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Skandal in Sanremo

Das Schlagerfestival von Sanremo ist seit vielen Jahrzehnten für die leichte Muse eine Institution, die in diesem Jahr jedoch ungewöhnlich schwer daherkam. Die Spaltung des Landes trat bei der Live-Übertragung im Staatsfernsehen RAI offen zu Tage, als einerseits ein Schlager mit homophoben Tendenzen gesungen wurde, andererseits der Schauspieler Roberto Benigni gegen den Rechtsruck im Land wetterte.

Von Thomas Migge | 18.02.2009
    Millionen Italiener hielten gestern Abend den Atem an, als der Popsänger Povia auf der Bühne des Teatro Ariston erschien und seinen Song "Luca era gay" vortrug, zu deutsch: Luca war schwul. Ein Lied, das von einem jungen homosexuellen Mann handelt, der nach einer Liebesnacht mit einer Frau heterosexuell wird.

    Schwulenverbände und linke Politiker werfen Sänger und Autor Povia sowie den RAI-Verantwortlichen, die dieses Lied für das Schlagerfestival in Sanremo akzeptiert hatten, homophobe Tendenzen vor. Dazu Gino Castaldo, Musikkritiker der Tageszeitung "La Repubblica":

    "Der Text behandelt das Thema Homosexualität nicht als Krankheit, aber der Umstand, dass Luca schließlich hetero wird, kann nur in der Weise interpretiert werden, dass er endlich auf den sexuell richtigen Weg gebracht worden ist. Schwulsein ist also der falsche Weg, denn Povia singt davon, dass man erst als Hetero zum richtigen Mann wird."

    Während der Uraufführung des Songs gestern Abend kam es zu Protesten im Publikum. Auch von Franco Grillini, ehemaliger Präsident des nationalen Schwulenverbandes:

    "Ich fordere alle dazu auf, einmal darüber zu reflektieren, dass doch auch die homosexuelle Liebe Liebe und keine Perversion ist. Ich erhielt gerade eine SMS von einem Schwulen, der dieses schlimme Lied hörte und mir schrieb, dass er seit 30 Jahren in einer glücklichen Beziehung mit einem Mann lebt und sich trotzdem wie ein kompletter Mann fühlt. Wer so wie Povia über Schwule spricht, beleidigt uns."

    Grillini wurde daraufhin von einem Teil des Publikums ausgepfiffen. Einige riefen auch "Schwule raus!".

    Vor Povias umstrittenen Song hatte Roberto Benigni seinen mit Spannung erwarteten Auftritt. Man hatte Italiens berühmtestem Komiker und Schauspieler Themenfreiheit gelassen - auch wenn der Direktor von RAI 1 vor Benignis Auftritt den Künstler dazu aufforderte, doch bitteschön nicht zu politisch zu werden. Benigni hielt sich in keiner Weise an diese Aufforderung:

    Er warf Berlusconi Medienallmacht vor und riet ihm, aus Italien zu verschwinden. Für blankes Entsetzen bei den RAI-Mächtigen und Politikern der Mitte-Rechts-Koalition sorgten seine Sätze gegen Homophobie. Er beschwor die Liebe allgemein und verteufelte jene, die Homosexuelle in KZs und ins Feuer schickten. Benigni verlas am Ende seines Auftritts den berühmten Abschiedsbrief Oscar Wildes an seinen jungen englischen Liebhaber. Eine Beziehung, für die der Schriftsteller zu jahrelanger Zwangsarbeit verurteilt worden war. Benignis Auftritt erzeugte eine so betroffene und gespannte Stimmung, dass der Moderator des Festivals aus Verlegenheit über die nicht vorhergesehene Situation einen Werbeblock schaltete.

    Für Aufregung sorgte auch der Song "Italia" von Marco Masini, in dem Italien als korruptes und heruntergekommenes Land beschrieben wird. Masinis Refrain lautet: "Italien, du gehst mir auf die Eier".

    Wie nie zuvor sei das Festival von Sanremo zu einem Stimmungsbarometer für gesellschaftliche Entwicklungen in Italien geworden, meint Musikkritiker Paolo de Benardin von der RAI:

    "Sanremo ist kein reines Schlagerfestival mehr. Immer mehr Sänger nutzen die Liveauftritte, um gesellschaftliche Proteste zum Ausdruck zu bringen. Dass die RAI-Manager solche Songs auswählen, lässt sich wohl nur damit erklären, dass sie die Einschaltquoten erhöhen wollen."

    Zum ersten Mal überhaupt werden gesellschaftspolitische Probleme während des Festivals nicht nur angedeutet, sondern brechen deutlich hervor. Sänger beziehen Position. Die Grundidee des Festivals, Schlager zum Nachsingen vorzustellen, ist passé. Der immer tiefere Graben zwischen einer immer einflussreicher werdenden rechten Regierung und katholischen Kirche und einer Opposition, die politisch nur noch wenig zu sagen hat, hat sich auch des einstmals vollkommen unpolitischen Festivals bemächtigt. Oder um es mit den Worten von Roberto Benigni zu sagen: Auch Sanremo ist nicht mehr immun gegen dieses Italien, das man nicht mehr Bella Italia nennen sollte.