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"Situation hat sich fast niemand so vorstellen können"

Ulrich Fischer sitzt ab Montag als Vertreter der evangelischen Kirche in der Ethikkommission zur Atomkraft. "Das Reaktorunglück in Japan habe gezeigt, dass die Technologie nicht beherrschbar sei", sagte der badische Landesbischof, der von dieser Technologie möglichst schnell Abschied nehmen will.

Ulrich Fischer im Gespräch mit Christian Bremkamp | 02.04.2011
    Christian Bremkamp: Am Telefon begrüße ich jetzt Ulrich Fischer. Er ist badischer Landesbischof und am Montag mit dabei in Berlin als Vertreter der evangelischen Kirche in der Ethikkommission "Sichere Energieversorgung". Guten Morgen, Herr Fischer!

    Ulrich Fischer: Guten Morgen!

    Bremkamp: Herr Fischer, wir haben es zum Schluss des Beitrages gehört, Umweltminister Röttgen will Sie und die anderen Kommissionsmitglieder ernst nehmen. Wie ernst nehmen Sie Herrn Röttgen?

    Fischer: Zunächst mal nehme ich das ernst, wenn er es sagt, und nur so will auch mitarbeiten. Denn wenn wir nur eine Schauspielertruppe wären, würde ich ja doch bei dem Ganzen nicht mitarbeiten. Ich arbeite deswegen mit, weil ich in der Tat denke, es ist in der Situation wichtig, neben den technischen Fragen auch einen weitgehenden ethischen Konsens in unserer Gesellschaft darüber herzustellen, dass wir von dieser Technologie möglichst schnell Abschied nehmen. Und ich bin der Meinung, dass wir in dieser Kommission so vielfältig zusammengesetzt sind, dass in der Tat so mehrdimensional diese ethischen Aspekte zusammengeführt werden können und man dann am Ende formulieren kann, was ist der Konsens. Da würde ich sehr gerne ernsthaft dran mitarbeiten, und ich glaube, da nimmt uns die Regierung oder nimmt uns der Minister auch ernst.

    Bremkamp: Bleiben wir noch kurz beim Minister. In der Debatte um die Laufzeitenverlängerung konnte sich Herr Röttgen damals nicht durchsetzen, die anderen packten noch ein paar Jahre obendrauf. Glaubwürdig?

    Fischer: Das fand ich absolut unglaubwürdig, das will ich sehr deutlich sagen. Ich hatte vorher seine Positionen gekannt, fand die auch richtig, die er hatte. Ich fand, wie dort ein bereits erreichter Konsens geopfert wurde zugunsten der Atomtechnologie und der Atomwirtschaft, das fand ich blamabel. Nichtsdestotrotz möchte ich jetzt daran mitwirken, dass dieser Schritt wieder rückgängig gemacht wird, und zwar mit einem möglichst breiten Konsens. Ich hoffe, dass Menschen sich, oder ich weiß, dass Menschen sich irren können und dass sie Irrtümer auch beheben können, dass sie sie korrigieren können, und das will ich auch für einen Politiker gelten lassen.

    Bremkamp: Diese Rolle rückwärts der Bundesregierung in der Atompolitik hat ja so manch einen erstaunt im Land – Sie auch?

    Fischer: Ja, in der Tat, weil ich denke, dieses Ereignis in dieser Dramatik – und wir sehen das Ende ja noch überhaupt nicht und wir wissen die ganzen Auswirkungen ja noch gar nicht – hat ja nun keiner voraus kommen sehen. Und ich glaube, das hat in der Tat bei mir selber auch wie auch bei Wissenschaftlern wie in der Bevölkerung noch mal eine völlige andere Bewertung des Wortes Restrisiko gegeben. Bisher wurde das Restrisiko als ein äußerst unwahrscheinlicher Fall angesehen – der bleibt unwahrscheinlich –, aber was jetzt deutlich wird, ist, wenn dieser unwahrscheinliche Fall eintritt, ist die gesamte Situation nicht beherrschbar. Das ist doch das Erschütternde an der Situation in Fukushima, dass dieses Hochtechnologieland jetzt dasteht und die Experten dastehen und sie müssen eigentlich jeden Tag sagen, wir wissen nicht, was dort passiert, wir wissen eigentlich auch nicht, was wir dagegen tun können. Diese Situation hat sich fast niemand so vorstellen können. Ich denke, damals bei Tschernobyl haben wir alle uns doch so rausgeredet, na ja, das ist Russland oder die haben Fehler gemacht oder die sind nicht so weit oder weiß ich was. Das können wir jetzt nicht mehr. Und ich glaube, insofern hat sich die Situation mental vollkommen verändert, weil dieser größte anzunehmende Unfall jetzt eine Realität geworden ist, und wir sehen, in diesem Fall ist die Beherrschbarkeit gar nicht gegeben.

    Bremkamp: Abschalten möglichst schnell, sagen Sie – waren die Kirchen in Deutschland in den zurückliegenden Monaten möglicherweise zu still, haben sich nicht ausreichend geäußert?

