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Sinfonik von Johannes Brahms
Klangfülle versus Kammermusik

Die Dirigenten Paavo Järvi und Jukka-Pekka Saraste haben die zweite Sinfonie von Johannes Brahms aufgenommen. Mit ihren Klangkörpern, der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und dem WDR Sinfonieorchester, schlagen sie dabei sehr unterschiedliche Wege ein.

Von Marcus Stäbler | 01.10.2017
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    Die neuen Brahms-CDs von Paavo Järvi und Jukka-Pekka Saraste (Jochen Hubmacher)
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 3. Satz
    "Der Wörthersee ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, dass man sich hüten muss, keine zu treten." So unbeschwert und launig schrieb Johannes Brahms seinem Freund Eduard Hanslick aus dem Sommerurlaub im Jahr 1877, als er in Pörtschach am Wörthersee gerade mit seiner zweiten Sinfonie begonnen hatte. Die sonnige Grundstimmung hat in der Musik ihre Spuren hinterlassen. Auch wenn Brahms seinen Hang zur Melancholie nicht leugnet, so schlägt seine zweite Sinfonie in der Tonart D-Dur doch einen grundsätzlich sehr viel helleren Ton an als noch die düstere erste. Die Zweite wurde schon bei der Uraufführung in Wien gefeiert und gehört bis heute zu den beliebtesten Werken des Komponisten. Jetzt erscheinen zwei neue Aufnahmen des Stücks. Das Label RCA präsentiert eine Produktion mit Paavo Järvi und der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen: Das WDR Sinfonieorchester hat die zweite Sinfonie von Brahms unter seinem Chefdirigenten Jukka-Pekka Saraste für die Edition Profil Günter Hänssler eingespielt.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
    Paavo Järvi modelliert die Konturen deutlicher
    Der Beginn der zweiten Brahms Sinfonie mit Jukka-Pekka Saraste und dem WDR Sinfonieorchester. Bei der Deutschen Kammerphilharmonie klingt der Einstieg anders. Paavo Järvi modelliert die Konturen der Musik deutlicher, etwa indem er das Thema der Hörner klarer unterteilt. Der anschließende Einsatz der Holzbläser fügt sich geschmeidiger ins Tutti ein.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
    Paavo Järvi formt mit seiner Kammerphilharmonie einen schlanken und beweglichen Brahms-Klang. Er nimmt sich Zeit für Rubati. Etwa wenn das Orchester kurz innehält, bevor eine Linie der Geigen losströmt; so luftig und frisch wie eine leichte Sommerbrise.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
    Beim WDR Sinfonieorchester wirkt diese Passage weniger frei und eine Spur nebensächlich.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
    "Cantando", also "singend" fordert Brahms hier von den Celli und Bratschen. Die Musiker des WDR Sinfonieorchesters spielen das mit ziemlich viel Nachdruck. Paavo Järvi gibt den Streichern der Deutschen Kammerphilharmonie etwas mehr Zeit zum Atmen und lässt das Thema eher nach Innen singen.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 1. Satz
    Mehr grüblerische Momente beim WDR Sinfonieorchester
    In Forte-Passagen entfacht die Deutsche Kammerphilharmonie durchaus eine orchestrale Wucht, die ja auch zu Brahms gehört. Dabei wahrt die Aufnahme der zweiten Sinfonie aber immer, wie es der Orchestername ja auch nahe legt, eine kammermusikalische Transparenz. Die Produktion des WDR Sinfonieorchesters vermittelt ein anderes, teilweise fast gegensätzliches Bild von der Musik, das eher der traditionellen Vorstellung von Brahms entspricht. Der Unterschied ergibt sich nicht zuletzt aus den Besetzungsgrößen der beiden Klangkörper. Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen spielt mit 34 Streichern, so wie es Brahms selbst von den Orchestern seiner Zeit etwa in Meiningen und Wiesbaden gewohnt war und dementsprechend auch im Ohr hatte. Das WDR Sinfonieorchester hat die Streicherbesetzung demgegenüber nahezu verdoppelt, auf 60 Musiker, darunter alleine acht Kontrabässe. Kein Wunder also, dass die Aufnahme aus Köln breiter und massiger klingt. Dadurch treten die dunklen Farben und die grüblerischen Momente der Sinfonie stärker zu Tage. Auch in der Einleitung zum langsamen Satz, Adagio non troppo.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 2. Satz
