Donnerstag, 18. April 2024

Archiv


Singende Eisberge

Meeresforschung. - Dass Wale singen und auch die angeblich so stummen Fische ziemlich gesprächig sein können, weiß man inzwischen. Forscher des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven haben jetzt einen Eisberg beim Singen belauscht und ihre Erkenntnisse heute in "Science" veröffentlicht.

Von Frank Grotelüschen | 25.11.2005
    "An einen Eisberg haben wir zunächst überhaupt nicht gedacht."

    Die Neumayer-Station, eine Forschungsstation am Rand der Antarktis. Gemeinsam mit ihren Kollegen analysiert Vera Schlindwein, Geophysikerin am Alfred-Wegener-Institut für Polarforschung, die Signale der Seismometer. Gewöhnlich erfassen diese Sensoren Erdbeben. Doch dieses Mal scheint etwas nicht zu stimmen.

    "Aufgefallen sind uns diese ganz markanten Signale. Das sieht aus wie ein Kamm mit 30 Zinken. Das ist nicht zu übersehen, ein ganz markantes Bild. Und dann haben wir angefangen, der Herkunft dieser Signale mal nachzugehen."

    Einer der Erdbebensensoren ist defekt, seine Elektronik spielt verrückt und gaukelt ein falsches Signal vor. Das vermuten die Wissenschaftler zuerst. Aber, so Schlindwein:

    "Dann ist uns aufgefallen, dass alle Seismometer dieses Signal aufweisen. Es kann also nicht am Seismometer liegen."

    Als nächstes denkt Schlindwein an einen Vulkan - schließlich zeigen die Signale von Vulkanen ab und zu auch solche kammartigen Muster. Also schaute sie in den Datenbanken nach, ob sich nicht irgendwo in der Region ein Kandidat findet. Aber:

    "Dort ist weit und breit kein Vulkan zu finden!"

    Jetzt analysieren die Forscher die ominösen Signale noch einmal genau - und bemerken, dass die Signale wandern. Schlindwein:

    "Dann war eindeutig klar: Es kann sich nicht um einen Vulkan handeln - Vulkane bewegen sich nicht. Sondern es muss eine mobile Quelle sein. Und es passte immer genau zusammen mit der Stelle, wo sich dieser große Eisberg befunden hat."

    Bereits 1987 war dieser Eisberg abgebrochen, mit 30 mal 50 Kilometern ist er halb so groß wie das Saarland. Seitdem treibt er mit der Meeresströmung um die Antarktis um und bleibt immer mal wieder am Meeresgrund hängen. Und bei eben diesem Hängenbleiben fängt der Eisberg an zu singen. Schlindwein:

    "Wir glauben, dass es sich um Wasser handelt, was unter hohem Druck durch Kanäle und Brüche in dem Eisberg durchströmt und dabei die Wände dieser Kanäle zu Schwingungen anregt."

    Ein Eisberg ist kein monolithischer Block, sondern durchzogen von Furchen, Kanälen und Rissen. Sobald der Riese irgendwo festhängt, presst die Meeresströmung Wasser durch diese Kanäle. Und das erzeugt Klänge - ähnlich wie bei einer Orgelpfeife, durch die man Luft presst.

    "Das ist das Geräusch, wo der Eisberg auf Grund läuft und da erst mal fest sitzt."

    "Danach sitzt der Eisberg fest. Dann kann Wasser durch die Kanäle gedrückt werden, und dann fängt der Gesang an."

    An sich ist der Eisberg-Gesang mit seinen Frequenzen von einigen Hertz viel zu tief fürs menschliche Ohr. Um ihn hörbar zu machen, müssen ihn die Forscher schneller abspielen, im Zeitraffer also. Die Klänge sind so laut, dass sie selbst in 800 Kilometern Entfernung von den Seismometern noch zu hören sind. Und sie ziehen sich über bis zu 16 Stunden hin. Lässt sich nun die Entdeckung der singenden Eisberge für irgendetwas gebrauchen? Ja, hofft Vera Schlindwein, und zwar um Vulkanausbrüche genauer vorhersagen zu können. Auch von Vulkanen weiß man, dass sie singen können, manchmal sogar vor einem Ausbruch. Nur: Der Grund dafür ist bis noch nicht verstanden:

    "Es drängt sich aber nach dieser Beobachtung auf, dass es einen gemeinsamen Quellenmechanismus gibt, der sowohl in einem Vulkan als auch in einem Eisberg wirkt. Und wenn man nun dieses System besser verstehen kann, dann hat das natürlich auch Konsequenzen für eine mögliche Vorhersagbarkeit von Vulkanausbrüchen. Und da sehe ich einen wirklich großen Nutzen dieser Beobachtung."