    Fischer: Das mag so sein in der Wahrnehmung. Die Synode der EKD hat noch Anfang November letzten Jahres noch einmal den Ausstieg gefordert und haben – damals war ja gerade der Atomkonsens, der Ausstiegskonsens zurückgenommen worden – gefordert, dass das wiederum zurückgenommen wird. Ich hab noch mal nachgeschaut: Seit 1987 fordert die EKD mit ihren verschiedenen Gremien, mit den Synoden, mit den Kommissionen den Ausstieg, das ist immerhin schon 24 Jahre. Ob das laut genug war, das kann man mit Recht fragen. Aber Sie wissen auch, wir haben es als Kirche nicht immer ganz leicht, in solchen politischen Fragen uns Gehör zu verschaffen, weil uns dann auch immer sehr schnell vorgeworfen wird, ihr mischt euch da in Fragestellungen ein, die die Experten lieber klären sollten. Aber es geht hier um eine sehr grundlegende ethische Fragestellung, nämlich die auch des Achtens von Grenzen, die uns Menschen gesetzt sind. Und ich finde, da haben wir als Kirche in der Tat was zu sagen, und darum finde ich es auch richtig, dass die Kirchen vertreten sind in der Kommission. Ob das nun laut genug war, das mögen andere beurteilen, aber deutlich positioniert war die Kirche seit den 80er-Jahren – ich persönlich schon seit Anbeginn, seit es die Konziliaren Prozesse für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung gibt, bin ich in diesen Fragen sehr engagiert, auch persönlich. Insofern kann man nicht einfach sagen, wir entdecken jetzt plötzlich auch ein Thema, das wäre verkehrt.

    Bremkamp: Drei Kirchenvertreter werden in der Kommission teilnehmen. Ist die Situation mittlerweile so schwierig, so verfahren, dass die Bundesregierung geistlichen Beistand braucht?

    Fischer: Erst mal will ich Sie noch korrigieren, es sind nicht drei, Herr Glück ist nicht als Vertreter der katholischen Kirchen nominiert, sondern – das ist leider schlecht kommuniziert worden – als Mitglied der Grundwertekommission der CSU. Dass er jetzt gleichzeitig ein großes Ehrenamt in der katholischen Kirche ausübt, ist richtig, aber er ist nicht als solcher nominiert worden. Aber nun zu Ihrer Frage: Nicht geistigen Beistand, aber ich glaube, die Politik weiß auch, dass die Kirchen, die immerhin im Augenblick 50 Millionen der Bevölkerung repräsentieren, ganz wesentlich auch dazu beitragen, dass in unserer Gesellschaft ethische Diskurse geführt werden und hoffentlich auch ethischen Konsense hergestellt werden. Denn das wäre für mich das Wichtigste, dass ein breiter Konsens entsteht, der sich dann auch in einer breiten politischen, breit getragenen politischen Entscheidung im Bundestag abbildet. Und dass die Kirchen zu dieser Konsensbildung einiges beizutragen haben als Institution, die nun doch sehr viele Menschen repräsentieren, das weiß die Regierung. Vielleicht weiß auch der ein oder andere Minister – davon gehe ich wenigstens mal aus, wenn er Christenmensch ist –, dass es hier auch um Fragen geht, die nicht einfach mit technischem Kalkül zu diskutieren sind, sondern wo es um sehr grundlegende Fragen auch der Verantwortung, letztlich auch der Verantwortung vor Gott und vor den Menschen geht. Das nehme ich an.

    Bremkamp: Dinge, die ja nicht nur die Regierungen betreffen. Der Energiekonzern RWE hat bereits Klage angekündigt. Glauben Sie denn, dass ein schneller Rückzug aus dieser Technologie überhaupt gelingen kann, auch aus rechtlichen Aspekten?

    Fischer: Hier sind ja nun sicherlich, wie man so schön sagt, handwerkliche Fehler gemacht worden, so wenigstens die Meinung der Experten, als ein Moratorium kein Gesetz einfach aushebeln kann. Das kann man doch auch sehr schnell wiederum beheben, indem ein entsprechendes Gesetz kommt. Ich glaube, wenn der Konsens klar ist – und der kann ja nur in Richtung Ausstieg gehen und da muss man das Ausstiegsszenario natürlich verantwortlich beschreiben und auch verantwortliche Zeitpunkte benennen –, wenn der klar ist, wird auch sehr schnell eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden können, die das ermöglicht.

    Bremkamp: Die Frage an den Landesbischof mit Bitte um kurze Antwort: Was sagen eigentlich Ihre Gemeindemitglieder, mit denen Sie sprechen, zu der aktuellen Diskussion?

    Fischer: Ich bin in einer bisschen schwierigen Situation, weil ich diesen Kontakt mit den Gemeindemitgliedern immer nur sonntags habe, schon oft sehr punktuell. Natürlich, bei uns in der Kirchenleitung in Baden oder so ist das ein breiter Konsens. Als ich in der Gemeinde selber tätig war, in den 80er-Jahren, wurde vieles nicht verstanden, was ich damals gesagt habe, aber da hat sich einfach auch viel an Umweltbewusstsein oder mit Selbstbewusstsein getan. Damals habe ich schon sehr frühzeitig auf Phänomene hingewiesen, das wurde oft als Träumerei oder Spinnerei abgetan. Ich glaube, da sind wir heute in einer anderen Situation, da hat sich insgesamt das Bewusstsein sehr verändert, und ökologisch verantwortlich zu leben, ist inzwischen, glaube ich, als Christpflicht auch anerkannt. Ob jetzt speziell in der Frage des Atomausstiegs, wie ich sagen kann, ich rede für alle evangelischen Christen, das glaube ich nicht, aber das ist bei allen synodalen Entscheidungen so, dass wir die hoffentlich in einer großen Mehrheit oder in einem Konsens auch Synodenentscheidungen treffen, aber damit nicht alle Gemeindeglieder abbilden. Das ist nie der Fall.

    Bremkamp: Der evangelische Landesbischof von Baden war das. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Fischer!

    Fischer: Bitte schön!