Freitag, 19. April 2024

Archiv

Situation der Christen im Irak
"Wir brauchen ein Gebiet, in dem wir sicher sind"

Der Erzbischof von Mossul, Yoanna Petrus Mouche, fordert Hilfe für Christen im Irak. Amerikaner und Vereinte Nationen hätten zugelassen, dass Christen vertrieben, verschleppt und ermordet werden. Christen bräuchten sichere Gebiete, wo sie gemeinsam weiterleben könnten. Zurzeit seien sie "vogelfrei".

Von Fouad El-Auwad | 20.04.2015
    Christen sitzen in einer improvisierten Kirche auf dem Boden
    Viele Christen mussten vor den Kämpfern des IS fliehen. (dpa/picture alliance/MAXPPP/Christophe Petit Tesson)
    "Die Steine bezeugen unsere Existenz im Nahen Osten - und das seit Jahrtausenden."
    Erzbischof Yohanna Petros Mouche ist das Oberhaupt der syrisch-katholischen Kirche von Mossul. Viele irakische Christen könnten sich an Zeiten erinnern, als es keine Probleme gab zwischen Christen und Muslimen.
    "Unsere Beziehung zu allen Nachbarn war sehr gut. Das hat mit unserer christlichen Haltung zu tun. Wir sind ein friedliches Volk, das jeden Andersgläubigen akzeptiert und respektiert. Und die Muslime haben unsere aufbauende kulturelle Teilnahme in der Gesellschaft geschätzt."
    Heute sieht das anders aus. Christen werden von Kämpfern des sogenannten Islamischen Staates ermordet, ihre Kirchen in Brand gesetzt und historische Stätten vernichtet. Mit dem Zusammenbruch der staatlichen Ordnung nehme auch die Bandenkriminalität zu, sagt Erzbischof Mouche:
    "Die Schwäche des irakischen Zentralstaates eröffnet diverse Möglichkeiten, Minderheiten beziehungsweise Christen zu bedrohen. Betroffen waren vor allem reiche Bürger oder diejenigen, die ein staatliches Amt bekleideten. Sie wurden entführt, um Lösegeld von den Angehörigen zu erpressen. Das hat dazu geführt, dass viele Christen die Region verlassen und ins Ausland auswandern."
    Etwa zwei Drittel der einst 1,3 Millionen Christen, die unter Saddam Hussein im Irak lebten, haben ihre Heimat in den vergangenen Jahren verlassen. Die Übergriffe der letzten Monate in Mossul und Umgebung haben zu einer weiteren Fluchtwelle geführt. Auch von den noch verbliebenen etwa 400 000 Christen sind nun viele auf der Flucht - entweder innerhalb des Landes oder auf dem Weg ins Ausland:
    "Mehr als zwölftausend syrisch-katholische Familien, auch Christen anderer Konfession sowie andere nicht-christliche Minderheiten sind entwurzelt. Mein Volk ist in mehr als 57 Orte vertrieben worden. Ihre Lage ist dramatisch und besorgniserregend."
    Der Bischofssitz von Mossul war schon vor Jahren nach Karakosch verlegt worden. Beide Bischofssitze sind samt Kirchenschatz in die Hände der IS-Kämpfer gefallen. Niemand hätte sich vorstellen können, dass es in Mossul innerhalb kurzer Zeit keinen einzigen Christen mehr geben würde. Der Schmerz darüber steht Erzbischof Mouche ins Gesicht geschrieben:
    "Am Anfang ahnten wir nicht einmal, welche Gefahr der IS für uns Christen sein könnte. Seine Vertreter überbrachten uns immer wieder Nachrichten. Sie hätten keinerlei Absichten, unsere Dörfer zu überfallen. Sie haben sich sogar mit einigen Mönchen und Priestern getroffen und sie gefragt, warum die Menschen fliehen. Sie versicherten sie uns, den Christen werde nichts geschehen, sie könnten nach Mossul zurückkehren."
