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Sinaihalbinsel
Von der Flucht in die Gefangenschaft

Die Sinai-Halbinsel ist - abseits der Touristenorte am Roten Meer - eine Wüste und ein rechtsfreier Raum. Menschenhändler machen sich dies zunutze und halten auf der Halbinsel vor allem Flüchtlinge aus Eritrea in Foltercamps gefangen.

Von Florian Elsemüller | 04.04.2014
    Bahta, ein Flüchtling aus Eritrea, geriet auf seiner Flucht in die Hände von Menschenhändlern.
    Bahta, ein Flüchtling aus Eritrea, geriet auf seiner Flucht in die Hände von Menschenhändlern. (Florian Elsemüller)
    Es ist ein sonniger Frühlingstag in Israel. Im Süden von Tel Aviv sitzt Bahta auf einer Bank im Park. Ein schlanker Mann, große braune Augen, gekräuseltes Haar auf dem Kopf. Vor zwei Jahren ist er aus Eritrea geflohen, und in die Hände von Menschenhändlern geraten. Die schnürten ihn, erzählt Bahta, mit Dutzenden anderen Menschen wie ein Stück Ware zusammen und karrten ihn auf einem Lastwagen auf den Sinai. Dort begann sein Martyrium: Beduinen folterten ihn mit immer neuen, immer perverseren Techniken.
    "Sie haben unsere Körper mit glühenden Eisenstangen verbrannt. Sie haben uns mit Ketten geschlagen und uns kopfüber an der Decke aufgehängt. Sie haben uns Stöcke in den Hintern gesteckt. Such dir was aus, dein Leben verlieren oder Geld, haben sie gesagt."
    Bahta zieht sein T-Shirt über den Kopf und bückt sich nach vorne. Sein Rücken ist übersät von hellen Flecken auf der schwarzen Haut.
    "Hier, sehen Sie all die Narben. Sie haben die Kleider an mir angezündet und dann war auch mein Körper verbrannt."
    Faniel, ein Freund von Bahta, teilt mit ihm sein Schicksal. Auch der 25-Jährige ist aus Eritrea geflohen. 30.000 Dollar zahlte seine Familie für sein Leben.
    "Gott hat mir geholfen, dass ich mit allen Teilen meines Körpers da rausgekommen bin."
    Andere überleben die Foltercamps nicht. Faniel hat Menschen sterben gesehen.
    "Einer hat ihnen gesagt, dass er kein Geld habe, nichts, womit er zahlen kann. Aber sie haben ihn nicht gleich getötet. Sie haben sich ihren Spaß mit ihm gemacht. Es war so unmenschlich. Sie haben Plastik auf seinen Augen verbrannt. Nach neun Tagen ist er gestorben. Wenn sie dich töten wollen, dann töten sie dich Stück für Stück."
    Bahta und Faniel haben überlebt. Sie haben es nach Israel geschafft. Nun sind sie in Sicherheit und werden medizinisch versorgt. Eine Gruppe von Ärzten behandelt die Flüchtlinge aus Afrika ehrenamtlich. Sie nennen sich die Ärzte für Menschenrechte und haben mit Spendengeldern eine kleine Klinik in Jaffa eröffnet, der arabischen Stadt, die an den Süden Tel Avivs grenzt. Knapp 2000 Folteropfer haben sie hier behandelt, schätzen die Ärzte.
    Doktor Adaya Barkay hat viele von ihnen hier untersucht:
    "Letzte Woche kam ein Mann. Er hat sein Hemd hochgezogen und mir seinen Rücken gezeigt. Er hatte zwei rechteckige Narben, vielleicht zehn auf sieben Zentimeter groß. Es sah aus, als hätte jemand Eisenplatten auf seinen Rücken gedrückt."
