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Situation auf Stadion-Baustellen
Druck ausüben, Fortschritte anerkennen

Seit den Stadionbauten für die Fußball-WM 2022 in Katar weiß man um die schlechten Arbeitsbedingungen auf Baustellen für Sport-Großveranstaltungen. Die internationale Bauarbeitergewerkschaft hat in Berlin über Sicherheit und Bezahlung diskutiert - und darüber, ob sich durch Aufmerksamkeit bessere Bedingungen erzwingen lassen.

Von Felix Lill | 06.10.2019
Die Baustelle des Al-Bayt-Stadions in Doha/Katar, wo die Fußball-WM 2022 ausgetragen wird.
Die Baustelle des Al-Bayt-Stadions in Doha/Katar, wo die Fußball-WM 2022 ausgetragen wird (www.imago-images.de)
In Katar geht es um weit über 1.000 Todesfälle und zurückgehaltene Reisepässe. In Tokio sind es drei Tote und bis zu vier Wochen Arbeit ohne Pause. Wer sich über die Baustellen im Zuge der nächsten Fußball-WM und der kommenden Olympischen Spiele beschwert, der streitet auf zweierlei Niveaus. Und dennoch: Auf der Konferenz der Bauarbeiterinternationale BWI in Berlin wurden letzte Woche beide Wettbewerbe in einem Atemzug genannt. Denn sowohl Olympia 2020 in Tokio als auch die WM 2022 in Katar will der Verbund nutzen, um dauerhaft bessere Arbeitsbedingungen zu erstreiten.
Olympia und die Fußball-WM als Antreiber sozialen Fortschritts. Inmitten von Korruptionsaffären und der Verschwendung öffentlicher Gelder ist dies eine Sichtweise, die überraschen mag. Aber unter den Baugewerkschaftern sieht man das so.
Katar wird inzwischen auch für Fortschritte gelobt
"Wir müssen alle gemeinsam öffentlichen Druck auf die Sportverbände machen. Und dann aus den Verhandlungserfolgen allgemeingültige Regeln machen", sagt Ambet Yuzon, der Vorsitzende des internationalen Gewerkschaftsbunds der Bauarbeiter, kurz BWI.
Dabei klingt paradox, was die Konferenzteilnehmer zu ihren politischen Erfolgen in den verschiedenen Ländern sagen. Über Katar äußert man sich hier überwiegend positiv. Besonders in der Kritik steht: Tokio, Gastgeber der Olympischen Spiele 2020, dessen plangetreue Vorbereitungen IOC-Präsident Thomas Bach so gerne lobt.
Tokio sperrt sich
Dietmar Schäfers von der deutschen IG Bau arbeitet seit Jahren auch als BWI-Inspekteur von Baustellen. Er vergleicht:
"Als wir letztens in Tokio waren, sind wir auf keine Baustelle gekommen. Das hat mich ein bisschen daran erinnert, als wir das erste Mal in Katar waren. Da wurden wir ausgeladen. Aber wenn man sich heute vorstellt, wie wir als BWI mittlerweile gemeinsam mit dem Supreme Court und dem Arbeitsministerium im Prinzip die Prozesse begleiten, dann würde ich mir wirklich wünschen, dass wir es in manchem europäischen Land so einfach hätten, Prozesse auf den Weg zu bringen. Damit will ich jetzt nicht sagen, dass alles gut ist. Aber es ist ein guter Weg."
Auch Ressi Fos, Sprecher der philippinischen Arbeiter in Katar, von denen viele WM-Stadien mitaufbauen, sieht Fortschritte in Katar:
"Die WM ist der Weg, über den wir die Gesetze und die Situation von Arbeitern generell verbessern können. Und es hat wichtige Reformen für Arbeit und Soziales gegeben. Wenn wir so weitermachen, wird Katar irgendwann einer der besten Arbeitsorte."
Bessere Bezahlung und Pausen
Mittlerweile, berichtet man sich hier in Berlin, können internationale Gewerkschafter nicht nur die Baustellen besichtigen, um nach dem Rechten zu sehen. Zumindest die philippinischen Arbeiter, so Ressi Fos, würden besser bezahlt als noch vor einigen Jahren. Der allgemeine Mindestlohn soll um ein Fünftel auf umgerechnet 225 Euro steigen. Und während der Arbeit seien Pausen eingeführt worden.
Dabei ist Ressi Fos mit allzu deutlicher Kritik womöglich vorsichtig, weil sein Arbeitsvisum auf dem Spiel stehen könnte. Die Umsetzung der neuen Regeln in Katar bleibt jedenfalls lückenhaft, erst im Sommer wurde von Todesfällen nepalesischer Arbeiter berichtet, eingezogenen Reisepässen und menschenunwürdigen Unterkünften. Schlecht sind die Bedingungen für viele Arbeiter weiterhin.
Aber durch all die internationale Aufmerksamkeit und Kritik an Katars WM-Vorbereitungen, so findet man auf der BWI-Konferenz, sei eine Entwicklung zu erkennen. Mahmoud Qutub, der im Veranstalterland für Wohlfahrtsangelegenheiten zuständig ist, sagt:
"Probleme gibt es weiterhin. Aber es gibt einen positiven Wandel. Wir eruieren im Moment zum Beispiel die Zulassung von Gewerkschaften im Land. Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass eine Kooperation unsere Gesellschaft verbessern würde."
In Japan kaum Fortschritte
In Japan, wo Gewerkschaften längst erlaubt sind, wurden in Sachen Arbeitsbedingungen bisher kaum weitere Verbesserungen erzielt. Der japanische Vertreter Keiji Katsuno ist enttäuscht:
"Leider sterben bei uns auch Arbeiter auf den Olympia-Baustellen. Drei Personen sind es bis jetzt. Die Lage hat sich kaum verbessert. Wenn es Unfälle gibt, wird oft nicht einmal der Krankenwagen gerufen. Arbeiter haben Angst, bei Beschwerden ihre Namen zu nennen, weil sie um ihren Job fürchten. Und sie verdienen auch nicht mehr als sonst, obwohl ja immer von einem Bauboom gesprochen wurde. Die Situation ist wirklich nicht so, wie sie sein sollte."
In Katar, so ist man sich hier einig, ist es der öffentliche und internationale Druck durch Zivilgesellschaft und Medien, der die Organisatoren, wenn auch auf noch immer niedrigem Niveau, zu Reformen drängt. Und dies ist vielleicht das größte Problem in Japan. Nicht, dass es im schon viel weiter entwickelten Land nichts zu beklagen gäbe. Aber nationale Medien kritisieren nur wenig. Auch weltweit hat man im ostasiatischen Land lange Zeit einen zuverlässigen Veranstalter gesehen. Erst mit einem erschreckenden BWI-Bericht im Mai, der von langen Arbeitszeiten, mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen und einer "Kultur der Angst" auf Baustellen sprach, empörte sich die Welt auch über die Arbeitslage auf den Baustellen Tokios.
In Tokio wird Dialog in Aussicht gestellt
Aber immerhin: Nach langem Zögern und einiger internationaler Kritik haben sich die Veranstalter von Tokio 2020 nun zu einem Dialog bereiterklärt. Anfang Oktober setzen sich Katsuno und die Olympia-Organisatoren an einen Tisch. Es soll um Arbeitsbedingungen gehen, nicht nur für Olympia, sondern grundsätzlich.