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Ski-Weltcup in Lech-Zürs
Ein Rennen um jeden Preis?

Mit Millionen-Förderungen aus Steuergeldern finanziert sich Österreichs Luxus-Skiregion Lech-Zürs einen Platz im Weltcupkalender. Doch eine Affäre überschattet das Rennen: Die Strecke wurde teilweise ohne Genehmigung gebaut.

Von Christian Bartlau | 29.11.2020
Henrik Kristoffersen und Alexis Pinturault beim Parallel-Slalom der Männer in Lech am 27.11.2020.
Henrik Kristoffersen und Alexis Pinturault beim Parallel-Slalom der Männer beim Ski-Weltcup in Lech-Zürs am 27.11.2020. (imago images / Sammy Minkoff)
Ein rauschendes Comeback sollte es werden, der erste Ski-Weltcup seit 26 Jahren in Lech-Zürs am Arlberg. Doch statt Flutlicht-Spektakel vor begeisterten Fans gab's wegen Corona bei den Nachtrennen unter der Woche nur eine Geisterkulisse.
Und schon vor dem Start begleiteten schwere Vorwürfe das Rennen: Es liegen Anzeigen gegen die Organisatoren vor wegen Verstößen gegen die Bauvorschriften. Teile der Landesregierung stellen die Millionen-Förderung für das Projekt deswegen in Frage.
Ins Rollen gebracht hat die Affäre unter anderen die grüne Landespolitikerin Nadine Kasper – mit einer parlamentarische Anfrage im Oktober. Der Titel: Welche Gesetze gelten für den Ski-Weltcup? "Diese Anfragebeantwortung war in ihrer Eindeutigkeit doch schon überraschend für uns", sagt Kasper, "weil offenbar keinerlei Baubewilligungen vorgelegen sind."
Den Zuschlag für den Weltcup hatte Lech-Zürs im November 2019 erhalten. Der Neubau der "Flexenarena", die auch als Trainingsstrecke dient, wurde mit 2,7 Millionen Euro budgetiert. Doch die Pandemie verzögerte das Bauverfahren, der positive Bescheid lag erst Ende August dieses Jahres vor. Da hatten die Betreiber vom Skiclub Arlberg schon Fakten geschaffen: Die Grabungsarbeiten am Hang hatten offenbar im Juni begonnen – und ein Schneedepot war bereits im Mai widerrechtlich angelegt worden.
Höchststrafe: 16.000 Euro
"Da muss man sich schon fragen: Rechnen Betreiber immer wieder damit, dass eh nix passiert - außer man kommt drauf und es gibt eine Strafe? Jeder Häuslebauer, der sein Gartenhaus aufstellt und es nicht bewilligt bei der Gemeinde oder es nicht bewilligt hat, muss es wieder abbauen", so Kasper, "aber wer lässt Flutlichtanlagen abreißen? Das passiert halt bei so Großprojekten nicht."
Die Höchststrafe für ein Vergehen beträgt 16.000 Euro - verkraftbar bei einem Millionenbudget. Als Betreiber der "Flexenarena" fungiert die Sportstätte Lech Zürs GmbH, eine Tochter des Skiclubs Arlberg, der sich stolz "ältester Ski-Club der Alpen" nennt.
Vizepräsident Stefan Jochum verteidigt sich im Deutschlandfunk – im Falle des illegalen Schneedepots habe die Verlegung der Bauverhandlung von Mai auf August den Betreiber keine andere Wahl gelassen: "Wir haben im Mai dieses Schneedepot abgedeckt damit es nicht schmilzt und haben das auch angezeigt der Behörde, wir haben gesagt: Tut uns leid, wir müssen das Ding jetzt abdecken, wir wissen, dass wir eine Übertretung machen, aber wenn ihr uns keinen Verhandlungstermin gebt, müssen wir so handeln."
