfunden hat, auf der das heutige WLAN basiert? Comics werden in letzter Zeit gerne mit dem Stempel "Graphic Novel" versehen, um Zweifel an ihrer Ernsthaftigkeit auszuräumen. Simon Schwartz' Minibiografien sind gerade darum so gelungen, weil Komik und Anspruch in ihnen keine Gegensätze sind:
    "Was mir wichtig ist: Dass ich das ernst nehme. Ich nehme auch diese Biografien ernst. Die haben komische Momente, das sind auch teilweise Exzentriker, es sind auch tragische Figuren (...) dabei. (...) Und sie nicht nur erzählerisch ernst nehme, sondern auch grafisch ernst nehme. Dass ich dem immer einen Rahmen gebe, der dem angemessen ist und passt und das auch würdigt, oder ins rechte Licht setzt."
    Apropos Licht: Die Figuren der Geschichte von Wilmer McLean hat Simon Schwartz ausgeschnitten, hintereinander aufgestellt und mit Teelichtern erleuchtet. Dann hat er sie abfotografiert, was ihnen ein besonders dramatisches Licht verleiht – für Schwartz aber auch noch einen tieferen Sinn hat:
    "Der amerikanische Bürgerkrieg gilt als der erste Krieg – ob das jetzt stimmt, sei dahin gestellt -, der fotografiert wurde. Und gleichzeitig auch gezeichnet wurde. (...) Und da fand ich es ganz sinnvoll zu sagen: Okay, ich mache Zeichnungen, und die fotografiere ich dann auch wieder ab."
    Kein erläuternder Anhang
    Wohl kaum ein Leser wird alle Anspielungen in diesen Comics erkennen, in denen Schwartz japanische Farbholzschnitte genauso zitiert wie die Neuruppiner Bilderbogen. Insofern ist es schon schade, dass in diesem Sammelband auf einen erläuternden Anhang verzichtet wurde. Ansonsten muss man dem Avant-Verlag für die sehr aufwendig und liebevoll gemachte Ausgabe danken, allen voran aber der Redaktion des "Freitag", die Schwartz keine formellen Vorgaben für seine Comics gemacht hat. Schwartz ist ein großer Fan der frühen amerikanischen Zeitungscomics, die Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal erschienen sind.
    "Der Zeitungscomic ist für mich ja so die Königsdisziplin. Da kommt der Comic her, da hat er seine Ursprünge, und damit sich zu beschäftigen ist für mich natürlich noch mal ne besondere Freude."
    Diese Kunstform hat Simon Schwartz mit "Vita Obscura" wieder zur Blüte gebracht.