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Sinti und Roma
Mehr Teilhabe durch Bildungsberater

Dzoni Sichelschmidt ist Bildungsberater an einer Stadtteilschule in Hamburg St. Pauli. Er kümmert sich besonders um Sinti- und Roma-Kinder und hilft bei Problemen sowie der Planung von Abschlüssen und Ausbildungen. Seit dem Sichelschmidt da ist, tritt Schulschwänzen fast nicht mehr auf.

Von Elisabeth Gregull | 11.09.2015
    Ein Schüler einer dritten Klasse der Evangelischen Grundschule in Frankfurt (Oder) meldet sich beim Deutschunterricht, aufgenommen am 14.01.2009.
    Der Bildungsberater an einer Hamburger Schule hat auch eine Vorbildfunktion für die Kinder. (dpa / picture alliance / Patrick Pleul)
    Die "Stadtteilschule am Hafen" liegt in Hamburg St. Pauli, nicht weit von der Reeperbahn. Als Dzoni Sichelschmidt über das Schulgelände geht, kommen Kinder auf ihn zugelaufen. Sie rufen seinen Namen, erzählen ihm Neuigkeiten und er wechselt fließend die Sprachen:
    Dzoni Sichelschmidt ist Bildungsberater und kümmert sich besonders um die 40 Sinti- und Roma-Kinder an der Schule. Um ihre Chancen zu verbessern, arbeitet er mit den Familien und Lehrkräften zusammen.
    "Tatsächlich, meine Aufgabe ist wie eine Art Brücke zu funktionieren zwischen den Schulen und den Roma-Familien."
    Er informiert und berät die Eltern zum Bildungssystem. Die Kinder unterstützt er im Unterricht, bei Problemen und bei der Planung von Abschlüssen und Ausbildungen. Auf die Frage, was sie später einmal werden möchten, antworten die Kinder und Jugendlichen:
    "Polizist. Erst möchte ich die Schule fertigmachen, dann möchte ich einen Kosmetiksalon aufmachen. Zum Beispiel Maler-Lackierer, Kfz-Mechatroniker wäre auch gut. Ich will Fußballer werden. Ich will Kindererzieherin werden."
    Alle versichern, gern in die Schule zu gehen. Sandra betont, dass Dzoni Sichelschmidt ihnen Rückhalt gibt.
    "Und er sagt uns auch, dass wir uns nicht schämen müssen, dass wir Roma sind. Er gibt uns halt Kraft."
    An der Schule gibt es fast kein Problem mehr mit unregelmäßigem Schulbesuch. Dass dieser oft mit Desinteresse von Roma an Bildung generell gleichgesetzt wird, ärgert Sichelschmidt ohnehin:
    "‚Die Roma mögen nicht zur Schule gehen.' Aber warum die nicht zur Schule gehen, das fragt sich ja keiner."
    Sichelschmidt, der selbst aus dem Kosovo fliehen musste, erklärt Lehrkräften die Lage der Familien. Viele wurden diskriminiert oder vertrieben. In Deutschland leben sie über Jahre und Jahrzehnte mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus und in engen Unterkünften. Keine Situation, die es Eltern und Kindern erlaube, zu planen und sich auf die Schule zu konzentrieren.
    Im Romanes-Unterricht beschäftigen sich Sichelschmidt und die Kinder mit den verschiedenen Kulturen der Sinti und Roma. Sie setzen auch gemeinsam Projekte um. Letztes Jahr war es eine Ausstellung über berühmte Roma, jetzt planen sie eine über Flüchtlinge.
    Zu Gast ist heute auch Mareile Krause vom Lehrerfortbildungsinstitut. Sie schlug vor mehr als 20 Jahren der Hamburger Bildungsbehörde vor, Sinti und Roma in Schulen einzustellen. Als sie das erzählt, meldet sich spontan Angel zu Wort:
    "Ich hab mal eine Frage: Also durften früher Sinti und Roma nicht als Lehrer ... arbeiten?"
    "Nicht arbeiten? Doch, aber es gab keine."
    "Ja, es gab keine, aber ..."
    "Weil die meisten Schüler die Schule zu früh abgebrochen haben."
    Mareile Krause erinnert sich, dass noch in den 80er-Jahren knapp 80 Prozent der Sinti- und Roma-Kinder auf Förder- oder Sonderschulen gingen. Inzwischen sind sie selbstverständlich in allen Schularten vertreten und machen dort Abschlüsse, bis hin zum Abitur.
    Dzoni Sichelschmidt fragt die älteren Schüler zum Schuljahresbeginn noch nach ihren persönlichen Zielen:
    "Alex, wie sieht es mit Dir aus, was nimmst Du Dir dieses Jahr vor? -
    Ich will mich in Mathe verbessern."
    Mit konkreten Verabredungen geht die Runde auseinander. Für Mareile Krause sind die Bildungsberater der Schlüssel für mehr Bildungsteilhabe:
    "Die Sinti und Roma Schülerinnen und Schüler brauchen Identifikationspersonen aus ihren Reihen, um eigene Berufsbilder, eigene Perspektiven für sich entwickeln zu können. Es gibt zu wenig Vorbilder."