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Skandal um sexuelle Übergriffe
Islands guter Fußballruf beschädigt

Deutschland spielt in der WM-Qualifikation gegen Island – die Mannschaft, die bei der EM 2016 die Herzen eroberte, als sie bis ins Viertelfinale kam unter tatkräftiger Unterstützung ihrer Fans und dem damals weltberühmt gewordenen „Huh“. Doch jetzt ist der Ruf beschädigt durch einen Skandal um sexuelle Übergriffe von Spielern.

Von Jessica Sturmberg | 07.09.2021
Der isländische Fußballer Kolbeinn Sigthorsson
Der isländische Fußballer Kolbeinn Sigthorsson (www.imago-images.de)
Es war kein souveräner Umgang der Spitze des isländischen Fußballverbandes mit dem, was sich über längere Zeit aufgebaut hatte und jetzt ans Licht gekommen ist. Junge Frauen und allen voran die Gleichstellungsbeauftragte des Lehrerverbands wiesen darauf hin, dass es seit Jahren Fälle von häuslicher und sexualisierter Gewalt im Umfeld des Profifußballs gebe. Ein Fall wurde mit Namen öffentlich: der von Kolbeinn Sigþórsson, dem Siegtorschützen und gefeierten Helden beim 2:1-Sieg im EM-Achtelfinale gegen England. Eine junge Frau beschuldigt ihn, dass er sie im September 2017 in einem Nachtclub begrabscht hatte. Er entschuldigte sich später, zahlte Schmerzensgeld.
Guðni Bergsson steht mit verschränkten Armen vor einem Plakat des Verbandes KSÍ, er lächelt und trägt ein weißes Hemd und einen schwarzen Strickpulli
Der gerade zurückgetretene Präsident des isländischen Fußballverbandes KSÍ, Guðni Bergsson (Jessica Sturmberg)
Der Verband wollte das vertuschen und bot der Frau Schweigegeld an. Gefragt, ob er von konkreten Beschwerden gewusst habe, sagte Verbandspräsident Guðni Bergsson, er habe keine formale Beschwerde oder Ähnliches erhalten, wonach jemand Bestimmtes sich sexuellen Übergriffen schuldig gemacht habe.
Verbandspräsident hatte gelogen
Doch das stimmte nicht, der Vater der jungen Frau hatte ihm eine Mail geschrieben, Guðni Bergsson wusste sehr wohl davon. Nachdem das bekannt wurde, trat der gesamte Vorstand zurück. Seither herrscht große Unruhe. Sogar die isländische Regierungschefin Katrin Jakobsdóttir schaltete sich ein und mahnte den Fußballverband seiner gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.
Zudem kommt, dass der frühere Hoffenheimer Gylfi Sigurdsson, der jetzt beim FC Everton unter Vertrag steht, ausgemacht wurde als der isländische Spieler, der in England wegen des Verdachts des sexuellen Übergriffs an einer Minderjährigen verhaftet wurde. Die englischen Medien hatten seinen Namen zwar nicht genannt, aber Daten, die ihn identifizierten.
"Das hat viele Menschen verletzt"
"Das hat viele Menschen betroffen, viele Menschen verletzt, dass die goldene Generation oder die Spieler, die so einen Riesenstellenwert bei der Nation über Jahre haben, das gemacht haben."
sagt Einar Örn Jonsson, Sportreporter beim öffentlich-rechtlichen Sender RÚV. Warum Präsident Guðni Bergsson gelogen hat, kann er sich nicht erklären. Island ist generell sehr fortschrittlich beim Thema Gleichberechtigung, auch im Sport, Frauenfußball wird im gleichen Umfang wie Männerfußball gezeigt. Das gilt auch für andere Sportarten.
Aber es ist eben auch eine kleine Gesellschaft, in der es schwerfällt, solche Fälle aufzuarbeiten.
Zu große Nähe steht Aufklärung manchmal im Weg
"Weil es kennen sich halt alle, jeder ist verwandt mit einem anderen."
Sportlerinnen demonstrieren gegen sexualisierte Gewalt
Sportlerinnen demonstrieren beim Druslusgangan 2019 gegen sexualisierte Gewalt (Jessica Sturmberg)
Weil diese Nähe einer Aufklärung auch manchmal im Weg steht, sind Frauen in den letzten Jahren verstärkt auf die Straße gegangen, um gegen Gewalt und deren Vertuschung zu demonstrieren. Etwa beim jährlich "druslugangan", dem Schlampengang, an dem sich regelmäßig viele hunderte Menschen, darunter auch viele Sportlerinnen, ganze Teams beteiligen. Indem sie sich selbst als Schlampen bezeichnen, nehmen sie dem Wort das Gewaltpotenzial, so der Gedanke.
Der isländische Fußballverband KSÍ muss jetzt um neues Vertrauen werben und zugleich ein neues Team sowohl auf Funktionärs- als auch auf sportlicher Ebene aufbauen, ohne die beiden suspendierten Spieler. Auf die hätte man sportlich wohl gerne noch eine Weile gesetzt. Denn momentan fehlt es noch an bereits herangereiften Talenten, die auf die goldene Generation folgen könnten.