    Jukka-Pekka Saraste, Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters, entwickelt auch die Sololinien der Bläser im Adagio aus dem Geist eines fülligen Brahms-Bilds. Die Einsätze von Horn und Oboe, von Brahms jeweils mit "piano" bezeichnet, klingen bei ihm ziemlich selbstbewusst und kräftig.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 2. Satz
    Die Bläser der Kammerphilharmonie spielen diese Passage weicher und sensibler.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 2. Satz
    Paavo Järvi und die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen waren mit den Brahms-Sinfonien auf Tournee, bevor sie die Zweite im Frühjahr 2015 im Kurhaus Wiesbaden aufgenommen haben. Sie nutzen diese Vertrautheit mit jedem Winkel der Partitur für eine Interpretation, die spontanen Ideen Raum gibt und deshalb sehr organisch atmet und lebendig wirkt. Nur in vereinzelten Ausnahmefällen scheint Järvi sein Bauchgefühl für ein stimmiges Timing kurz zu verlassen. Wie im dritten Satz, in dem er die Fermate vor dem Neuansatz der Oboenmelodie extrem lange dehnt, so dass jedenfalls für mein Empfinden ein Spannungsloch entsteht.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 3. Satz
    Hier findet Jukka-Pekka Saraste mit dem WDR Sinfonieorchester einen ganz natürlichen Fluss und betont den eigentümlichen Groove der Musik, indem er die Synkopen in der Begleitung der Hörner etwas mehr in den Vordergrund rückt.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 3. Satz
    Järvi dringt tiefer in die Bedeutungsschichten der Partitur
    Jukka-Pekka Saraste hat in seiner Brahms-Aufnahme oft vor allem die großen Bögen im Blick. Damit formt er, wie im Allegretto grazioso, viele schöne Momente und Stimmungen. Doch an den Facettenreichtum der Konkurrenzeinspielung unter Paavo Järvi reicht die WDR-Produktion an vielen Stellen nicht heran. Mit der Deutschen Kammerphilharmonie dringt Järvi tiefer in die musikalischen und emotionalen Bedeutungsschichten der Partitur ein. Er offenbart eine dichte motivische Vernetzung und einen Reichtum an subtilen Farb- und Stimmungswechseln, der bei Saraste mitunter durch den dicken Klang verdeckt wird. Manches wirkt in der WDR-Aufnahme etwas schwerfällig. Trotz der größeren Besetzung entfaltet die Einspielung aber nicht automatisch mehr Power. Das ist etwa beim forte-Ausbruch zu Beginn des Finales zu erleben.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 4. Satz
    Paavo Järvi dirigiert zwar ein schlankeres Orchester, bündelt die Kräfte hier aber präziser, vor allem durch den knackigen Einsatz der Pauke, der perfekt mit dem Tutti synchronisiert ist.
    Musik: Johannes Brahms, Sinfonie Nr. 2 D-Dur, 4. Satz
    Ein Ausschnitt aus dem Schlusssatz, Allegro con spirito, der zweiten Sinfonie von Johannes Brahms, mit Paavo Järvi und der deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Beide Aufnahmen der zweiten Brahms-Sinfonie umfassen eine Spieldauer von gut vierzig Minuten. Paavo Järvi lässt sich dabei insgesamt einen kleinen Tick mehr Zeit. Er und die Deutsche Kammerphilharmonie ergänzen das Programm mit der Tragischen Ouvertüre und der Akademischen Festouvertüre. Jukka-Pekka Saraste dirigiert im zweiten Teil der CD die Haydn-Variationen von Brahms.
    Musik: Johannes Brahms, Variationen über ein Thema von Haydn, Finale
    Das Finale der Variationen über ein Thema von Haydn von Johannes Brahms, mit dem WDR Sinfonieorchester unter Leitung von Jukka-Pekka Saraste. Eine Produktion des Labels Profil Günter Hänssler. Die Brahms-Aufnahme der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen ist bei RCA Red Seal unter dem Dach von Sony Music erschienen.
    Johannes Brahms
    Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73
    Tragische Ouvertüre d-Moll, op. 81
    Akademische Festouvertüre c-Moll, op. 80

    Deutsche Kammerphilharmonie Bremen
    Ltg.: Paavo Järvi

    Label: Sony (LC 00316) EAN: 88985459462
    Veröffentlichungstermin: 14. Oktober 2017

    Johannes Brahms
    Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73
    Variationen über ein Thema von Haydn, op. 56a

    WDR Sinfonieorchester Köln
    Ltg.: Jukka-Pekka Saraste

    Label: Profil Edition Hänssler (LC 13287) EAN: 88148817057
    Veröffentlichungstermin: 15. September 2017