    Dennoch belagerten die IS-Kämpfer Ende Juni vergangenen Jahres die christliche Kleinstadt Karakosch und beschossen sie mit Kanonen. Die kurdischen Kräfte, die Peschmerga, leisteten zwar Widerstand. Doch die meisten Bewohner von Karakosch waren in den Norden geflohen: in die kurdischen Gebiete.
    Appell an die Weltmächte
    "Die Belagerung dauerte drei Tage, und dann hörten die Gefechte plötzlich auf. Die IS-Kämpfer konnten unsere Stadt Karakosch nicht einnehmen. Von diesem Moment an änderte der IS sein Auftreten uns Christen gegenüber. Seitdem stellte er Bedingungen: Christen konnten nur in der Region bleiben, wenn sie entweder zum Islam konvertierten oder Schutzgeld zahlten. Andernfalls müssten sie verschwinden und ihren Besitz zurücklassen."
    "Ich weiß, dass sich der Westen in Sachen Tierschutz sehr engagiert. Die Menschen kämpfen für den Erhalt vom Aussterben bedrohter Tierarten. Wie können sie dann tatenlos zusehen, wenn ein ganzes Volk vertrieben wird? Wenn ein Drittel der syrisch-katholischen Kirche in alle Welt verstreut wird, bedeutet dies den Untergang dieser Kirche."
    Erzbischof Mouche appelliert an die die Weltmächte. Sie seien mitverantwortlich für das Schicksal seines Volkes. Insbesondere die Amerikaner ruft er auf, ein Machtwort zu sprechen und sich zu entscheiden:
    "Die Amerikaner erinnere ich daran, dass das Schicksal unserer Orte und unserer christlichen Gemeinden in ihren Händen liegt. Sie sollten uns bitte ehrlich sagen, ob sie wollen, dass wir in unseren Orten wohlbehalten können, oder ob sie sich lieber an unserer Vertreibung beteiligen wollen."
    Dass westliche und einige muslimische Länder ihr Entsetzen angesichts der Gräueltaten der IS-Kämpfer äußern, reicht Erzbischof Mouche nicht. Menschen sollten an ihren Taten und nicht an ihren Aussagen gemessen werden:
    "Dass manche Länder diese Zerstörungsmaschinerie bedauern, aber nicht wirklich etwas dagegen tun, um sie aufzuhalten, das signalisiert aus meiner Sicht nicht automatisch ihre Unschuld. Ihre Mitleidsbekundungen überzeugen mich nicht. Dass der Westen so wenig tut, um die Region zu retten, zeigt doch nur, dass er die kriegerischen Grausamkeiten akzeptiert."
    Auch an die islamischen Länder richtet Erzbischof Mouche einen Appell:
    "Die dramatischen Ereignisse schaden dem Islam. Wenn ihr wirklich besorgt seid, was den Islam betrifft, so greift zu den Waffen und vertreibt den IS und sein brutales Gedankengut."
    Seine Hoffnung auf einen Neuanfang im Irak hat Erzbischof Mouche nicht verloren. Die Rückkehr knüpft er jedoch an die Zusage der Weltmächte, Sicherheit und Schutz zu garantieren:
    "Ich bitte darum und verlange von den Weltmächten und von denjenigen, die die politischen Zügel in der Hand halten, schnellstmöglich unsere Orte zu befreien und uns Sicherheit zu gewährleisten. Wir haben das Vertrauen gegenüber unseren damaligen Nachbarn verloren. Ich sage dies aus bitterer Erfahrung und vor allem, weil uns die sunnitischen Araber aus den umliegenden Dörfern beim IS verraten haben. Sie haben sich sogar den IS-Kämpfern angeschlossen und uns in unseren Häusern angegriffen. Wir wollen nicht mehr mit ihnen zusammenleben. Wir möchten eigenes Gebiet, in dem wir uns sicher fühlen und in dem wir auch sicher sind."