Für die Betreiber stand offenbar schon in der Planungsphase fest, dass der Bau am Ende bewilligt würde. Dabei war das Projekt umstritten: In der Bauverhandlung vom 18. August 2020 monierte eine Sachverständige "erhebliche Beeinträchtigungen für Fauna, Flora, Lebensraum und Landschaftsbild". Ihr Fazit: Das Vorhaben sei nicht mit dem Naturschutz vereinbar.
Nach fünf Tagen Verzögerung und zwei neuen Gutachten gab die Behörde doch grünes Licht – weil der, Zitat, "wirtschaftliche Erfolg am Tourismusmarkt" von höherem Interesse sei als der Naturschutz. In der Zwischenzeit hatte die Sportstätte Lech Zürs GmbH aber ohnehin weitergebaut - ohne gültigen Bescheid.
Millionen an Steuergeldern
"Wir hätten diese fünf Tage warten müssen, das war ein Fehler von uns, das geben wir auch zu", sagt Jochum. "Es war nie beabsichtigt, im Vorfeld das Gesetz zu hintergehen."
Stefan Jochum ist ein vielbeschäftigter Mann – er betreibt mit seiner Frau eine kleine Pension im Ort, ist Vizepräsident des Skiclubs Arlberg, Chef des Weltcup-Organisationskomitees und war auch Geschäftsführer der Sportstätte Lech Zürs GmbH – diese Funktion legte er kürzlich ab, weil er September auch noch zum Bürgermeister von Lech gewählt wurde.
Seine Gemeinde hat, noch unter Jochums Vorgänger, eine halbe Million Euro zur "Flexenarena" beigesteuert. Und noch mehr Steuergeld fließt: 1,3 Millionen Euro kommen vom Land, beschlossen von der regierenden ÖVP – gegen den Willen des grünen Koalitionspartners. Grünen-Politikerin Nadine Kasper will das Geld einbehalten: "Jeder der trickst, wenn er Familienbeihilfe oder Wohnbeihilfe bezieht, muss diese auch wieder zurückzahlen. Das sollte genauso gehandhabt werden. Es ist viel Geld, über eine Million Euro Steuergeld und gerade in Zeiten von Corona muss man sich einfach überlegen: Wem steht das noch zu?"
Die ÖVP wiegelt ab: Gefördert werde nicht nur der Weltcup, sondern auch Nachwuchsarbeit. Ein Argument, das auch Stefan Jochum oft betont - aber es wankt: Allein die Lichtanlage in der "Flexenarena" verschlingt 1,3 Millionen Euro, also das halbe Budget – das ist nötig, damit das Rennen gut aussieht im Fernsehen.
Das Kalkül: Die Skisaison verlängern
Das ist derzeitig wichtiger denn je. Renndirektor Markus Waldner vom Weltverband drückte es im Sportportal Laola1.at so aus: "Die größte Angst der Veranstalter ist, nicht fahren zu können, dann kriegen sie nicht einmal die TV- und Marketing-Gelder."
Veranstalter des Rennens ist übrigens Österreichs Skiverband, dessen Präsident Peter Schröcksnadel einen legendären Riecher hat für das Geschäft mit dem Sport. Zu Lech-Zürs schweigt er, auch was ein ausgefallenes Rennen gekostet hätte, will der Verband nicht kommentieren.
Bürgermeister und Multifunktionär Stefan Jochum erklärt offen, was Lech-Zürs' Kalkül bei der Planung der "Flexenarena" war: "Das ist für uns ein wesentlicher auch touristischer Punkt: Wenn die Pandemie nicht wäre, ist das für uns eine Möglichkeit, die Saison zu verlängern, also früher zu beginnen."
Die "Flexenarena" verfügt nämlich über eine neue Beschneiungsanlage, dank der schon ab November ein weißes Band Skitouristen anlocken kann - in diesem Jahr machte Corona einen Strich durch diese Rechnung. Ab 2021 gilt: Eine längere Saison gleich mehr Gäste für Lech. Gute Aussichten für den Ort, seinen Bürgermeister und alle, die am Skisport verdienen.