    Nebenan nimmt Schwester Alicia neue Patienten auf, misst Blutdruck und Körpertemperatur. Und sie fragt sie, warum sie in die Klinik kommen. Kaum jemand berichtet zunächst, gefoltert oder vergewaltigt worden zu sein. Aber auffällig viele Frauen wollten abtreiben. Als Schwester Alicia und ihrer Kollegin Schwester Aziza dies im Jahr 2008 aufgefallen war, begannen sie nachzufragen; sie entwickelten einen Fragebogen, dessen Ergebnisse sie veröffentlichten. Von dieser kleinen Klinik in Jaffa erfuhr schließlich die Welt, das auf dem Sinai Grausames passiert. Bis heute. Schwester Alicia:
    "Wir beobachten in den all den Jahren und Monaten, dass die Art der Folter schlimmer wird und die Höhe des Lösegelds steigt. Sie sind brutaler geworden."
    Aber niemand hilft den Menschen, die jetzt in den Foltercamps gefangen gehalten werden. Die Sinaihalbinsel ist – abseits der Touristenorte am Roten Meer – eine Wüste und ein rechtsfreier Raum. Die ägyptische Regierung hat ihren Einfluss verloren. Menschenrechtsorganisationen fordern seit Jahren auch von der deutschen Regierung und der EU, dass sie Ägypten endlich drängt einzuschreiten. Doch bis dahin werden die Beduinen weiter foltern – und die Familien in Eritrea, im Sudan oder in Äthiopien, so sie können, zahlen. Mittelsmänner nehmen die Überweisung in Kairo oder in Israel entgegen.
    Bahta lebt inzwischen seit eineinhalb Jahren in Israel. Aber erst seit drei Monaten ist er in Freiheit. Aus dem Foltercamp kam er direkt nach Saharonim, ein Gefängnis in der Wüste für "illegale Eindringlinge", so die offizielle Bezeichnung der israelischen Regierung für Asylsuchende. Doch ein Gefängnis ist kein Ort, an dem ein Trauma heilen kann.
    "Die ersten sechs Monate in Saharonim waren fast ein Albtraum", sagt Bahta. Nach mehr als einem Jahr haben ihn Chaska Katz und ihre Kollegen von der Hotline für Flüchtlinge und Migranten frei bekommen. Vor ihrer Büro-Tür warten ein Dutzend Afrikaner auf ein Beratungsgespräch. Chaska Katz vertritt Sinai-Opfer, die in Israel inhaftiert sind, vor Gericht. Israel akzeptiert als Gründe für eine Freilassung Menschenhandel und Sklaverei. Folter allein reicht nicht. Doch die Abgrenzung, sagt Chaska Katz, sei problematisch, gerade bei Frauen, die vergewaltigt wurden.
    "Es sind sehr starre Kriterien. In vielen Fällen kommt des darauf an, wie oft jemand vergewaltigt wurde. Ein oder zwei Mal – das reicht nicht. Auch Folter alleine ist nicht hinreichend um eine Freilassung zu erwirken. Wir müssen beweisen, dass die Folter, die ein Mensch erlitten hat, seine Psyche beeinflusst. Wir argumentieren, dass wenn diese Person inhaftiert bleibt, sich ihr mentaler Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Das ist der Trick."
    Auch derzeit, berichtet Chaska Katz, säßen Folteropfer in israelischen Gefängnissen oder in Holot, dem neuen Lager für Asylsuchende.
    "Zurzeit weiß ich von 15 Personen, die ich selbst vertrete. Aber es gibt noch viele Eritreer, die wir noch nicht getroffen haben. Sie könnten auch Sinai-Opfer sein. Das ist auch Teil unserer Arbeit ständig nach diesen Opfern zu suchen."
    Die Freigelassenen dürfen in Israel nicht arbeiten. Geld vom Staat bekommen sie nicht. Manche werden kriminell. Viele arbeiten illegal. In Restaurants, in Hotels, oder sie bauen - so wie Bahta - die neue Bahnstrecke zwischen Tel Aviv und Jerusalem.
    Faniel ist sich unterdessen wie viele Freigelassene sicher, dass er das Lösegeld eines Tages an seine Familie zurückzahlen will:
    "Ich trage dafür Verantwortung. Diese Menschen haben mein Leben gerettet. Ich muss ihnen helfen, ich muss ihnen das Geld zurückzahlen."