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Singspiel und Ausstellung „Prekärotopia“
Schöner Scheitern

„Prekärotopia“ ist ein zeitgenössisches Singspiel vom solidarischem Umsturz und dem künstlerischen Scheitern. Drei Künstlerinnen vereinen damit Installation und Performance im Kunstbau des Lenbachhaus München. Die Musik ist auch als Popalbum erschienen.

Von Andi Hörmann | 02.04.2019
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Singspiel mit Drehorgel "Prekärotopia" - "In der Kunst ist das Scheitern ein kreativer Prozess" (Simone Gaensheimer)
"Prekärotopia" ist ein zeitgenössisches Singspiel. Die Künstlerinnen Beate Engl, Leonie Felle und Franka Kaßner spielen Speaker, Poupée und Trickster, die im System Prekärotopia zwischen Tanzeinlage und Abrissbirne leben. Die Dramaturgie ist von starken Brüchen gekennzeichnet: von Vereinzelung zu solidarischer Euphorie; von der Überzeugung, das Bestehende verändern zu können, hin zu einem Umsturz ohne Lösung.
Die Frage nach der Möglichkeit gemeinschaftlichen Handelns verbindet die Erzählebene mit der konkreten Zusammenarbeit der Künstlerinnen, die für das Stück sämtliche Skulpturen und Instrumente entwickeln und bauen, sowie die Lieder komponieren, schreiben und singen. Ein prekäres Singspiel, Installation und Aufführungen im Münchner Lenbachhaus.
Trickster, Speaker, Poupée
Musik: Felle, Kaßner, Engl "Welcome to Prekärotopia"
Franka Kaßner: "Ich bin Franka Kaßner und im Singspiel Prekärotopia bin ich der Trickster. Ich bin ironisch, komisch, zynisch."
Beate Engl: "Mein Name ist Beate Engl und ich bin im Singspiel der Speaker, eine Rednerfigur, die zum gemeinsamen Handeln, zum Umsturz, zur vielleicht Revolution aufruft."
Leonie Felle: "Ich bin Leonie Felle, ich bin im Singspiel Poupée, eine positiv gestimmte, kindliche Frau, die alles bunt und wunderbar findet."
Musik: "…Die Sonne scheint hell am Horizont. / I can do whatever I want. / Jeder ist hier für den And`ren da, / Welcome to Prekärotopia! ..."
Der Schein trügt. Das Singspiel "Prekärotopia" ist in Wirklichkeit eine Dystopie, ein Abgesang auf das prekäre, das von Misserfolg und Armut bedrohte Künstlerdasein.
Beate Engl: "Im Prinzip haben wir ja mit Prek… Prekä…"
Hoppla, verhaspelt, also noch mal ansetzen:
Beate Engl: "Im Prinzip haben wir ja mit Prekärotopia so eine Art Universum für uns geschaffen, wo Trickster, Speaker und Poupée auch agieren können."
Franka Kaßner: "Wir träumen natürlich von ganz großen Zusammenkünften."
Musik: "…Who pays the piper / Calls the tune!…"
Anerkennung für künstlerisches Schaffen
Künstler aller Klassen vereinigt euch! Aufbegehren und Revolution. Als Inkarnation der arbeitenden Klasse der Kreativen fordern Felle, Kaßner und Engl also den Umsturz in Form von Anerkennung für künstlerisches Schaffen - auch finanziell. Wie das gehen soll, das bleibt offen.
Leonie Felle: "Die drei Figuren treffen sich, nähern sich an, stürzen die Hierarchie und haben aber keine Idee, wie wir eine neue Welt schaffen können - die Gemeinschaft geht wieder auseinander."
Aber die Musik bleibt. So ist zur Ausstellung "Prekärotopia" im Kunstbau des Münchner Lenbachhaus auch ein Popalbum entstanden - oder andersrum. Das Singspiel ist ganz einfach die theatrale Aufführung der Kompositionen mit Skulpturen der Künstlerinnen als Requisiten: Das Brathähnchen-Gefährt und die mannshohe Hand des Kapitals, eine mit leuchtenden Globen verkabelte Orgel - alles in der zum Singspiel entstandenen Ausstellung zu sehen. Inklusive trashiger Musikvideos zu den einzelnen Songs.
Musikalischer Stilmix
Musik: "Triumph! Triumph! Wir haben's geschafft!..."
Brecht lässt grüßen! Episches Erzählen über einen wilden musikalischen Stilmix. Punk, Chanson, Agit-Pop. Etwas aus der Zeit gefallen und jenseits aller digitalen Trends. Prekärotopia ist durch und durch analog.
Musik: "Hey you! Listen to me / There is no equality! / The only system I can see, / Is business and economy!…"
Die Bühne ist eine hölzerne Showtreppe in Form eines Xylophons. Während des Singspiels wird sie zerlegt und wieder aufgebaut. Am Ende bleibt die Melancholie des Misserfolgs. "Keiner für alle", heißt das letzte Stück.
Musik: "..Keiner für alle / Niemand für jeden / Viele und andere / Jeder allein…"
In der Kunst geht alles, fast alles. Auch der Misserfolg. Und im besten Fall wird er zum genuinen Moment des künstlerischen Ausdrucks.
Beate Engl: "Das Scheitern ist ja in der Kunst ein sehr kreativer Prozess, wie wir wissen."
Es gibt noch zwei Aufführungen: Am Freitag, 5. April 2019 und Donnerstag, 11. April 2019, jeweils um 20 Uhr. Die Ausstellung läuft noch bis 22. April. Der Eintritt zu den Aufführungen und der Ausstellung "Prekärotopia" im Kunstbau des Lenbachhauses ist frei. Bis 22. April übernehmen Poupée, Speaker und Trickster den Instagram-Account des Lenbachhauses.